Die Presse am Sonntag

Gambias abgesagte Sensation

LŻngzeit©iktŻtor Yahya Jammeh erkennt seine WŻhlnie©erlŻge nun ©och nicht Żn un© verlŻngt NeuwŻhlen. Die WirtschŻft ©es kleinen LŻn©es liegt ohnehin Żm Bo©en.

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Bevor seine Schwester Fatoumata (35) nicht aus dem Gefängnis kommt, kann Omar Jawara nicht aufatmen. „Sie haben sie mit einer Eisenstang­e geschlagen, bis sie Blut spuckte. Dann blieb sie nackt in einer Zelle liegen, über eine Woche.“Ihr Vergehen: Sie war in Gambia auf die Straße gegangen, mit anderen Aktivisten der Opposition­spartei United Democratic Party (UDP), und hatte eine Änderung des Wahlsystem­s gefordert, das Diktator Yahya Jammeh zu seinen Gunsten manipulier­te. Strafe: drei Jahre Haft.

Anfang Dezember aber ist Jammeh überrasche­nd abgewählt worden – ein Vorgang, den das Magazin „Foreign Policy“als „größte Wahlüberra­schung des Jahres“bewertete. Nach 22 Jahren an der Macht sollte der Diktator alter Schule, der demokratis­che Grundwerte ignorierte und Wahlen fälschte, abtreten. Er erkannte das Wahlergebn­is an, die Sensation war perfekt. Nur ein paar Tage später aber revidierte Jammeh seine Aussage: Bei der Wahl sei es zu Unregelmäß­igkeiten gekommen, die Zahl der Wahlkarten stimme nicht mit dem Verzeichni­s überein. Er verlange Neuwahlen. Von den USA bis zur Afrikanisc­hen Union hagelte es Kritik an dem Diktator.

Jawara hat die Wahl über Internetra­dio in einer Unterkunft für Asylwerber in Deutschlan­d verfolgt. Er macht eine Ausbildung zum Anlagentec­hniker im idyllische­n Esslingen, Baden-Württember­g. Grauen und Armut in der Heimat ist er vor zwei Jahren entflohen, doch sie blieben stets gegenwärti­g in Gedanken. Besonders, wenn die weinende Mutter am Telefon war. Jawara fürchtet, seine Schwester sei auch vergewalti­gt worden. Sagen würde sie das nie, wegen der Schande für die Familie: Vergewalti­gungen sind in Gambia tabu, jedenfalls, was die Opfer betrifft. Sollte Jammeh tatsächlic­h die Macht abtreten, werde seine Schwester „zu 100 Prozent“freigelass­en, meint Jawara.

Als Wahlgewinn­er ging Adama Barrow (51) hervor – ein Immobilien­unternehme­r, der in den 2000er-Jahren in London studiert und zeitweise als Kaufhauswä­chter gearbeitet hatte, um Geld zu verdienen. Zu einem Regierungs­wechsel sollte es eigentlich im Jänner kommen in jenem winzigen Land, von dem Jammeh behauptet hatte, er werde es „eine Milliarde Jahre“regieren. In einem Telefonat mit Barrow soll Jammeh zunächst angedeutet haben, sich auf seine Farm zurückzieh­en zu wollen. Es heißt aber auch, er habe allerhand Mittel auf die Seite geschafft, mit denen er womöglich einen Putsch versuchen könnte. Jammeh habe auch versucht, die Bekanntgab­e des Wahlergebn­isses zu verhindern. Tatsächlic­h hatte er am Wahltag das Internet und internatio­nale Telefonver­bindungen sperren lassen. Opposition­spolitiker sagten, man werde ihn vor Gericht stellen.

Jammehs Herrschaft hat Hunderttau­sende in die Flucht getrieben: Sieben Prozent der Migranten, die heuer in Italien ankamen, sind Gambier. Proportion­al zur geringen Einwohnerz­ahl (1,9 Millionen) liegt Gambia in Afrika damit weit vorn. In vielen Ländern der EU könnte ein – friedliche­r – Machtwechs­el Folgen für die Einschätzu­ng der Risikolage in Gambia haben. Österreich schätzt es derzeit nicht als sicheres Herkunftsl­and ein, wegen der weitverbre­iteten politische­n Verfolgung und Folter. Sollte Jammeh, der laut Human Rights Watch Gegner systematis­ch foltern ließ, tatsächlic­h abtreten, würde das die Abschiebun­g abgelehnte­r Asylwerber erleichter­n. Hummer-Jeep. Jawara sagt, er wolle Deutschlan­d verlassen, sobald sich die Dinge wirklich zum Guten gewendet hätten. Er würde gern als Politiker beim Wiederaufb­au der Heimat helfen oder mit seinen in Europa erworbenen Fähigkeite­n eine Firma gründen. Doch auch er traut dem Wandel nicht. In ein paar Wochen läuft seine Aufenthalt­sgenehmigu­ng ab, aber er könne noch nicht zurück: Auch ohne den Diktator

Yahya Jammeh

(51) hat den Kleinstaat Gambia in Westafrika schon seit 1994 mit zusehends harter Hand regiert. Seine Eltern sind Senegalese­n, er brach 1984 die Schule ab, um dem kleinen Heer Gambias beizutrete­n, stürzte 1994 als Offizier Präsident Dawda Jawara und setzte sich bald selbst durch. Seine Amtsführun­g war bizarr: So forderte er etwa 2008 alle Homosexuel­len auf, binnen 24 Stunden auszureise­n, drohte ihnen andernfall­s die Köpfung an, sagte, er könne mit Handaufleg­en heilen und dass die britische ExKolonie (bis 1965) 2015 das reichste Land der Welt sein werde. GAMBIA seien noch zu viele Leute in Amt und Würden, die er, Jawara, in Interviews und sozialen Medien kritisiert habe.

Jammeh, Fahrer eines HummerJeep­s mit sechs Rädern, gilt als launisch, seine Leibgarde ist gut ausgestatt­et. Und so wählte Barrow warnende Worte in Richtung des Machthaber­s: „Das Volk hat gesprochen. Wir haben klar gewonnen, er kann nichts daran ändern.“Der Opposition­spolitiker hatte über 45 Prozent der Stimmen im kleinsten Land Afrikas (11.300 km2) gewonnen, Jammeh lediglich 36 Prozent. Diesem ward wohl seine eigene Tyrannei zum Verhängnis: Im April ließ er den alternden UDP-Spitzenkan­didaten, Ousainou Darboe, wegen Teilnahme an einem ungenehmig­ten Protest verhaften und ließ ihn bis zu der Wahl hinter Gittern. Deshalb wurde Barrow zum Kandidaten.

Ihm gelang, was dem vor einigen Tagen aus dem Gefängnis entlassene­n Darboe kaum gelungen wäre: Er einte sieben wichtige Opposition­sparteien, von denen einige Vorbehalte gegen Darboe hatten. Nur so konnte die Abwahl Jammehs gelingen.

Noch zu viele M´chtige ©es Żlten Systems sin© in Amt un© Wür©en.

Große Verspreche­n. Barrows Verspreche­n sind groß. Er will eine Beschränku­ng von zwei Amtszeiten für den Präsidente­n einführen, die politische­n Gefangenen freilassen, dem Weltstrafg­ericht und dem Commonweal­th wieder beitreten und die Freiheit von Justiz und Presse garantiere­n. Schwierige­r erscheint da die Einigung des gespaltene­n Landes. Ein zukünftige­r Präsident Barrow muss Spannungen zwischen dem Jola-Stamm, zu dem Jammeh gehört, und der größten ethnischen Gruppe, den Mandinkas, ausräumen. Politische Erfahrung hat der Immobilien­unternehme­r keine. Und er muss eine Wirtschaft aufbauen, die am Boden liegt – der wohl wichtigste Fluchtgrun­d für viele junge Gambier.

Auch Omar Jawara, der Gambier in Deutschlan­d, kann Jammeh nicht verzeihen. „Ich werde nie vergessen, was er meiner Schwester angetan hat, er gehört lebenslang hinter Gitter.“Es ist kaum vorstellba­r, dass sich Jammeh diesem Szenario widerstand­slos fügt.

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