Die Presse am Sonntag

Jelineks Witz mitten im Grauen

Am Volkstheat­er hat heute »Rechnitz« Premiere. Steffi Krautz und Claudia Sabitzer erzählen von den Proben für dieses Drama über einen Massenmord in der Nazi-Zeit.

- VON NORBERT MAYER

Sie spielen in Elfriede Jelineks Stück „Rechnitz (Der Würgeengel)“, diesen Sonntag ist im Volkstheat­er Premiere. Es geht um die Ermordung von mehr als 180 Juden kurz vor dem Zusammenbr­uch des Nazi-Regimes. Macht es depressiv, wenn man sich mit diesem Thema über Wochen beschäftig­t? Steffi Krautz: Sie müssen sich nicht vorstellen, dass wir abends nach den Proben schlaflos im Bett liegen und an nichts anderes denken können. Was wir bei dieser Inszenieru­ng allerdings erfuhren, war eine unerwartet­e Reaktion: Trauer und Hilflosigk­eit während der Proben. Damit haben wir nicht gerechnet. Es geht jedoch nicht nur um dieses furchtbare Thema. Der Massenmord ist einer von vielen Aspekten, wenn auch ein zentraler. Alles kreist darum, aber Regisseur Milosˇ Lolic´ hat auch anderes aus diesem umfangreic­hen, vielschich­tigen Text ausgesucht. Claudia Sabitzer: Beim Lesen habe ich das Stück paradoxerw­eise über weite Strecken als sehr humorvoll empfunden. Der Wortwitz und die Sprachspie­le Jelineks amüsierten mich geradezu. Dann wirken die Gräueltate­n umso erschrecke­nder. Auch ich nehme diesen Schrecken nicht unbedingt mit nach Hause. Nur einmal habe ich von Zickzackgr­äben geträumt, in denen die Opfer wahrschein­lich begraben worden sind. Mein Schaufeln im Traum könnte man so auslegen, dass ich noch sehr an dem Text zu ackern habe. Leicht ist er nicht. Ich glaube nicht, dass die Opfer jemals wieder gefunden werden. Über diese Gruben wurde in Rechnitz wahrschein­lich längst etwas gebaut. Das Unheimlich­e: Man weiß, dass es Leute gibt, die genau wissen, wo sie sind. Krautz: Die halten dicht. Das macht einem zu schaffen. Unlängst stand ich in einem Geschäft, da gab es Wein aus Rechnitz. Es wäre mir unmöglich, den zu trinken, seit ich von der Geschichte mit den Ermordeten weiß. Wein, der auf solch einem Boden wuchs! Wie weit ließen Sie sich auf den Text ein? Krautz: Ich wage nicht zu sagen, dass ich ihn zur Gänze kenne, dazu ist das Werk zu vielschich­tig. Das war auch bei der Aufführung von „Rechnitz“am Schauspiel­haus Graz so, an der ich 2012 mitgewirkt habe. Es besteht für mich ein großer Unterschie­d darin, ob ich still allein lese oder das laut bei Proben geschieht. Dort höre ich viel besser zu. Ich wüsste nicht, wie ich das inszeniere­n sollte. Lustig finde ich den Text nicht, obwohl ich bei manchen Passagen über den bösen Witz lachen musste. Sabitzer: Wir haben das Glück, mit Milosˇ einen Regisseur zu haben, der sehr konkrete Vorstellun­gen mitgebrach­t hat. Diese versuchen wir umzusetzen. Haben Sie schon Erfahrunge­n mit Jelinek? Krautz: Ich habe bisher nur in „Rechnitz“gespielt. Diese Inszenieru­ng in Wien ist ganz anders als die in Graz, und ich habe bis auf vier, fünf Zeilen einen anderen Text zu sprechen. Einen gewissen Vorteil habe ich schon, weil ich mich bereits intensiv mit diesem Werk befasst habe. Damals habe ich mir eine bestimmte Jelinek-Methode angewöhnt; ich gehe an die Sache vor allem rhythmisch und musikalisc­h heran, fast grafisch. Deshalb lerne ich meinen Part jetzt relativ schnell. Jeder macht das aber auf seine Weise. Sabitzer: „Rechnitz“ist mein erstes Jelinek-Stück, ich habe mich damit im Sommer am Gardasee intensiv befasst. Das war ein Kontrast! Es gab eine wunderbare Aussicht. Als ich meinen Gespanen daraus vorlas, haben sie sich köstlich amüsiert. Es gibt so intelligen­te Passagen, aberwitzig­e Metaphern. Jelinek ist einmalig. Gelernt habe ich den Text danach vor allem in der U-Bahn. Das war recht mühsam. Wie würden Sie dieses dichte Textgeflec­ht einem sensiblen Menschen erklären? Sabitzer: Es geht um einen Massenmord, den jeder auf der Bühne beschreibt, ohne ihn zu nennen. Alle weichen aus, keiner war dabei, und alle waren doch dabei. Wie verpacke ich die Wahrheit so, dass dabei herauskomm­t, dass ich nicht dabei war? Und dass die Botschaft dennoch ankommt? Krautz: Es geht auch um die Lüge. Und diese wiederholt sich immer und überall in der Welt. Vergangenh­eit muss überall bewältigt werden. Da greifen Lüge und Wahrheit ineinander. Wenn Sie sich ein neues Stück von Jelinek wünschten – was wäre das für eines? Sabitzer: Eines über die Liebe. Der Umgang miteinande­r ist so lieblos geworden, in unserer schönen neuen vernetzten Welt. Jeder traut sich alles zu machen, kaum einer geht jedoch noch auf den anderen ein. Sie sind in der Schweiz bzw. in Norddeutsc­hland aufgewachs­en. Empfinden Sie Jelineks Sprache als spezifisch österreich­isch?

Claudia Sabitzer

* 1971 in Deutschlan­d, aufgewachs­en in der Schweiz, in Zürich und Greifensee. Studium in Wien am SchubertKo­nservatori­um. Erste Engagement­s am Volkstheat­er und am Schauspiel­haus in Wien. 2000 bis 2005 am Nationalth­eater Mannheim, seit 2005 Ensemblemi­tglied am Volkstheat­er Wien. 1999 Förderungs­preis zur Kainz-Medaille, 2013 Auszeichnu­ng mit dem DorotheaNe­ff-Preis (als beste Schauspiel­erin).

Steffi Krautz

* 1968 in Räckelwitz in der sächsische­n Oberlausit­z. Berufsausb­ildung mit Abitur in der Landwirtsc­haft. 1988 bis 1990 Souffleuse am Theater Senftenber­g/Lausitz. Schauspiel­ausbildung an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock. Bis 1998 freischaff­end, dann bis 2006 Ensemblemi­tglied am Düsseldorf­er Schauspiel­haus, danach bis 2015 am Schauspiel­haus Graz. 2011 und 2012 Nominierun­gen für Nestroy-Preise.

Elfriede Jelineks

Stück „Rechnitz (Der Würgeengel)“wurde 2008 in den Münchner Kammerspie­len uraufgefüh­rt. Heute Premiere am Wiener Volkstheat­er um 19:30 Uhr. Krautz: Ich sehe das als totale Kunstsprac­he, obwohl Frau Jelinek natürlich völlig im Humus dieses Landes verhaftet scheint. Sie haben aber recht: In der Vermeidung, der Wiederholu­ng, dem Nicht-gerade-Sein sehe ich schon etwas, das in Österreich weit verbreitet ist. Das spiralförm­ige Umkreisen ist ein typisches Stilmittel Jelineks. Das wird ihr immer wieder vorgeworfe­n. Einer muss es ja tun: immer wieder den Finger in die Wunde legen. Dafür bewundere ich sie zutiefst. Gibt es Sätze, die Ihnen bei den Proben noch besonders schwer fallen? Sabitzer: Mir fällt das Wort Schusswaff­e nicht ein, warum auch immer. Waffe schon, Schuss nicht. Heute ist es aber gut gegangen. Unangenehm wird es auch, wenn vom Heizen die Rede ist. Und unfassbar finde ich eine Passage, in der sich jemand darüber aufregt, dass nicht nur Menschen erschossen wurden, sondern auch ein Hund. Das ist schwärzest­er Humor. Die haben tatsächlic­h den Köter abgeknallt! Sie haben im Volkstheat­er keinen Mangel an Rollen. Spielen Sie lieber in Klassikern oder in zeitgenöss­ischen Dramen? Sabitzer: Die Frage stellt sich mir nicht. Ich spiele alles gern, da bin ich wie ein kleines Schwein, fresse alles. Mich interessie­rt vor allem, mit wem ich spiele. In der Vorsaison hat hier die Intendanz von Anna Badora begonnen, die vom Schauspiel­haus Graz kam. Können Sie erzählen, wie man solch einen Umbruch erlebt? Krautz: Es ist schon hilfreich, wenn man in solch einer neuen Situation Kollegen wie Thomas Frank oder Jan Thümer an der Seite hat, mit denen ich bei Badora in Graz so viele Jahre zusammenge­arbeitet habe. Da gibt es bei mir fast blindes Vertrauen zu diesen Buddies. Inzwischen aber spüre ich bereits eine starke Verbindung zwischen Ensemble und Publikum. Seit „Alles Walzer, alles brennt“in diesem Herbst hat das für mich eine neue, schöne Qualität bekommen. Es scheint mir, dass ich nun doch hier angekommen bin. Es hat eben ein Jahr gedauert. Sabitzer: Für mich war es wunderbar. Ich musste gar nicht das Haus wechseln, um ein neues Ensemble zu haben. Es hat sich bereits in der ersten Saison gut gemischt, mit Grazern und auch mit Schauspiel­ern von woanders. Wir wurden gut durchgesch­üttelt.

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