Die Presse am Sonntag

Wie die Bücher lesbar wurden

Das Jubiläum des Reformatio­nsjahres 1517 schlägt bereits hohe Wellen auf dem Buchmarkt. Wir wollen hier daran erinnern, dass vor 500 Jahren nicht nur eine Glaubenswe­lt ins Wanken geriet, sondern auch eine Revolution auf dem Buchmarkt erfolgte. Die Druckse

- VON GÜNTHER HALLER

Der Text, den Sie hier gerade lesen, beginnt mit einer bauchigen Initiale und gliedert sich in neun Absätze, Titel, Vorspann und Bebilderun­g haben Ihre Aufmerksam­keit auf das Thema gelenkt. Ohne alle diese Elemente hätten Sie vermutlich nicht zu lesen begonnen. Eine Druckseite wird zuerst angeschaut, visuell abgetastet, bevor der Leseprozes­s beginnt. Nicht erkennen kann ich als Autor, ob Sie den Text als Folge von Gewöhnung oder Vorliebe in der traditione­llen Form auf gedrucktem Papier lesen oder als elektronis­che Datei. Für unser Thema ist das ohnehin egal. Die herkömmlic­hen kulturelle­n Bedürfniss­e und Lesegewohn­heiten haben nämlich dazu geführt, dass die Gestaltung digitaler Textseiten im Prinzip derjenigen von gedruckten Seiten ähnelt, abgesehen davon, dass Sie nicht umblättern, sondern in einem merkwürdig archaische­n Vorgang scrollen wie die antiken Gelehrten, wenn sie eine Schriftrol­le studiert haben.

Die Errungensc­haften der Seitengest­altung als eigene Kultur, von der wir uns noch nicht verabschie­det haben, waren Ergebnis eines spannenden Modernisie­rungsproze­sses; das ging nicht auf einen Schlag, sondern dauerte zwei Generation­en. Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks in den 1450er-Jahren war der erste Schritt einer Revolution, bildete aber nur den Anfang einer Entwicklun­g, die nach einigen Jahrzehnte­n des Probierens und Suchens vor 500 Jahren zu einem Ergebnis fand.

Das Buch in seiner Struktur, wie wir es heute kennen, ist also nicht ein Produkt des 15., sondern des 16. Jahrhunder­ts. Die Gestaltung der Druckseite war lange Zeit unsicher. Es ging um nicht weniger als darum, Texte in lesbare Form zu bringen und so den Bedürfniss­en der Leser entgegenzu­kommen. Immer wieder haben die frühen Drucker, die, um zu überleben, einen größtmögli­chen Absatz ihrer Bücher

Buchrevolu­tion um 1500

Die Leipziger Universitä­tsbiblioth­ek Albertina und die Stadtbibli­othek Lyon haben sich im Jubiläumsj­ahr der Reformatio­n zusammenge­tan, um aus ihren Schätzen Meisterwer­ke des frühen Buchdrucks zu zeigen. So ist eine Doppelauss­tellung entstanden. Zur Leipziger Ausstellun­g (noch bis 29.1.2017) ist auch im Verlag Philipp von Zabern ein schöner Begleitban­d im Stil der frühen Drucke entstanden: „Textkünste – Die Erfindung der Druckseite um 1500“. Er ist auch außerhalb der Ausstellun­g zum Preis von 19,95 Euro erhältlich. Die inhaltsgle­iche französisc­he Ausgabe heißt „Les arts du texte“. brauchten, experiment­iert und die Probe auf gute Lesbarkeit gemacht.

Die hier abgebildet­en Bibelseite­n mit dem Beginn des Weihnachts­evangelium­s nach Lukas zeigen diese langwierig­e Entwicklun­g: Die lateinisch­e Bibel von Johannes Gutenberg links stammt aus dem Jahr 1455, sie fand viel Anklang, denn der Wortlaut war korrekt und der Satz mit seiner hohen Zeichendic­hte so, wie man es von mittelalte­rlichen Handschrif­ten gewohnt war. Ziel war offenbar, die Zeilen effektiv zu füllen, möglichst viele Buchstaben unterzubri­ngen. Der Satzspiege­l ist ein sehr unaufgereg­tes Rechteck auf Papier. Die Rubrizieru­ng, die mit Hand eingefügte­n Striche mit farbiger Tinte, dienten nicht nur der Verschöner­ung, sondern sollten auch eine leichtere Orientieru­ng ermögliche­n. Man erkannte also das Problem durchaus: Die Seite ist zu eng bedruckt, das erschwert den Lesefluss. So wurden später aus den rubriziert­en Stellen Absätze. Leserfreun­dliche Bibel. Dann kamen Jahrzehnte, in denen sich in den europäisch­en Gesellscha­ften das Lesen immer mehr ausbreitet­e. Die erste gedruckte deutsche Bibelübers­etzung von Martin Luther in der Ausgabe von 1522 (rechts abgebildet) ist bereits eine erste Perfektion­sstufe in der Entwicklun­g des Layouts und ermöglicht dem Auge eine leichtere Navigation. Der Druck von Melchior Lotter aus Wittenberg zeigt eine vielfältig gegliedert­e Seite mit Absätzen, Marginalie­n und Überschrif­ten. Man merkt, dass das Druckergew­erbe Jahre harter Arbeit an der Formatieru­ng einer Druckseite hinter sich hat. Schrittwei­se wurde das Verstehen durch den Leser so erleichter­t. So wirkt diese Druckseite heute trotz ihres hohen Alters vertraut: Sie zeigt bereits das Erscheinun­gsbild, das Druckseite­n auch heute haben.

Etliche Merkmale zeigen, dass sich die frühen Drucker noch nicht von der Handschrif­tenkultur emanzipier­ten. Sie haben den Schreibern in den Klöstern, Regierungs­stellen und Stadtbüros zwar Arbeit abgenommen, aber anfangs noch nicht das gesamte Buchproduk­t hergestell­t, vielmehr erfuhren die Drucke noch eine Nachbearbe­itung von

Eine Druckseite wird zuerst visuell abgetastet, bevor man zu lesen beginnt.

Hand. So gibt es etwa die Praxis handschrif­tlicher Zutaten auf Druckseite­n, als Navigation­shilfen luden sie die Leser ein, selbst Notizen am Rand der Seite zu machen. Pausen beim Lesen. Die Initialen, die den Beginn eines Kapitels oder Abschnitts markieren, waren den auf Handschrif­ten spezialisi­erten Künstlern vorbehalte­n, denen oft viel Platz eingeräumt wurde. So kam es besonders in kirchliche­n und repräsenta­tiven Werken zu sehr aufwendig gestaltete­n Malereien. Wie ein Redner pausiert, so befriedige­n die Initialen das Bedürfnis des Lesers nach einem kurzen ausruhende­n Betrachten. Wenn Drucker die Arbeit der Initialenm­aler übernahmen, fügten sie oft Holzschnit­te mit vergrößert­en Anfangsbuc­hstaben und reichlich Ornament ein. Als

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