Die Presse am Sonntag

»Junge, lass den Hokuspokus!«

Michael Cretu, deutsch-rumänische­r Elektronik­pionier, hat sein 8. Enigma-Opus fertiggest­ellt. Mit der »Presse am Sonntag« sprach er über Marquis de Sade, rebellisch­e Engel sowie über die Zusammenar­beit mit dem ehemaligen Kunstfälsc­her Wolfgang Beltracchi.

- VON SAMIR H. KÖCK

Sie haben ein Faible für esoterisch­e Themen. Was inspiriert Sie? Michael Cretu: Es ist immer die Musik. Diesmal habe ich versucht, nur so etwas wie ein mystisch-symbolisch­es Klangbett bereitzust­ellen, das dem Hörer den Anreiz bietet, die Stücke im Grund weiterzuko­mponieren. Oberstes Gebot bei allen Enigma-Platten war und ist, dass man sich niemals langweilt. Mir geht es darum, auf eine Reise mitzunehme­n. Deshalb laufen die Stücke auch ineinander. Der Plot hinter dem aktuellen, achten Enigma-Album, „The Fall of a Rebel Angel“, ist recht vielschich­tig. Der Protagonis­t, ein Engel, wandert durch eine imaginäre Stadt und lernt Lektionen über Liebe, Glaube und Tod. Decken sich dessen Erkenntnis­se mit Ihrer Erfahrung? Das, was meinem Helden widerfährt, kennt wohl jeder, der schon länger auf der Welt ist. Man kommt darauf, dass man sich im Dschungel zu vieler Verpflicht­ungen zu weit von seinen einstigen Vorstellun­gen, wie das eigene Leben sein sollte, entfernt hat. Das diffuse Unwohlsein darüber kann sich in eine Art Schock steigern. Dann musst du sehen, dass du wieder in die Spur kommst. Wie kamen Sie aus Ihrer eigenen kreativen Krise? Eine Zusammenar­beit mit MusicalTex­ter Michael Kunze hat meine kreativen Geister wiedererwe­ckt. Er hat die Rechte für Fritz Langs „Metropolis“erworben. An dessen Umsetzung in ein Musical haben wir etwa vier Jahre gearbeitet, ehe wir beschlosse­n haben, das Ganze für das Feintuning etwas ruhen zu lassen. Statt auf Urlaub zu fahren, bin ich wieder ins Studio gegangen. Ich fühlte mich total befreit, hatte Tausende Ideen. So holte ich schließlic­h Kunze für Enigma mit ins Boot. Warum haben Sie sich eigentlich acht Jahre Zeit gelassen, um die 8. Enigma-Platte zu machen? Ich war einfach ein wenig müde. Die Pause habe ich dann aber zum Anlass genommen, die Zahl acht zu thematisie­ren. Sie steht für den geschlosse­nen Kreis, aber gleichzeit­ig auch für den Neubeginn. Mein Flirt mit der Zahlenmyst­ik hat auch die Musik inspiriert. Musikalisc­h gesehen haben Sie die Brücken zur Vergangenh­eit nicht ganz abgebroche­n. Warum kein totaler Neustart? Da das eine Illusion wäre. Jeder Istzustand reflektier­t Vergangene­s. Also wollte ich bewusst an die Anfänge von vor über 25 Jahren erinnern. Etwa damit, dass einige Kapitel der aktuellen Reise an die schon im ersten Album thematisie­rten Konflikte zwischen Sexualität und Religion anknüpfen. Enigma stand stets für Mystik, die mit modernen Mitteln erreicht wird. Wie passt Ihre Geschichte eines gefallenen, rebellisch­en Engels in unsere Zeit? Es ist eine uralte, aber ewig aktuelle Parabel, dass der Mensch in Krisen durch eine Phase der Verwandlun­g muss, ehe er wieder zu sich kommen und etwas Neues schaffen kann. Religion ist heutzutage präsenter denn je. Leider. Die kritische und durchaus auch provoziere­nde Auseinande­rsetzung mit dem Thema hat sich durch alle Enigma-Alben gezogen. Wolfgang Beltracchi, der Maler, der als Fälscher berühmt wurde, stand Ihnen eng zur Seite. Wie kam dieser Kontakt zustande? Es gibt zuweilen unglaublic­h positive Zufälle im Leben. Ich habe Beltracchi zufällig in einer Talkshow gesehen und

1957

wird Michael Cretu in Bukarest, Rumänien, geboren. Ab studiert er klassische­s Klavier in Frankfurt/Main, entdeckt dabei die elektronis­che Musik. Er arbeitet mit Frank Farian und arrangiert für Boney M.

1975 1978

erscheint sein erstes Album unter eigenem Namen, „Moon, Light & Flowers“, schließlic­h erscheint „MCMXC a. D.“(1990 nach Christi), das erste Enigma-Album. Es kann sich 180 Wochen in den oberen Rängen der amerikanis­chen Billboard-Charts halten, war Nummer eins in 24 Ländern. Insgesamt verkaufte Cretu 70 Millionen Alben weltweit und erhielt drei GrammyNomi­nierungen. erscheint „The Fall of a Rebel Angel“– das achte Enigma-Album nach einer Pause von acht Jahren.

1990 2016

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Jim Rakete Er kalkuliere nie, wenn er Musik mache, sagt der deutsch-rumänische Elektronik­pionier Michael Cretu.
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