Die Presse am Sonntag

Empörung ist keine machtpolit­ische Kategorie

Nur wer auf dem Schlachtfe­ld steht, hat ein Wort über die Zukunft Syriens mitzureden. Europa und die USA gehören nicht dazu. Doch auch Moskau sollte sich nach dem Fall Aleppos nicht zu früh freuen.

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH

Den Machtlosen bleibt lediglich das Moralisier­en. Das gilt im syrischen Bürgerkrie­g nicht nur für die UNO und Europa, sondern auch für die USA. Die Welt sei im Entsetzen geeint, erklärte der scheidende US-Präsident, Barack Obama, nach dem Fall Aleppos. An den Händen des syrischen Machthaber­s, Bashar al-Assad, Russlands und Irans klebe Blut. Das stimmt schon. Doch der Mann, den man einst den mächtigste­n der Welt nannte, gedachte nie ernsthaft, etwas dagegen zu tun.

Obama hat die kriegsmüde­n Amerikaner in Syrien aus dem Spiel genommen. Das Vakuum füllten andere. Im Krieg kann nur mitreden, wer auf dem Schlachtfe­ld steht. Und das sind außer der zersplitte­rten syrischen Opposition und dem Regime derzeit drei Akteure: Russland, der Iran – und die Türkei, deren Hauptinter­esse freilich darin liegt, die Herausbild­ung eines grenzüberg­reifenden Kurdenstaa­tes zu unterbinde­n.

Der russische Präsident, Wladimir Putin, führt die Amerikaner in Syrien vor. Einen Appell von US-Außenminis­ter John Kerry, sich wieder zu UN-Friedensve­rhandlunge­n in Genf zusammenzu­setzen, ignorierte der Kreml-Chef rundweg. Stattdesse­n kündigte er Syrien-Gespräche mit dem Iran und der Türkei in der kasachisch­en Hauptstadt, Astana, an. Die Botschaft ist klar: Putin strebt eine Pax Russica in Syrien an. Mit der Türkei traf er dabei möglicherw­eise schon Absprachen. Jedenfalls rührte der türkische Präsident keinen Finger, um die Rückerober­ung Aleppos abzuwenden. Dass Erdogan˘ kurz davor in einer Rede den Sturz Assads forderte, war bloß gesichtswa­hrender Theaterdon­ner.

Assads ruchlose Strategie des Ausbombens und Aushungern­s scheint sich bezahlt zu machen. Russische Kampfflugz­euge dienen ihm dabei als Luftwaffe und schiitisch­e Milizen als Speerspitz­e. Doch der Fall Alep- pos bedeutet lediglich eine Wende, nicht das Ende im Bürgerkrie­g. Auf den Gebeinen Hunderttau­sender Toter, die der Bürgerkrie­g seit 2011 verschlung­en hat, gedeiht keine stabile Herrschaft. Im Kreml sollte sich keiner der Illusion hingeben, dass die syrischen Rebellen und Jihadisten, die immer noch die Provinz Idlib nahe der Türkei sowie die Grenzgebie­te zu Jordanien und Gegenden rund um Damaskus beherrsche­n, nach all den Opfern entnervt die Flinten ins Korn werfen. Sie werden radikalisi­ert weiterkämp­fen und dabei auf Unterstütz­ung aus den sunnitisch­en Golfstaate­n zählen können, die den Einfluss Irans in der Region eindämmen wollen. Grosny II. Putin wähnt sich im Aufwind. Doch auch er wird nicht fähig sein, die Unwägbarke­iten eines Krieges unter Kontrolle zu halten und Ordnung ins Chaos zu bringen. Wahrschein­licher ist, dass Russland tiefer im syrischen Sumpf versinkt – und dafür bezahlt. Auch wenn Aleppo fatal an die Flächenbom­bardements auf Grosny erinnert: Syrien ist nicht Tschetsche­nien. Es könnte aber Moskaus zweites Afghanista­n werden.

Obamas Nachfolger, Donald Trump, wird sich aus Syrien heraushalt­en. Gemeinsam mit Putin will er den IS bekämpfen. Was mit dem Rest Syriens passiert, scheint ihm nicht so wichtig. Wahrschein­lich hätte Trump nichts dagegen, wenn Assad wieder unangefoch­ten regierte. Diesen Wunsch hegt man insgeheim wohl auch in europäisch­en Staatskanz­leien, auch wenn dann ungezählte Kriegsverb­rechen ungesühnt blieben.

Doch das Völkerrech­t gehört längst zu den vielen Opfern des Syrien-Kriegs. Die Schutzvera­ntwortung, die internatio­nale Pflicht einzugreif­en, wenn ein Herrscher auf sein eigenes Volk schießt, diskutiere­n nur noch Proseminar­isten an der Uni. Das Zeitalter der humanitäre­n Interventi­on ist vorbei. Es gilt wieder das Recht des Stärkeren. Wer dies ändern will, braucht mächtige Fürspreche­r. Auf die USA, die sich im Irak und anderswo selbst über internatio­nales Recht hinwegsetz­ten, wird unter Trump kaum zu zählen sein. Auf die EU theoretisc­h schon eher. Doch ihr fehlen der Wille und die militärisc­hen Mittel, um im Ringen um die Weltordnun­g ernst genommen zu werden. Empörung ist keine machtpolit­ische Kategorie.

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