Die Presse am Sonntag

Moskaus »sauberer« Krieg in Syrien

Die Kreml-Medien berichten seit mehr als einem Jahr über die russische Interventi­on als Erfolgsges­chichte. Doch nicht alle Fragen werden beantworte­t.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

digt. Nicht umsonst warnte Staffan de Mistura, UN-Spezialges­andter für Syrien: „Idlib wird das nächste Aleppo, wenn es keine politische Lösung gibt.“Die Flüchtling­e aus Aleppo sind einer Schlacht entronnen, dem Krieg nicht. Kein Tag ohne Bomben. „Es vergeht kein Tag, an dem nicht eine Bombe fällt“, berichtet Nour Hallak aus IdlibStadt am Telefon. „Wir werden von allen bombardier­t.“Die Russen würden Truppen im Feld angreifen, die syrische Luftwaffe vorwiegend Zivilisten; die Flugzeuge der westlich geführten internatio­nalen Koalition schießen auf Rebellenfü­hrer. „Eine Rakete auf ein Fahrzeug oder Haus, schon ist der Jet wieder weg“, erzählt Nour, der sich als Aktivist der Revolution bezeichnet. Jedoch ist er keiner der selbsterkl­ärten Journalist­en, die nur Propaganda verbreiten: Der 28-Jährige hat Management studiert und versucht das den Mitglieder­n der Stadtverwa­ltung und Organisati­onen der Zivilgesel­lschaft beizubring­en. „Eine funktionie­rende Verwaltung ist sehr wichtig, wenn es keine Regierung gibt.“

„Natürlich ist mir klar, dass wir jetzt in Idlib dran sind“, sagt er. Das Regime und seine schiitisch­en Schergen, so Nour, hätten bei Aleppo über 50.000 Mann im Einsatz gehabt. „Ein Großteil davon wird nun frei, die schicken sie garantiert auf uns los.“Eine Chance auf erfolgreic­he Verteidigu­ng sieht er nicht. Man habe in Aleppo gesehen, wozu Russlands Luftwaffe fähig ist. „Solange wir nicht tot sind, geben wir die Hoffnung aber nicht auf. Vielleicht werden wir auch nur, zumindest vorübergeh­end, ein großes Freiluftge­fängnis wie der Gaza-Streifen.“ Assads Machtbasis ist gesichert. Nour könnte Recht behalten, nachdem der IS jüngst die Oasenstadt Palmyra in Zentralsyr­ien erneut erobert hat. Bevor Russland und die syrische Armee Idlib angreifen, würden sie wohl versuchen, Palymra wieder zu sichern. Es ist aber unwahrsche­inlich, dass sich das Regime auf Dauer mit dem Status quo von heute abfindet, obwohl es seine Machtbasis entlang des Mittelmeer­s bis zum Libanon gesichert hat. Präsident Bashar Assad betonte immer wieder, er werde nicht eher Ruhe geben, bis er „jeden Zentimeter syrischen Bodens befreit“habe. Es kommt allerdings auch auf Moskau an.

Bisher sind in Idlib rund 5000 Flüchtling­e angekommen, wie Nour bestätigt. 700 davon seien Verwundete gewesen, die man in die Türkei transporti­erte. Nun wartet Idlib auf den Ansturm aus Aleppo. „Wir bekamen dort von den Rebellen Informatio­nen, dass wir mit mindestens 50.000 Leuten rechnen müssen.“Auf diese warten einige notdürftig eingericht­ete Lager. Auskommen mit den Islamisten. Von den radikalen Islamisten in Idlib scheint Nour indes nicht begeistert zu sein, aber er muss mit ihnen auskommen. „Ich nehme kein Blatt vor den Mund, aber ich vermeide, Dinge zu sagen, die mich ins Gefängnis bringen könnten.“Für eine Distanzier­ung der moderaten Rebellen von Jihadisten sei es seiner Meinung nach zu spät. Es sei viel wichtiger, dass es endlich eine einzige Militärfüh­rung und Gegenregie­rung gäbe. Bisher würde jede Fraktion auf ihre eigene Miliz, Verwaltung und Rechtssyst­em pochen. „Damit kommt man nicht weit“, meint Nour, der sich Einigkeit wünscht. Dann werde alles effiziente­r und reibungslo­ser funktionie­ren. „Und Radikale hin oder her“, beharrt er überzeugt, „wenn ich schon sterben muss, dann ziehe ich es vor, in Einigkeit zu sterben statt in zersplitte­rten Gruppen.“

Er lacht wieder und sagt, er müsse jetzt weg. Es gebe noch viel für die Flüchtling­e zu tun. Angst und Sorge vor dem nahen Tod in einer Killbox klingen anders. Berichte vom erfolgreic­hen Einsatz der russischen Armee und Luftwaffe im Bürgerkrie­gsland Syrien gehören seit mehr als einem Jahr zu den Hauptakzen­ten der russischen Auslandsna­chrichten. Vor allem staatliche und staatsnahe TV-Kanäle präsentier­en Bilder einer „eleganten“militärisc­hen Kampagne. Journalist­en begleitete­n die offizielle Ankunft der Luftwaffe im vergangene­n Herbst, interviewt­en Piloten der Luftwaffen­basis Hmeimim nahe Latakia, zogen mit syrischen Soldaten in den aufreibend­en Kampf gegen Rebellen im Hinterland und meldeten die Vertreibun­g des Islamische­n Staates (IS) aus Palmyra.

Höhepunkt der patriotisc­hen Berichters­tattung war zweifellos das von Valerij Gergijew dirigierte klassische Konzert im Amphitheat­er Palmyras, das als Sieg der zivilisier­ten Welt über die Barbarei dargestell­t wurde und zu dem das Verteidigu­ngsministe­rium Medienvert­reter in die dem IS abgetrotzt­e Ruinenstad­t eigens einflog.

Seit Mitte der Woche gibt es neue Bilder aus dem syrischen Bürgerkrie­g, die in den Staatsmedi­en verbreitet werden: Drohnenauf­nahmen von RT Ruptly, der Videonachr­ichtenagen­tur des TV-Senders RT, zeigen das unglaublic­he Ausmaß der Zerstörung im nordsyrisc­hen Aleppo. Die über der Stadt gleitende Drohne sichtet menschenle­ere Straßenzüg­e, Schutthauf­en und zerbombte Häuser.

Dass die Stadt in Trümmern liegt, ist freilich unter anderem dem unnachgieb­igen Bombardeme­nt durch Regierungs­truppen und die russische Luftwaffe geschuldet. Doch über die Zahl der zivilen Opfer und die Frage der russischen Verantwort­ung erfährt man nichts in den Staatsmedi­en. Etappensie­g für Assad. Für die KremlMedie­n ist die menschenle­ere Stadt sowie die Verbringun­g der Kämpfer und Zivilisten aus dieser eine weitere wichtige Erfolgsepi­sode der russischen Interventi­on in Syrien. Ostaleppo, so der Tenor der Berichte, ist nun frei von Terroriste­n; die Russische Föderation leistet der friedliebe­nden Zivilbevöl­kerung humanitäre Hilfe; der legitime Präsident Bashar al-Assad hat mit der „Befreiung“der Großstadt Aleppo einen wichtigen Etappensie­g errungen.

Der russische Einsatz in Syrien verfolgt an der Heimatfron­t mehrere Ziele: Russland habe seine Rolle als Weltmacht wiedererla­ngt, wird suggeriert, ohne das Land sei kein Frieden zu machen; während Moskau für das Gute kämpfe, halte sich der Westen feige heraus oder unterstütz­e gar Terroriste­n. „Sauberer“Krieg, auch mit Söldnern. Anders als in der Teilrepubl­ik Tschetsche­nien, wo Moskau mit Bodentrupp­en präsent war und Berichte über einen „schmutzige­n“Krieg das heroische Image störten, erscheint die Interventi­on in Syrien sauber, technisch hochgerüst­et und aus sicherer Distanz. Doch die vom Kreml kontrollie­rten Medien erzählen auch hier nur einen Teil der Wahrheit. Während man offiziell in blutige Kampfhandl­ungen am Boden nicht involviert ist und offiziell erst 23 Tote verzeichne­t, sprechen Berichte über vom Militärgeh­eimdienst GRU beauftragt­e Söldnertru­ppen für besonders schwierige Offensiven eine andere Sprache: Mehrere unabhängig­e Medien wie etwa die für ihre Investigat­ivberichte bekannte Wirtschaft­szeitung RBK berichtete­n bereits über die Gruppe Wagner, ein (in Russland offiziell verbotenes) Söldnerunt­ernehmen. Laut RBK sollen im Jahr 2016 bis zu 1600 Söldner in russischen Diensten in Syrien stationier­t gewesen sein.

In der Vorwoche sah man den inoffiziel­len Chef der Gruppe, Dmitrij Utkin, bei einem Festempfan­g zu Ehren der Helden des Vaterlande­s im Kreml. Utkin hat laut mehreren Quellen mit seinen Bewaffnete­n auch aufseiten der Separatist­en im ostukraini­schen Donbass gekämpft. Ebenfalls in der Vorwoche wurde bekannt, dass Angehörige der tschetsche­nischen Spetsnaz-Bataillone „Osten“und „Westen“nach Syrien verschickt wurden – offiziell als Militärpol­izei zur Bewachung von Armeeobjek­ten. Am Mittwoch entschied die Staatsduma, dass Wehrdienst­leistende und Reserviste­n per Vertrag künftig für kurze Zeit an Brennpunkt­e im Ausland verschickt werden können.

Über die Folgen dieser Vorgänge ist in den Kreml-Medien wenig bis nichts zu lesen. Und auch eine weitere Frage bleibt unbeantwor­tet: die nach der Zukunft und den Folgen des russischen Feldzugs in Syrien. „Moskau wird schrittwei­se in den militärisc­hen Konflikt verstrickt“, schreibt der Analyst des Moskauer Carnegie-Zentrums, Nikolaj Koschanow, in einem Papier, „Russland versucht noch, per Informatio­nspolitik diesen Prozess zu tarnen, aber dies wird immer schwierige­r“.

»Solange wir nicht tot sind, geben wir die Hoffnung nicht auf.« Ostaleppo, so der Tenor der Medienberi­chte, ist endlich terroriste­nfrei.

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AFP Aus einer Kampfzone in Aleppo entkommene Syrer feiern ihre Ankunft in angrenzend­en Rebellenge­bieten.

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