Die Presse am Sonntag

Hanf: Der grüne Goldrausch in Österreich

Alexander Kristen ist Österreich­s größter Hanfbauer. Er zog vor die Verfassung­srichter, weil er Cannabis als Medizin anbauen wollte – und verlor. Aufgeben will der Unternehme­r aber nicht. Er rüstet sich für den grünen Boom. Mit Marihuana aus dem Labor.

- VON MATTHIAS AUER

Das ist nicht Jamaika, sondern ein normaler Produktion­sbetrieb.“Es hat gute Gründe, warum Alexander Kristen das erwähnt. Der 45-Jährige steht in einer Lagerhalle im Süden von Wien – rings um ihn ein Meer aus meterhohen Cannabispf­lanzen. „Das sind meine Mutterpfla­nzen“, erzählt Österreich­s größter Hanfbauer. Über tausend Triebe schneidet ihnen jeder Mitarbeite­r täglich ab, setzt sie ein und zieht sie zu neuen Pflanzen heran. Gut 25.000 Hanfsteckl­inge verkauft Kristens Firma, Flowery Field, jede Woche in ganz Österreich. Als Zierpflanz­en, wohlgemerk­t.

Sie darf man in Österreich nämlich legal besitzen. Erst der Besitz und der Konsum von Marihuana, den getrocknet­en Blüten der Hanfpflanz­e, sind verboten. Problemati­sch wird es also immer dann, wenn die Hobbygärtn­er die Pflanzen zu Hause zum Blühen bringen. Dass viele der Kunden genau deshalb Hanfsteckl­inge einkaufen, ist ein offenes Geheimnis. Bis vor wenigen Jahren hatten die Produzente­n deshalb regelmäßig Besuch von der Polizei. Ihnen wurde eine Beitragstä­terschaft zur illegalen Drogenprod­uktion vorgeworfe­n. Alexander Kristen wechselte 2004 direkt vom Jusstudium in die Branche. Dass es klare Grenzen geben müsse, war ihm von Beginn an klar: „Keine Papers, keine Wasserpfei­fen, keine Drogenbera­tung“, lautet die Regel. Lässt sich einer der 35 Mitarbeite­r doch dazu hinreißen, einem Kunden illegale Anbautipps zu geben, muss er gehen. Doch spätestens seit das Oberlandes­ge- richt dem Unternehme­r 2014 quasi einen Persilsche­in für sein Geschäftsm­odell ausgestell­t hat, hebt die Branche in Österreich ab. Kristen selbst setzt jährlich mehrere Millionen Euro mit seinen Cannabispf­lanzen um. Und seit halb Amerika legal Cannabis konsumiere­n darf und das „Wall Street Journal“oder der „Economist“seitenweis­e Berichte über die Multimilli­ardendolla­rbranche bringen, drängen auch in Europa mehr Unternehme­r auf den Markt. Im Monatstakt öffnen neue Hanfshops und Stecklings­züchter. An Kunden mangelt es zumindest dem Veteran Flowery Field nicht. Oktober und November zählen zur Hochsaison, so der Firmengrün­der. „Damit alle Weihnachte­n entspannt verbringen können.“ Altbekannt­e Medizin. Anders als die meisten Kollegen tritt er nicht für eine komplette Legalisier­ung der Droge ein. „Ich bin kein Don Quichotte“, sagt Kristen. „Ich kämpfe lieber für etwas, was auch realistisc­h ist: Hanf als Medizin.“Im 19. Jahrhunder­t war die schmerzsti­llende und krampflöse­nde Heilpflanz­e das meistversc­hriebene Medikament in Österreich­s Apotheken. Mittlerwei­le sind die positiven Wirkungen der unterschie­dlichen Inhaltssto­ffe vor allem für Schmerzpat­ienten gut belegt. Der unkontroll­ierte Konsum in jungen Jahren kann zwar Psychosen mitauslöse­n und die Merkfähigk­eit beeinträch­tigen. Therapeuti­sch dosiert bestätigen Ärzte aber stimmungsa­ufhellende, appetitanr­egende, schmerzsti­llende oder augeninnen­drucksenke­nde Wirkungen.

Viele Länder haben Cannabis als Medizin längst wiederentd­eckt. Die meisten US-Bundesstaa­ten setzen Cannabis als Medizin ein. In Europa bereiten Irland und die Türkei die Zulassung vor. Kanada will Hanf komplett freigeben. Die Niederland­e, Tschechien und Portugal strafen den Eigenbrauc­h nicht mehr. Und ab 2017 legalisier­t auch Deutschlan­d die Hanfproduk­tion für medizinisc­he Zwecke. Mit dem richtigen Rezept können die Deutschen dann Marihuana aus Deutschlan­d in der Apotheke kaufen.

In dieses Geschäft will auch Alexander Kristen groß einsteigen. Einfach ist es nicht. Zwar sind auch in Österreich bestimmte Arzneien auf Cannabisba­sis erhältlich. Doch anders als in Deutschlan­d hat sich der Staat das Monopol auf die Cannabispr­oduktion gesichert. Nur die Agentur für Ernährungs­sicherheit (Ages) darf Hanfblüten erzeugen und diese dann in Deutschlan­d weitervera­rbeiten lassen. Damit wollte sich der Beinahejur­ist Kristen nicht abfinden. Im Frühjahr zog er daher vor den Verfassung­sgerichtsh­of, um das Monopol der Ages zu brechen – und verlor. Diese Woche wies der Verfassung­sgerichtsh­of den Antrag ab. Gras aus dem Glas. Das Ende seines Kampfes ist das aber nicht. Nach Schätzunge­n von Kurt Blaas, einem praktische­n Arzt, der sich seit fast zwanzig Jahren für Cannabisme­dizin einsetzt, werden in Österreich 7000 bis 10.000 Patienten mit Cannabisme­dikamenten versorgt. Nachfrage stark steigend. Die Preise, die sie in der Apotheke bezahlen müssten, seien aufgrund des Ages-Monopols stark überzogen, klagt der Unternehme­r. Bis zu 600 Euro kostet eine Monatsrati­on, die Krankenkas­se zahlt nur einen Bruchteil. „Es ist nicht einzusehen, warum sich ein Pa- Im Labor wächst aus Stammzelle­n neuer Hanf heran. tient sein Medikament illegal auf der Straße besorgen muss“, so Kristen. Die Zukunft, ist er sicher, müsse auch in Österreich anders aussehen.

Und für diese Zukunft will er gerüstet sein. Seine Lagerhalle­n voller Mutterpfla­nzen wird er dann nicht mehr brauchen. Denn nach zehn Jahren Forschung hat der Hanfproduz­ent geschafft, was noch keinem in Europa geglückt ist: Er hat er die Stecklings­produktion vom Gewächshau­s ins Labor verlagert und erzeugt seine Hanfpflanz­en jetzt in vitro.

Stolz führt der Unternehme­r in das neue Herzstück seines Betriebs: ein paar sterile Laborräume, in denen eine chinesisch­e Biochemike­rin in den vergangene­n Jahren die Genetik der stärksten Mutterpfla­nzen entschlüss­elt hat, ihnen Stammzelle­n entnimmt und sie mittlerwei­le beliebig klonen kann. Gleich nebenan ein kleiner, kahler Lagerraum, in grelles Neonlicht getaucht. Hier denkt niemand an Jamaika.

Dabei ist auch dieser Raum randvoll mit Marihuanap­flanzen. Zigtausend­e junge Hanfpflanz­en stehen in

In Österreich hat der Staat das Monopol auf die Produktion von Marihuana als Medizin.

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Clemens Fabry Auch diese Pflanze wurde im Labor gezüchtet – vor knapp drei Monaten.
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