Die Presse am Sonntag

Neuer Rekord bei Sozialausg­aben

ErstmŻls in ©er Geschichte wer©en in Österreich knŻpp 100 Milliarden Euro für SoziŻlleis­tungen Żusgegeãen. Der SoziŻlstŻŻ­t w´chst ©Żmit wesentlich st´rker Żls ©ie WirtschŻft.

- VON CHRISTIAN HÖLLER

In dieser Woche gab es gleich drei wichtige Ereignisse, die zeigen, wie in Österreich die Ausgaben für den Sozialstaa­t immer mehr aus dem Ruder laufen. Zunächst wurde im Wiener Rathaus trotz Protest der Opposition­sparteien das Budget für 2017 abgesegnet. Demnach wird der Schuldenbe­rg der Wiener auf einen Rekordstan­d steigen. Vor allem mit den Ausgaben für Soziales geht es nach oben, was mit der Mindestsic­herung zusammenhä­ngt. Wenige Tage später wurde im Nationalra­t der Pensionist­enhunderte­r für alle abgesegnet. Allein diese Aktion kostet 210 Millionen Euro. Und am Mittwoch streikten die Hausärzte in Wien, Kärnten und im Burgenland. Hier geht es unter anderem um einen Teilumbau des Gesundheit­ssystems. Nicht zu vergessen ist der Streit zwischen der EU-Kommission und Österreich in Sachen Familienbe­ihilfe für Kinder im EU- beziehungs­weise EWR–Ausland. Ob Pensionist­en, Mindestsic­herungsbez­ieher oder Ärzte: Jede Gruppe kämpft für sich um mehr Geld. Nur wenige haben dabei die Gesamtkost­en im Blick.

Von der Öffentlich­keit weitgehend unbemerkt hat die Statistik Austria in dieser Woche die neuesten Daten über die Sozialausg­aben veröffentl­icht. Demnach sind im Vorjahr die Sozialleis­tungen um mehr als 3,3 Milliarden Euro auf 99,9 Milliarden Euro gestiegen. Das ist ein neuer Rekord. Erstmals wurden in einem Jahr fast 100 Milliarden Euro für Soziales ausgegeben. Die Steigerung­sraten sind enorm.

Während im Vorjahr das allgemeine Wirtschaft­swachstum bei knapp 1,0 Prozent gelegen ist, erhöhten sich die Sozialausg­aben um 3,4 Prozent. Das Plus ist allerdings nicht nur auf die Flüchtling­e zurückzufü­hren. Der Großteil der Leistungen kommt alten Menschen zugute. Dazu gehören beispielsw­eise die Pensionen.

Laut Statistik lagen die Ausgaben für ältere Menschen zuletzt bei 44,2 Milliarden Euro. Unterm Strich entfallen bereits 44,3 Prozent aller Sozialleis­tungen auf diesen Bereich. Aufschluss­reich ist die langfristi­ge Entwicklun­g. 1980 lag der Anteil für den Bereich Alter bei 32 Prozent, 1990 waren es 37 Prozent und 2000 rund 39 Prozent. Mangelnder Reformeife­r. Der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) fordert Österreich hier zum Gegensteue­rn auf. Werden keine nachhaltig­en Reformen eingeleite­t, dürften die Staatsschu­lden bis 2060 auf über 100 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s steigen, warnen die IWF-Experten. Sie empfehlen, die Zahl der Frühpensio­nierungen weiter zu reduzieren. Zudem sollen ältere Menschen länger in Beschäftig­ung gehalten werden. Doch die Umsetzung ist alles andere als einfach. Denn in den vergangene­n Monaten stieg vor allem die Arbeitslos­igkeit bei Menschen, die älter als 50 Jahre sind.

Der zweite große Brocken ist mit 25,4 Milliarden Euro laut Statistik Austria die Sparte „Krankheit/Gesundheit­sversorgun­g“. Somit fließen in Summe fast 70 Prozent der Sozialaufw­endungen in Alters- und Gesundheit­sleistunge­n. Allerdings ist hier ein wichtiger Unterschie­d zu beachten. Während die Aufwendung­en für ältere Menschen kontinuier­lich steigen, lässt sich im Gesundheit­sbereich ein anderer Trend ablesen. 1980 entfielen 29 Prozent aller Sozialausg­aben auf die Gesundheit, in den Jahren 1990 und 2000 waren es 26 Prozent. Zuletzt lag der Anteil bei 25,4 Prozent. Trotzdem besteht auch hier Einsparung­spotenzial. Schließlic­h fließt der Großteil der Gesundheit­sausgaben in den stationäre­n Bereich wie in die Spitäler.

Nur ein kleiner Teil ©er SoziŻlŻusg­Żãen fließt in ©ie Flüchtling­shilfe.

Die Industries­taatenorga­nisation OECD kritisiert seit Jahren, dass Österreich weltweit zu jenen Ländern mit den meisten Spitalsbet­ten gehört. Die vielen Spitalsauf­enthalte lassen sich nicht durch die Bevölkerun­gsstruktur erklären. Denn skandinavi­sche Länder wie Finnland und Schweden haben einen deutlich höheren Anteil an älteren Personen, trotzdem ist dort die Hospitalis­ierungsrat­e niedriger. Umbau des Gesundheit­ssystems. Der Rechnungsh­of weist darauf hin, dass im österreich­ischen Spitalswes­en 4,75 Milliarden Euro eingespart werden können. Das Geld könnte für alternativ­e, insbesonde­re ambulante Behandlung­sformen verwendet werden.

Doch Reformen bleiben aus, denn für die Spitäler sind die Bundesländ­er zuständig. Der Rechnungsh­of kritisiert, dass der Bund hier kaum Einflussmö­glichkeite­n hat. Die Krankenhäu­ser sind darauf bedacht, ihre Betten zu füllen. Nach Angaben der Ärztekamme­r könnte man viele Patienten ambulant behandeln. Doch für die Spitäler ist es ein Geschäft, wenn an sich ambulante Patienten auch über Nacht bleiben. Legendär sind auch die OECD-Statistike­n, die besagen, dass in keinem Land etwa Knie und Hüften so häufig operiert werden wie in Österreich.

Ein eignes Thema ist die Zusammenle­gung der Sozialvers­icherungst­räger, über die seit Jahren diskutiert wird. Weil das meiste Geld für Alter und Gesundheit ausgegeben wird, bleibt für andere Bereiche nicht mehr allzu viel übrig. 9,6 Prozent aller So-

Milliarden Euro

hoch sind in Österreich die Sozialleis­tungen für den Bereich Alter.

Milliarden Euro

− so fließen in den Bereich Krankheit/ Gesundheit­sversorgun­g. zialausgab­en entfallen auf Familien und Kinder (wie Familienbe­ihilfe, Kinderabse­tzbetrag, Kinderbetr­euungsgeld und Karenzgeld). Niedriger ist mit 5,6 Prozent der Anteil, der für die Bekämpfung der Arbeitslos­igkeit verwendet wird.

220.000 Menschen können ihre Wohnung nicht wŻrm hŻlten, weil ©Żs Gel© fehlt.

Ein kleiner Teil der Sozialausg­aben fließt in die Flüchtling­shilfe. Diese ist in der Statistik unter anderem in der Sparte „Wohnen und soziale Ausgrenzun­g“zu finden. Dazu gehören etwa alle Wohn-, Mietzins- und Mietbeihil­fen, die Mindestsic­herung der Länder und Gemeinden sowie die Flüchtling­sund Asylbetreu­ung durch den Bund. Zwar sind im Vorjahr die Leistungen in diesem Bereich um 18,8 Prozent auf 2,29 Milliarden Euro gestiegen, doch nur 2,3 Prozent aller Sozialausg­aben entfallen auf „Wohnen und soziale Ausgrenzun­g“.

Die OECD wird die Zahlen im nächsten Jahr für einen Länderverg­leich verwenden. Es ist zu erwarten, dass Österreich bei den Sozialausg­aben wieder in der Spitzengru­ppe landen wird. Trotzdem stellt sich die Frage nach der Treffsiche­rheit. So kritisiert­e zuletzt die Caritas, dass in Österreich knapp 220.000 Menschen leben, die im Winter ihre Wohnung nicht angemessen warm halten können, weil sie zu wenig Geld haben.

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