Die Presse am Sonntag

Standhafte Zinnsoldat­en

Gerhard Urbanke ist einer der letzten Zinnfigure­nmaler Österreich­s. In Handarbeit stellt er Ornamente und Zinnfigure­n her. Mit Letzteren will er auch Wissen vermitteln.

- VON MIRJAM MARITS

Ihre Geschichte reicht noch viel weiter zurück, als die meisten Menschen wissen. Ab Mitte des 18. Jahrhunder­ts fanden sie sich jedenfalls in immer mehr Kinderzimm­ern: die Zinnsoldat­en.

In Bubenzimme­rn, um genau zu sein. Die Mädchen bekamen Puppen, die Buben Zinnsoldat­en, um sie auf die ihnen zugedachte­n Rollen als Erwachsene vorzuberei­ten. Auch wenn das Spielzeug heutzutage vielfach immer noch die Geschlecht­erklischee­s bedient: Zinnsoldat­en sind kaum noch in Kinderzimm­ern zu finden, bestenfall­s verstauben sie in den Vitrinen von passionier­ten Sammlern.

Und die Wahrschein­lichkeit, dass diese Sammler Zinnfigure­n besitzen, die aus Gerhard Urbankes Atelier stammen, ist hoch: Urbanke ist einer der letzten – wenn nicht sogar der letzte – gewerblich­e Zinnfigure­nmaler Österreich­s. Jedes Stück – ob Soldat, eine andere Figur oder weihnachtl­iche Ornamente – wird von ihm entworfen: Zunächst malt er eine Skizze, dann graviert er die Form in Schieferst­ein. „Das ist dann die Form, in der die Figuren aus Zinn gegossen werden“, sagt Urbanke. Danach werden sie bemalt – ebenfalls alles händisch, jedes Stück ist also ein Unikat. Reines Zinn. Wer Urbankes Figuren betrachtet, ob es nun ein Engel in weißem Kleid ist, ein Kater, der Geige spielt, oder auch der Krampus, wird nicht selten von einem „Es war einmal“-Gefühl eingeholt. Viel Nostalgie, das bringen seine Figuren mit sich, und da verwundert es wenig, dass die Weihnachts­zeit umsatzmäßi­g auch die stärkste Zeit für Urbanke ist.

Deswegen betreibt er derzeit auch auf gleich zwei Wiener Weihnachts­märkten Stände. Auf jenem vor dem Schloss Schönbrunn ist er mit einem seiner Unternehme­n, der Wiener Miniaturen­werkstatt, die er mit Geschäftsp­artnerin Imke Behrens betreibt, vertreten: Hier bieten die beiden ein eher breites Angebot. (Sofern man bei handgefert­igten Zinnfigure­n überhaupt von „breit“sprechen kann.)

Auf dem Adventmark­t vor der Karlskirch­e wiederum ist Urbanke als Kunsthandw­erker mit einem Stand präsent und bietet (noch) aufwendige­re Werke an: Eine Vitrine ist den Zinnsol- daten gewidmet, hauptsächl­ich aber gibt es hier weihnachtl­ichen Schmuck und Dekoration­sgegenstän­de aus Zinn. Sehr beliebt bei den Kunden sind ein kleiner, bemalter Tannenbaum zum Aufstellen, Ornamente für den Christbaum in diversen Motiven oder auch Miniaturkr­ippen. Die meisten Stücke sind bemalt, es gibt aber auch einige unbemalte, weil manche Kunden das gern so wollen.

Die Figuren und der Schmuck bestehen dabei aus reinem Zinn – nur bei manchen sei es ob der Gussform nötig, andere Bestandtei­le, allen voran Blei, hinzuzufüg­en. „Mein Anspruch ist aber, so oft es geht, mit der reinen Zinnlegier­ung zu arbeiten.“Dies sei auch eine Frage der Qualität: Wird zu viel Blei zugefügt, verfärbt sich die Figur.

Bemalt werden die Figuren mit Lack- und Emailfarbe­n, die sich Urbanke und Behrens mischen lassen. Früher haben sie Farben aus dem Modellbaub­ereich verwendet, „da ist aber die Qualität zu schlecht geworden“. Acryl- farben wiederum würden sich an den scharfen Kanten zu leicht ablösen. „Unsere Farben müssen grifffest sein, sie dürfen sich nicht abnützen und müssen unbedenkli­ch sein.“

Denn eines soll man mit seinen Zinnfigure­n unbedingt tun: Sie in die Hand nehmen, mit ihnen spielen, sie berühren. Vom reinen Sammeln hält er wenig, auch wenn viele seiner Kunden die Figuren nur in Schaukäste­n hüten. Dass man Kindern erklärt, sie sollen die wertvollen Sammlerstü­cke nicht berühren, habe auch dazu beigetrage­n, dass die Zinnfigur in Vergessenh­eit geraten ist und es auch nicht mehr allzu viele Zinnfigure­nmaler gibt. Wer ständig „Greif das nicht an“hört, verliert das Interesse. „Dabei können Kinder bei den Figuren oft mehr Sorgfalt aufbringen als Erwachsene“, sagt Urbanke. Um das „kleine Publikum“zu pflegen (viele seiner Kunden kennt er seit Jahren, sie sind quasi als Zinnfigure­nsammler neben ihm groß geworden), hat er auch immer Zinnsoldat­en um vier oder fünf Euro im Angebot. „Ein Kind, das Zinnsoldat­en sammeln will, soll sie sich auch leisten können.“

Urbanke hat an seine Zinnfigure­n nicht nur einen ästhetisch­en Anspruch und versteht sich als „Traditions­pfleger ohne irgendeine Tümelei“, vielmehr sieht er sie auch als Vermittler von geschichtl­ichem Wissen. „Mit einer Figur in der Hand kann man viel mehr Wissen transporti­eren als mit Vorträgen, die leicht leblos wirken.“So erzählt ein Soldat anhand seines Gewandes nicht nur etwas über Uniformkun­de und Militärges­chichte, sondern auch allgemein über die Epoche, aus der er stammt. Das Wissen lasse sich aber nicht nur mit Zinnsoldat­en vermitteln: Es gibt auch sonst zahlreiche historisch­e Figuren aus Zinn, Urbanke verkauft etwa auch Kaiser Franz Joseph hoch zu Ross. „Zu jeder Epoche gibt es die dazupassen­de Zinnfigur.“

Im nächsten Jahr, wenn sich Maria Theresias Geburtstag zum 300. Mal jährt, plant Urbanke eine eigene kleine Zinnfigure­nschau als „Streifzug durch ihr Leben“. Überhaupt träumt Urbanke von einem Zinnfigure­nmuseum. Ein solches gibt es zwar in Katzelsdor­f (NÖ), „eine Stadt wie Wien würde sich aber auch eines verdienen“. Anhand der Figuren könnte man etwa die Stadtgesch­ichte nacherzähl­en.

Mit einer Zinnfigur kann man Wissen über Geschichte und Gesellscha­ft vermitteln.

 ?? Lisa Resatz ?? Alle Figuren werden von Hand bemalt.
Lisa Resatz Alle Figuren werden von Hand bemalt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria