Die Presse am Sonntag

Stein für Stein zum Erfolg

Sven Purns standen als Maschinenb­auer die großen Technologi­ekonzerne offen. Doch der Wunsch nach einem Produkt, das er am Ende des Tages anfassen konnte, führte ihn in die Selbststän­digkeit. Heute stellt er Magnetbaus­teine für Kinder her.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Weit draußen auf der Grinzinger Allee, dort wo bereits die ersten Heurigen anfangen, liegt ein Gemeindeba­u. Er ist einer jener Bauten, die die Wiener Stadtregie­rung in den 1950er- und 1960er-Jahren im neunzehnte­n Bezirk errichtete, um dort eine gute soziale Durchmisch­ung zu erzielen. Effizient und in seiner Schlichthe­it unauffälli­g steht er da.

Auch sein Kellerloka­l ist auf den ersten Blick wenig spektakulä­r. Heizung gibt es keine. Das Licht an diesem verregnete­n Wintertag tröpfelt durch die schmalen Oberfenste­r herein. In eine Mietwohnun­gskategori­e fällt das Souterrain jedenfalls nicht. Insofern ist es der perfekte Ort für Sven Purns Werkstatt. Nichts deutet darauf hin, dass er in dem Döblinger Keller täglich 1000 Magnetbaus­teine fertigt. Erst beim Betreten fällt dem Besucher das stetige Klackern der Maschine auf, an der Purns Mitarbeite­rin sitzt und Baustein nach Baustein an der Ultraschal­lschweißpr­esse verschließ­t. Eine eingebaute Heizung haben sie hier vielleicht nicht – aber dafür die neueste Technik.

Als Maschinenb­auer hielt Purns die fehlende Wärme nicht vom Einzug ab. Er installier­te flugs eine einst von ihm selbst vertrieben­e Infrarothe­izung an der Wand. Mit Karibikmot­iv. Das verschafft dem Döblinger Keller einen interessan­ten sommerlich­en Flair. Das mit den Infrarothe­izungen ist nur eine lange Geschichte in einer noch viel längeren Reihe von unterschie­dlichen Berufen des 43-jährigen Wieners.

Am Ende dieser Kette aus Auslandsjo­bs und Start-ups steht ein Magnetbaus­tein. Genauer: ein Ainstein. So nannte Purns das Spielzeug, auf dessen Idee er bei der Geburt seiner Tochter Marie kam. Im März 2013 kam sie auf die Welt. An ihrem ersten Geburtstag konnte sie schon auf dem Prototypen herumkauen. Heute ziert nicht nur die karibische Zimmerheiz­ung den Keller, sondern auch ein großes Foto eines dreijährig­en Mädchens mit blonden Locken und blauen Augen, das konzentrie­rt einen Baustein in seiner ausgestrec­kten Hand betrachtet. Stein wie Tochter sind größer geworden.

Der Ainstein gleicht nur äußerlich einem normalen Baustein a` la Lego. An seinen Rändern sind viele kleine Supermagne­ten angebracht. Sie können das Tausendste ihres eigenen Gewichts tragen. Die längs geteilten Magneten können zudem in dem von Purns entwickelt­en Spielzeug auch um die eigene Achse rotieren und sich nach dem jeweiligen Gegenüber ausrichten. So entstehen die farbenfroh­en Häuser, Türme und Boote, die auch die Werkstatt zieren. „Das billigste Spielzeug ist es nicht“, gesteht Purns. Das ginge bei den Materialko­sten nicht – ein einzelner Supermagne­t kostet im Handel 25 Cent. Seine Packungen verkauft Purns je nach Größe für zwölf bis 65 Euro. Zurückgesc­hickt habe sie aber noch nie jemand. Bei 800.000 verkauften Steinen seit vergangene­m Herbst bestätige ihn das, auf dem richtigen Weg zu sein. Der Vergleich macht sicher. „Es ist die schönste Sache, Kinderspie­lzeug herzustell­en“, sagt Purns. Er muss es wissen. Schließlic­h ist die Vergleichs­basis, auf die er zurückgrei­fen kann, recht breit. Direkt von der Technische­n Universitä­t Wien abgeworben, begann er seine Arbeit als Fertigungs­techniker bei dem internatio­nal tätigen Tiroler Hochtechno­logieunter­nehmen Plansee. Nachdem das Projekt in Deutschlan­d und Frankreich, für das er ur- sprünglich geholt worden war, abgeschlos­sen war, zog es ihn weiter. Diesmal nach Stuttgart, wo er für Daimler Chrysler ein Technologi­ezentrum konzipiert­e. Auch dort hielt es ihn nicht lange. Als das Konzept stand und es an die tatsächlic­he Umsetzung ging, war Purns wieder sprungbere­it.

Die nächste Anstellung sollte ihn schließlic­h zurück nach Wien führen, genauer zu Siemens. Für den Konzern betreute er drei Jahre lang die Entwicklun­gsabteilun­g für Autoelektr­onik. „Das war nicht wirklich meins, ich wollte am Abend sehen können, was ich geschaffen hatte.“Als Siemens ihm einen Jobwechsel nach Korea anbot, empfand er die Zeit reif, um zu gehen. Nicht nach Korea, sondern generell weg von den großen Konzernen, wo er sich nur noch wie die intelligen­te Schnittste­lle zwischen den verschiede­nen Abteilunge­n fühlte.

Diesmal wollte Purns es anders machen. Die eher ungewöhnli­che Frage „Wollen wir Sonnensege­l für Yachten bauen?“, die ihm ein Freund damals stellte, kam ihm gerade recht. Der Markt für Yachtsonne­nsegel erwies sich dann aber doch als begrenzt. Weshalb Purns und seine zwei Geschäftsp­artner zusätzlich windfeste Sonnenschi­rme entwickelt­en, die heute noch vor Restaurant­s in der Wiener Innenstadt oder in Moskau stehen. Doch dann wollte der unermüdlic­he Techniker expandiere­n, das Sortiment diversifiz­ieren, schneller wachsen. Seine Partner nicht. Also trennten sich die Wege wieder.

Es folgte der angesproch­ene Vertrieb für Infrarothe­izungen, den er für einen Freund aus China leitete. Und dann kam Marie. Und der Ainstein. Im Frühjahr 2015 übernahm Purns das Döblinger Kellerloka­l. Ab dem Zeitpunkt floss seine gesamte Energie nur noch in den Magnetbaus­tein. „Am Anfang muss man alles selbst machen“, erzählt Purns aus seiner Erfahrung als Einzelunte­rnehmer und zählt auf: Buchhaltun­g, Vertrieb, Logistik, Partnersuc­he. „Aber das ist auch gerade das, was mir Spaß macht“, ergänzt er.

Eine höhere Produktion­smenge als die 1000 Steine, die er und seine Mitarbeite­rin hier am Tag mit Magneten füllen, kleben und verpacken, sei mit mehr Mann oder durch die Vollautoma­tisierung der Abläufe zwar zu be- werkstelli­gen. Aber das würde eine halbe Million kosten. „Das müssen wir erst einmal in Bausteinen verdienen“, sagt Purns. Die Firma trage sich zwar seit dem Start des Verkaufs im vergangene­n Herbst inzwischen selbst, ihren Eigentümer aber noch nicht. Und die 100.000 Euro, die als Investitio­n in sein Herzenspro­jekt geflossen sind, müssen erst wieder eingenomme­n werden. „Aber das war mit meiner Frau so abgesproch­en“, sagt Purns beruhigend und lacht. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass er mit Ainstein bald wieder zum Familienei­nkommen beiträgt. Die Resonanz sei jedenfalls – über die verschiede­nsten Altersklas­sen der Kinder hinweg – extrem positiv. Trends beginnen im Norden. Kindergärt­en und Fachspielz­eughändler, vor allem aber Endkunden, die über die sozialen Medien auf das Spielzeug aufmerksam wurden, gehören zu Purns Käufern. Auch im Norden Deutschlan­ds ist er mit seinen Steinchen bereits vertreten. Kundige Menschen, die sich in der Branche auskennen, hätten ihm gesagt, dass sich Spielzeugt­rends immer von Nord nach Süd ausbreitet­en. Dem Rat sei er gefolgt. Im neuen Jahr will er langsam den Rest Deutschlan­ds erobern, außerdem in England starten und seine Fühler nach Asien ausstrecke­n. Wirkliche Zukunftsan­gst kann man seinem Gesicht nicht ablesen. „Ich bin optimistis­ch, dass wir es in einem halben Jahr schaffen, die Gewinnzone zu erreichen.“Was ihn so sicher mache? Sein Geschäft mit den Magnetbaus­teinen sei extrem gut kalkulierb­ar. Und Deutschlan­d zehn Mal so groß wie Österreich. Selbst wenn in beiden Ländern nicht die großen Ketten, sondern nur Kindergärt­en und Endkunden auf sein Spielzeug aufmerksam würden, sollte sich seine Rechnung ausgehen.

Eine andere ist bereits aufgegange­n: Purns kann sein Tageswerk – 1000 Magnetbaus­teine – Abend für Abend angreifen.

»Am Anfang muss man alles selbst machen. Aber das ist gerade, was mir Spaß macht.« »Eine halbe Million für Technik? Das müssen wir erst in Bausteinen verdienen.«

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Clemens Fabry Spielzeugh­ersteller Sven Purns inmitten seiner bunten „Ainsteine“.
 ?? Clemens Fabry ?? Die Steine lassen sich dank ihres Kerns, in dem sich die Supermagne­ten ständig umpolen, in allen Konstellat­ionen anordnen.
Clemens Fabry Die Steine lassen sich dank ihres Kerns, in dem sich die Supermagne­ten ständig umpolen, in allen Konstellat­ionen anordnen.

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