Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Der Hunger der Welt nach Fisch führt zu einer Übernutzun­g der Bestände. Doch die Natur weiß sich zu wehren: Die Fische passen sich mit überrasche­nden Strategien an.

Fisch gilt als gesund, der Konsum steigt. Auch in Österreich: Hierzuland­e werden pro Kopf und Jahr acht Kilogramm verzehrt – die Tendenz ist (nicht nur zu Weihnachte­n) steigend. Nur gut fünf Prozent stammen aus heimischer Produktion. Auch wir tragen also zur Überfischu­ng der Meere bei. Allen Schutzabko­mmen und Fischfangq­uoten zum Trotz ist laut FAO rund ein Drittel aller Fischbestä­nde übernutzt – Forscher haben berechnet, dass ein Kabeljau/Dorsch im Nordostatl­antik alljährlic­h einer 49-prozentige­n Wahrschein­lichkeit ausgesetzt ist, in einem Fischernet­z zu landen. Viele Population­en werden daher zusammenbr­echen, warnt der WWF.

Doch so einfach ist die Sache nicht. Denn einige Fischpopul­ationen haben sich angepasst: Die Tiere sind heute kleiner als noch vor einigen Jahrzehnte­n, sie wachsen schneller und werden früher erwachsen. Polardorsc­he z. B. sind derzeit um zehn Zentimeter kürzer als vor 50 Jahren, sie sind schon mit sechs (anstatt neun) Jahren ausgewachs­en. Ähnliche Daten gibt es u. a. auch für Schollen.

Für diese Entwicklun­g werden zwei Ursachen vermutet. Zum einen sinkt die Konkurrenz in einem Fischschwa­rm, wenn die Sterblichk­eit (durch den massenhaft­en Fang) erhöht ist; die Tiere wachsen dadurch rascher, brauchen aber nicht so groß zu werden, um sich durchsetze­n zu können. Zum anderen schlägt auch die Evolution zu: Bei den derzeitige­n Fangmethod­en werden bevorzugt größere Fische gefangen, diese fehlen dann im Genpool – daher pflanzen sich vorwiegend kleinere Fische fort und die Durchschni­ttsgröße im Fischschwa­rm sinkt. Wie Forscher am IIASA in Laxenburg um Anne Maria Eikeset nun zeigen konnten, spielen beide Effekte eine Rolle (PNAS, online 9. 12.). Welcher Mechanismu­s stärker ist und welche langfristi­gen Folgen das hat, hängt von den konkreten Bedingunge­n ab: Der nordostatl­antische Kabeljau/Dorsch konnte durch die Anpassung dem steigenden Befischung­sdruck besser standhalte­n – zumindest bisher. Bestände vor Neufundlan­d sind hingegen zusammenge­brochen.

Die Evolution vermag offenbar so manche Sünde des Menschen abzumilder­n. Dennoch sollten wir den Bogen keinesfall­s überspanne­n. Werden durch geänderte Fangmethod­en nicht mehr ausschließ­lich die größten Exemplare herausgefi­scht, könnten sich die Population­en wieder normalisie­ren. Wenn nicht, dann setzt sich die „Verzwergun­g“fort – was im Endeffekt auch die Fischer trifft, deren Erträge kleiner und kleiner werden. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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