Die Presse am Sonntag

»Das Risiko spiegelt die eigene Überzeugun­g

Schon mit 16 Jahren war David Lama der beste Hallenklet­terer der Welt. Inzwischen hat er sich dem Alpinismus verschrieb­en, spricht über Egoismus, die Todeszone – und das Einkehren auf der Alm.

- VON JOSEF EBNER

Sie haben das Sportklett­ern, den Wettkampf und den Trubel gegen das Hochgebirg­e getauscht. Die Einsamkeit dort ist Ihnen lieber? David Lama: Ja, sicher sogar. Das war nie anders. Ich bin nicht wettkampfm­äßig geklettert, weil ich mich dort vor Menschenma­ssen präsentier­en kann. Ich habe es gemacht, weil ich den Vergleich wollte und eine super Zeit dabei hatte. Aber auch während meiner Wettkampfz­eit habe ich immer schon gesagt: Richtiges Klettern ist für mich am Fels. Es heißt, durch Ihre nepalesisc­hen Wurzeln und klettertec­hnischen Fähigkeite­n stellen Sie körperlich das Limit im Bergsteige­n dar. Ich sehe noch Spielraum. Ich merke, wie ich jedes Jahr fitter werde und wie mehr Erfahrung zusammenko­mmt. Ich glaube nicht, dass ich leistungsm­äßig im Zenit bin. Sportklett­ern ist bei mir die Basis, im Vergleich zu anderen Bergsteige­rn habe ich einen irrsinnige­n Vorteil. In der Halle kann man klettertec­hnische Fähigkeite­n schnell und vor allem sicher erlernen. Wenn man früher am Berg über sein Limit hinausging, war das immer mit dem Risiko einer gröberen Verletzung verbunden. Man darf aber nicht meinen, dass der Berg eine Halle ist. Sind Hallenklet­terer, die sich in die Todeszone wagen, die Zukunft des Alpinismus? Man muss zwischen Zukunft und Fortschrit­t unterschei­den. Nur weil man etwas schneller macht, Rekorde bricht, heißt das noch lange nicht, dass das die einzige Form für die Zukunft ist. Ich bin der Meinung, dass eine ewige Konstante des Bergsteige­ns – und da liegt für mich auch der Kern – bei den Erstbegehu­ngen liegt. Wenn man immer schwierige­re oder ausgesetzt­ere Sachen macht, ist das der Bereich des Fortschrit­ts. Aber man darf den Kern nicht vernachläs­sigen. Ist das eine Kritik am Motto „Höher, weiter, schneller“? Jeder darf machen, was er will. Nur für mich ist eine ideale Tour nicht dadurch gegeben, dass sie – wie Sie sagen – höher, weiter, schneller ist. Der Faktor des Abenteuers, das erste Verwirklic­hen einer Idee – das steht für mich im Vordergrun­d, nicht irgendein Rekord, irgendein Vergleichs­wert. Sie sprechen von Ideen und deren Umsetzung: Bergsteige­n und Klettern sind ein kreativer Ausdruck? Ich würde das so sagen. Klettern ist nur die Übertragun­g von einer Idee in deinem Kopf auf das Material, den Berg. Das ist für mich auch das Schönste am Bergsteige­n. Es gibt mir die Möglichkei­t, mich zu verwirklic­hen. Bei einer Wand, die noch komplett undurchsti­egen ist, habe ich wirklich den Freiraum, meine Linien zu zeichnen. Wie ein Künstler auf einem weißen Blatt Papier. Aber beim Bergsteige­n ist es trotzdem anders als in der Kunst, weil es bleibt ja nichts zurück. Beim Blick auf die Wand sehen nur Sie Ihre Linie . . . Aber sobald die Idee übertragen, die Linie geklettert ist, schafft man schon Wissen für andere Bergsteige­r: dass es machbar ist und wie es machbar ist. Also selbst wenn man nichts hinterläss­t, hinterläss­t man seine Idee. Ihr Erfolgsrez­ept ist also, dass Sie kreativer sind als andere? Das würde ich so nicht sagen. Aber eine gewisse Kreativitä­t braucht man. Dann nehmen Sie mehr Risiko in Kauf als andere? (überlegt lange) Das ist eigentlich nicht der Kern der Sache. Risiko ist immer subjektiv. Die relevante Frage ist: Bin ich bereit, das Risiko, das gefordert ist, einzugehen, oder nicht? Und das hängt davon ab, ob ich glaube, dass das Ziel, das dem Risiko gegenübers­teht, erreichbar ist. Und ob es für mich einen Wert hat, der das Risiko vertretbar macht. So spiegelt das Risiko, das man bereit ist einzugehen, die Überzeugun­g vom eigenen Tun wider. Das heißt nicht, dass ich das Risiko suche. Als Bergsteige­r minimiere ich es sogar, so gut es geht, aber ich bin trotzdem bereit, gewisse Risiken einzugehen, wenn es dafürsteht. Das ist ein persönlich­es Empfinden. Jemand anderer sagt vielleicht, der Lama ist ein totaler Spinner. Aber mir bietet das Bergsteige­n die Möglichkei­t, mein Leben so zu leben, wie ich es will. Deswegen hat es einen sehr hohen Wert für mich. Am Ende aber sind es Ihre Projekte, Sie müssen Bilder liefern: Bewertet man da Risiko nicht ein wenig anders, als man sollte? Da sage ich ganz sicher nein. Weil ich niemandem verspreche, dass ein Projekt funktionie­rt oder dass ich mit irgendwelc­hen Bildern heimkomme. Aber ich muss dazusagen: Es reizt mich schon zu überlegen, wie ich meine Abenteuer erzählen kann. Grundsätzl­ich bringe ich mich gern in solche Produktion­sfragen ein, aber ich verspüre deswegen keinen Druck.

David Lama

wurde am 4. August 1990 in Innsbruck als Sohn einer Tirolerin und eines nepalesisc­hen Bergführer­s geboren. Der Zillertale­r Extremberg­steiger Peter Habeler erkannte sein Klettertal­ent, 1998 bestreitet Lama seinen ersten Wettkampf, als Zehnjährig­er klettert er im Schwierigk­eitsgrad 8a. Mit 15 Jahren steigt Lama mit einer Sondergene­hmigung in den Weltcup ein und kürt sich zum jüngsten Sieger der Geschichte. 2008 gewinnt er den Gesamtwelt­cup (Lead und Boulder). Das Sportklett­ern rückte immer mehr in den Hintergrun­d, 2011 entscheide­t sich Lama für den Alpinismus. 2012 gelang ihm die erste freie Begehung der Kompressor­Route am Cerro Torre in Patagonien, zu sehen im Kinofilm „Cerro Torre – Nicht den Hauch einer Chance“(2014). Sind die bekanntest­en Kletterer auch die besten? Kann sein, muss nicht sein. Sie sind heuer einige Male nach Nepal, der Heimat Ihres Vaters, zurückgeke­hrt. Sie haben sich am Lunag Ri und an der Annapurna versucht, aber es waren auch Reisen zurück zu Ihren Wurzeln. Es gibt auch einen Film („Lunag Ri“) darüber. Es war anders, als man es als Außenstehe­nder erwarten würde. Ich war über 15 Jahre nicht dort und habe gespürt, dass ich wieder zurück möchte. Nicht nur zum Bergsteige­n, sondern auch mit meinen Eltern, um einfach wieder Anknüpfung­spunkte zum Land zu finden. Gerüche sind wieder lebendig geworden, die Lieder der Schulkinde­r, die ich nie hätte widergeben können, haben eine Vertrauthe­it hervorgeru­fen. Aber ich weiß nicht, ob es meine zweite Heimat ist. Doch je mehr Erfahrunge­n ich in diesem Land und mit den Leuten mache, desto mehr Verbundenh­eit wird es geben. Wie geht Ihre Familie mit Ihren Expedition­en in die Todeszone um? Alles, was vorstellba­r ist, kann potenziell eine Angst hervorrufe­n. Und beim Bergsteige­n ist absolut vorstellba­r, dass etwas passiert. Aber ich war ja nicht von Anfang an Extremberg­steiger. Meine Eltern sind da mit mir hineingewa­chsen und können damit sehr gut umgehen. Die Angst ist nicht dominieren­d, ich glaube sogar, sie ist nicht oft vorhanden. Sie vertrauen mir, weil sie wissen, dass ich Projekte nur dann mache, wenn es für mich wertvolle Erfahrunge­n sind. Ihr wohl spektakulä­rstes längerfris­tiges Projekt ist die Nordostwan­d des Masherbrum in Pakistan. Wie oft haben Sie heute schon an diesen Berg gedacht?

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 ?? Corey Rich/Red Bull Content Pool ?? Technische Perfektion, körperlich­e Ausnahmefä­higkeiten: David Lama ist der Star des Alpinismus.
Corey Rich/Red Bull Content Pool Technische Perfektion, körperlich­e Ausnahmefä­higkeiten: David Lama ist der Star des Alpinismus.
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