»Das Risiko spiegelt die eigene Überzeugung
Schon mit 16 Jahren war David Lama der beste Hallenkletterer der Welt. Inzwischen hat er sich dem Alpinismus verschrieben, spricht über Egoismus, die Todeszone – und das Einkehren auf der Alm.
Sie haben das Sportklettern, den Wettkampf und den Trubel gegen das Hochgebirge getauscht. Die Einsamkeit dort ist Ihnen lieber? David Lama: Ja, sicher sogar. Das war nie anders. Ich bin nicht wettkampfmäßig geklettert, weil ich mich dort vor Menschenmassen präsentieren kann. Ich habe es gemacht, weil ich den Vergleich wollte und eine super Zeit dabei hatte. Aber auch während meiner Wettkampfzeit habe ich immer schon gesagt: Richtiges Klettern ist für mich am Fels. Es heißt, durch Ihre nepalesischen Wurzeln und klettertechnischen Fähigkeiten stellen Sie körperlich das Limit im Bergsteigen dar. Ich sehe noch Spielraum. Ich merke, wie ich jedes Jahr fitter werde und wie mehr Erfahrung zusammenkommt. Ich glaube nicht, dass ich leistungsmäßig im Zenit bin. Sportklettern ist bei mir die Basis, im Vergleich zu anderen Bergsteigern habe ich einen irrsinnigen Vorteil. In der Halle kann man klettertechnische Fähigkeiten schnell und vor allem sicher erlernen. Wenn man früher am Berg über sein Limit hinausging, war das immer mit dem Risiko einer gröberen Verletzung verbunden. Man darf aber nicht meinen, dass der Berg eine Halle ist. Sind Hallenkletterer, die sich in die Todeszone wagen, die Zukunft des Alpinismus? Man muss zwischen Zukunft und Fortschritt unterscheiden. Nur weil man etwas schneller macht, Rekorde bricht, heißt das noch lange nicht, dass das die einzige Form für die Zukunft ist. Ich bin der Meinung, dass eine ewige Konstante des Bergsteigens – und da liegt für mich auch der Kern – bei den Erstbegehungen liegt. Wenn man immer schwierigere oder ausgesetztere Sachen macht, ist das der Bereich des Fortschritts. Aber man darf den Kern nicht vernachlässigen. Ist das eine Kritik am Motto „Höher, weiter, schneller“? Jeder darf machen, was er will. Nur für mich ist eine ideale Tour nicht dadurch gegeben, dass sie – wie Sie sagen – höher, weiter, schneller ist. Der Faktor des Abenteuers, das erste Verwirklichen einer Idee – das steht für mich im Vordergrund, nicht irgendein Rekord, irgendein Vergleichswert. Sie sprechen von Ideen und deren Umsetzung: Bergsteigen und Klettern sind ein kreativer Ausdruck? Ich würde das so sagen. Klettern ist nur die Übertragung von einer Idee in deinem Kopf auf das Material, den Berg. Das ist für mich auch das Schönste am Bergsteigen. Es gibt mir die Möglichkeit, mich zu verwirklichen. Bei einer Wand, die noch komplett undurchstiegen ist, habe ich wirklich den Freiraum, meine Linien zu zeichnen. Wie ein Künstler auf einem weißen Blatt Papier. Aber beim Bergsteigen ist es trotzdem anders als in der Kunst, weil es bleibt ja nichts zurück. Beim Blick auf die Wand sehen nur Sie Ihre Linie . . . Aber sobald die Idee übertragen, die Linie geklettert ist, schafft man schon Wissen für andere Bergsteiger: dass es machbar ist und wie es machbar ist. Also selbst wenn man nichts hinterlässt, hinterlässt man seine Idee. Ihr Erfolgsrezept ist also, dass Sie kreativer sind als andere? Das würde ich so nicht sagen. Aber eine gewisse Kreativität braucht man. Dann nehmen Sie mehr Risiko in Kauf als andere? (überlegt lange) Das ist eigentlich nicht der Kern der Sache. Risiko ist immer subjektiv. Die relevante Frage ist: Bin ich bereit, das Risiko, das gefordert ist, einzugehen, oder nicht? Und das hängt davon ab, ob ich glaube, dass das Ziel, das dem Risiko gegenübersteht, erreichbar ist. Und ob es für mich einen Wert hat, der das Risiko vertretbar macht. So spiegelt das Risiko, das man bereit ist einzugehen, die Überzeugung vom eigenen Tun wider. Das heißt nicht, dass ich das Risiko suche. Als Bergsteiger minimiere ich es sogar, so gut es geht, aber ich bin trotzdem bereit, gewisse Risiken einzugehen, wenn es dafürsteht. Das ist ein persönliches Empfinden. Jemand anderer sagt vielleicht, der Lama ist ein totaler Spinner. Aber mir bietet das Bergsteigen die Möglichkeit, mein Leben so zu leben, wie ich es will. Deswegen hat es einen sehr hohen Wert für mich. Am Ende aber sind es Ihre Projekte, Sie müssen Bilder liefern: Bewertet man da Risiko nicht ein wenig anders, als man sollte? Da sage ich ganz sicher nein. Weil ich niemandem verspreche, dass ein Projekt funktioniert oder dass ich mit irgendwelchen Bildern heimkomme. Aber ich muss dazusagen: Es reizt mich schon zu überlegen, wie ich meine Abenteuer erzählen kann. Grundsätzlich bringe ich mich gern in solche Produktionsfragen ein, aber ich verspüre deswegen keinen Druck.
David Lama
wurde am 4. August 1990 in Innsbruck als Sohn einer Tirolerin und eines nepalesischen Bergführers geboren. Der Zillertaler Extrembergsteiger Peter Habeler erkannte sein Klettertalent, 1998 bestreitet Lama seinen ersten Wettkampf, als Zehnjähriger klettert er im Schwierigkeitsgrad 8a. Mit 15 Jahren steigt Lama mit einer Sondergenehmigung in den Weltcup ein und kürt sich zum jüngsten Sieger der Geschichte. 2008 gewinnt er den Gesamtweltcup (Lead und Boulder). Das Sportklettern rückte immer mehr in den Hintergrund, 2011 entscheidet sich Lama für den Alpinismus. 2012 gelang ihm die erste freie Begehung der KompressorRoute am Cerro Torre in Patagonien, zu sehen im Kinofilm „Cerro Torre – Nicht den Hauch einer Chance“(2014). Sind die bekanntesten Kletterer auch die besten? Kann sein, muss nicht sein. Sie sind heuer einige Male nach Nepal, der Heimat Ihres Vaters, zurückgekehrt. Sie haben sich am Lunag Ri und an der Annapurna versucht, aber es waren auch Reisen zurück zu Ihren Wurzeln. Es gibt auch einen Film („Lunag Ri“) darüber. Es war anders, als man es als Außenstehender erwarten würde. Ich war über 15 Jahre nicht dort und habe gespürt, dass ich wieder zurück möchte. Nicht nur zum Bergsteigen, sondern auch mit meinen Eltern, um einfach wieder Anknüpfungspunkte zum Land zu finden. Gerüche sind wieder lebendig geworden, die Lieder der Schulkinder, die ich nie hätte widergeben können, haben eine Vertrautheit hervorgerufen. Aber ich weiß nicht, ob es meine zweite Heimat ist. Doch je mehr Erfahrungen ich in diesem Land und mit den Leuten mache, desto mehr Verbundenheit wird es geben. Wie geht Ihre Familie mit Ihren Expeditionen in die Todeszone um? Alles, was vorstellbar ist, kann potenziell eine Angst hervorrufen. Und beim Bergsteigen ist absolut vorstellbar, dass etwas passiert. Aber ich war ja nicht von Anfang an Extrembergsteiger. Meine Eltern sind da mit mir hineingewachsen und können damit sehr gut umgehen. Die Angst ist nicht dominierend, ich glaube sogar, sie ist nicht oft vorhanden. Sie vertrauen mir, weil sie wissen, dass ich Projekte nur dann mache, wenn es für mich wertvolle Erfahrungen sind. Ihr wohl spektakulärstes längerfristiges Projekt ist die Nordostwand des Masherbrum in Pakistan. Wie oft haben Sie heute schon an diesen Berg gedacht?