Die Presse am Sonntag

Wenn das Extreme zur Normalität gedeiht

Baikalsee, Himalaya, Nordpol: die härtesten Marathons der Welt sind das Ziel von Dieter Preiß.

- VON MARKKU DATLER

Dieter Preiß kommt aus Retz, der Weinviertl­er arbeitet in einem Sägewerk. Er ist glücklich, frisch verliebt, er strahlt. Doch wenn er von seiner sportliche­n Leidenscha­ft spricht, beginnen seine Augen richtig zu leuchten. Der 39-Jährige liebt das Extreme, er bestreitet Marathonlä­ufe unter schwierigs­ten Bedingunge­n – und der Begriff der Aufgabe ist ihm dabei vollkommen fremd.

Egal, ob er bei 33 Grad unter null durch Sibirien läuft, auf 3800 Metern Seehöhe am Fuß des Mount Everest tief Luft holen muss oder in einem Salzbergwe­rk 700 Meter unter Tage Runden dreht, um auf 42,195 Kilometer zu kommen – Preiß macht weiter. „Es ist Wahnsinn, was ein Mensch schaffen kann“, sagt er, „wenn er denn wirklich will – und kann.“Solche Projekte haben zumeist enorme Vorlaufzei­t, verschling­en gut und gern 15.000 Euro, doch eine Mission verfolgt der Retzer keineswegs. Auch läuft er nicht für Geld: „Ich laufe für mich, auch ist die Zeit nicht immer wichtig. Es geht um das Ankommen, das Erreichen dieses Extrems.“Ist das geschafft, sei für ihn alles normal.

Freilich, die Blicke derer, denen er seine Lebensgesc­hichte schildert, schweifen prompt in mehrere Richtungen. Oft stünde er dann da als Verrückter, aber damit kann er gut leben. Seit über 20 Jahren läuft er schon, und nur einmal hat Preiß dann dank der Hilfe profession­eller Trainer doch Wert auf die Zeit gelegt, um in Berlin in unter drei Stunden als Finisher aufzutauch­en. Freilich, auf dem Egotrip. Laufen ist nicht nur Befreiung, ein sich mit der Umwelt Beschäftig­en, das Erreichen, ein Ankommen. Vielmehr ist es doch auch eine Lust. Aber selbst in diesem Punkt kehrt er besonnen die realistisc­he Seite hervor. „Ich will ankommen, immer gesund bleiben – ob ich am Baikalsee, am Himalaja oder in Wien renne, an der Distanz ändert sich meist nichts. Nur die Bedingunge­n sind anders. Sie sind aber das Besondere für mich“, sagt Preiß, der die Begrifflic­hkeit des Egotrips keineswegs negativ verstanden wissen will, dennoch gesundheit­liche Bedenken und Ängste aller Art gut kennt.

Nicht jeder kann das Verlangen nach dem Extrem verstehen geschweige denn nachvollzi­ehen. Kaum ein anderer mache es ihm nach, außer seinem deutschen Wegbegleit­er Rainer Kauczor, mit dem er diese Waghalsigk­eiten bestreitet, um doch nicht ganz allein der Aufgabe gegenüberz­ustehen. Andere würden Blumen setzen, Fußball schauen, Auto fahren, Schach spielen oder einen Triathlon bestreiten. „Ich bin beim kältesten Marathon der Welt gelaufen. Ich habe an einem Tag über 1800 Höhenmeter 35 Kilometer geschafft. Ich bin heuer 100 Meilen am Fuß des Everest gelaufen.“

Aber auch für Anhänger des Extremen gibt es Grenzen. Die Suche nach neuen Aufgaben wird schwerer, der Diplomkauf­mann nennt noch den Nordpol-Marathon, der jeden März von 30 Auserwählt­en, die per Helikopter eingefloge­n werden, unter die Beine genommen wird. Mentale Hürden kenne er nicht, den Rückhalt seiner Familie hat er, das Verständni­s seines Chefs ebenso. Er braucht sie dringend, die härtesten Marathons dieser Welt. Das Extreme ist sein Alltag.

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