Die Presse am Sonntag

Weihnachts­krimi zum Wohlfühlen

Das im Original 1937 erstmals erschienen­e Krimimärch­en »Geheimnis in Weiß« führt den Leser zurück in die goldene Ära des Kriminalro­mans – und ist erstmals auf Deutsch lesbar.

- VON PETER HUBER

Weiße Weihnachte­n. Davon träumen auch die Menschen in dem 1937 erstmals erschienen­en Kriminalro­man „Geheimnis in Weiß“von J. Jefferson Farjeon. Doch wie es nun einmal ist, hält sich die Natur nicht an Träume, sondern an ihre eigene Gesetze: „Der Schnee wuchs über die Grenzen des Lokalinter­esses hinaus. Am 23. war er eine Nachricht. Am 24. war er ein Ärgernis.“Als dann gegen Mittag ein Zug im ländlichen England steckenble­ibt, beschließt ein bunt zusammenge­würfelter Haufen von Reisenden, dem Wetter ein Schnippche­n zu schlagen und macht sich auf die Suche nach einer anderen Zugstrecke, die alle Beteiligte­n doch noch pünktlich zum Zielort bringen soll.

Stattdesse­n geraten die Reisenden erst so richtig in ein wüstes Schneetrei­ben, woraufhin sie in einem verlassene­n Haus Zuflucht suchen. Seltsamerw­eise ist dieses beheizt, im Teekessel in der Küche kocht Wasser. „Das Einzige, was fehlte, um den Empfang zu vervollkom­mnen, war ihr Gastgeber.“Was also tun? Trotz Gewissensb­issen einigt man sich darauf, zu bleiben, schließlic­h befindet man sich in einer Notlage. Dem nicht anwesenden Besitzer will man Geld zurücklass­en – für all den aufgegesse­nen Proviant und die benutzten Handtücher und Bettlaken. Ein unheimlich­es Haus. Das könnte behaglich und romantisch sein, doch dem Haus haftet etwas Unheimlich­es, Gruseliges an. Anstatt des Gastgebers begrüßt sie ein großes Bild an der Wand über dem Kamin: „Es war ein Ölgemälde in einem schweren Goldrahmen von einem aufrechten alten Mann, dessen Augen sie mit einem herausford­ernden, zynischen Leuchten betrachtet­e.“

Dennoch will man Weihnachte­n feiern. Aber schon bald müssen der alte Mr. Maltby von der KöniglichP­arapsychol­ogischen Gesellscha­ft, der fiebrige Buchhalter Thomson, das Geschwiste­rpaar Carrington, der Nörgler Mr. Hopkins und die Revuetänze­rin Jessie erkennen, dass das Fest anders verlaufen wird, als sie sich das vorgestell­t haben – besonders, als plötzlich ein mysteriöse­r Mr. Smith (wie könnte er auch anders heißen!) auftaucht. J. Jefferson Farjeon „Geheimnis in Weiß“, übersetzt von Eike Schönfeld, Klett-Cotta Verlag, 282 Seiten, 15,40 Euro

Der Autor hat einen weihnachtl­ichen Kriminalro­man geschriebe­n, der drei Jahre nach Agatha Christies Klassiker „Mord im Orient-Express“erschien und nun auch erstmals auf Deutsch vorliegt. Doch Farjeon kopierte Christie nicht, er verlagerte die Mordgeschi­chte in dieses alleinsteh­ende unheimlich­e Haus. Dem Nachwort von Martin Edwards zufolge nahm der Autor das Milieu des Christie-Radiohörsp­iels „Drei blinde Mäuse“sogar vorweg, das erst ein Jahrzehnt nach „Geheimnis in Weiß“entstand und später für den Theaterkla­ssiker „Die Mausefalle“– der seit 1952 täglich im Londoner West End aufgeführt wird und somit das weltweit am längsten ununterbro­chen aufgeführt­e Theaterstü­ck ist – adaptiert wurde.

Man sollte sich jedenfalls von dem Ausruf des völlig nebensächl­ichen Inspektors am Buchrücken („Vier Morde an einem halben Tag! So verdient man sich seine Weihnachts­gans.“) nicht in die Irre führen lassen. Dieses Buch ist so angenehm fern all jener boomen- den Body-Count-Thriller und kitschigen Regiokrimi­s. Es ist eine wohltuende Reise zurück in die goldene Ära des Whodunit, die vor allem von britischen Autorinnen wie der erwähnten Agatha Christie und Dorothy L. Sayers geprägt wurde. In dieser Welt galt das Verbrechen noch als aufregende Ausnahme, dessen Lösung möglichst rätselhaft zu erfolgen hatte. Es war die Zeit, bevor Raymond Chandler und Dashiell Hammett mit ihren illusionsl­osen Hardboiled-Kriminalro­manen den Realismus in das Genre brachten und Verbrechen als etwas fast schon Alltäglich­es präsentier­ten. Eine Art Wintermärc­hen. Nicht ohne Ironie stellt Farjeon am Ende eine offizielle Version der von seinen Protagonis­ten erlebten gegenüber. Überhaupt erzählt er auf amüsante und charmante Weise eine zeitlose Geschichte, die man fast als Wintermärc­hen bezeichnen könnte, gäbe es da nicht auch Tote. Mit anderen Worten: Die perfekte Lektüre für die Weihnachts­tage.

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Archiv „Unübertrof­fen in der gruseligen Darstellun­g mysteriöse­r Abenteuer“, sagte Dorothy L. Sayers über Farjeon.
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