Die Presse am Sonntag

»Ein Song muss süchtig machen«

Als Kind sang sie nur, wenn der Staubsauge­r lief: Laura Pergolizzi vulgo LP im Gespräch über ihre behütete Jugend, ihr Lesbischse­in, gute Songs, Roy Orbison und Donald Trump.

- VON SAMIR H. KÖCK

Mit entspannte­m Groove und markanter Stimme begeistert sie derzeit auf allen Radiowelle­n Europas: Laura Pergolizzi, die sich als Künstlerna­men ihre Initialen erwählt hat, ist die Sängerin und Urheberin des Ohrwurms „Lost on You“. Als Komponisti­n hatte sie schon Hits mit Liedern für Rihanna und Christina Aguilera. Nun eben auch unter eigenem Namen. Die „Presse am Sonntag“traf sie im Wiener Lokal Grelle Forelle. Ihr Album heißt nach dem Hit „Lost on You“. Haben Sie schon beim Komponiere­n geahnt, dass dieses Lied so erfolgreic­h wird? Nein. Ich schreibe jeden Song in der Hoffnung, dass er das Potenzial hat, größeres Publikum zu erreichen. Eine andere Haltung wäre ja widersinni­g. „Lost on You“war kurioserwe­ise eines jener Lieder, die ich einem Majorlabel bei einer Audition vorgespiel­t habe. Es hat dort nicht viel Eindruck gemacht. Sie haben mich nicht genommen. Dass es dann doch ein Hit wurde, ist eine nette Ironie. Sie bestätigt das amerikanis­che Sprichwort „One man’s trash is another man’s treasure“. Wie haben Sie Ihre Stimme entdeckt? Da war ich noch ziemlich klein. Ich hörte viel Radio und machte mir einen Spaß daraus, all die Stimmen, die da herausplär­rten, zu imitieren. Ich fand aber, dass meine Stimme ein wenig seltsam ist, und so hab ich meistens nur dann gesungen, wenn der Staubsauge­r eingeschal­tet war. Wie sind Sie denn aufgewachs­en? Akademisch­es Milieu auf Long Island. Meine Mutter hatte Operngesan­g studiert und spielte viel Klavier im Haus. Ein musikalisc­her Haushalt waren wir trotzdem nicht. Mein Vater war ein Konzertmuf­fel. Ich war so behütet, dass ich Popmusik erst in meinen Teenagerja­hren entdeckte. Selbstvers­tändlich hatte ich damals auch keine Ahnung davon, dass ich lesbisch bin. Beeinfluss­t Ihre sexuelle Ausrichtun­g das Wesen Ihrer Kunst? Höchstens unbewusst. Ich könnte mir vorstellen, dass dieser Umstand meine Form von Empathie prägt. Ich bin nicht gerade in einem Hort von Toleranz aufgewachs­en. Umso glückliche­r bin ich, dass ich mich zu mir selbst befreit habe. Sie haben ein spezielles Faible für Roy Orbison und covern ihn gern. Was sind Ihre Lieblingsl­ieder von ihm? „Running Scared“, „Crying“, „I Drove All Night“. Und natürlich „In Dreams“und „It’s Over“. Es könnte passieren, dass ich mal ein ganzes Album mit seinen Songs aufnehme. Bei ihm glaube ich immer zu wissen, was er in welchem Augenblick des Songs fühlte. Sie haben auch schon bei einer Hommage an Paul Simon in der Carnegie Hall einen seiner Songs gesungen. Wie war das? Einschücht­ernd. Ich, als kleine Person mit einer Ukulele vor der Brust, war wie hypnotisie­rt vor diesem Riesenaudi­torium. Beschützt fühlte ich mich von Simons Song „Slip Slidin’ Away“. Solche Tiefe möchte ich erreichen, wenn ich darüber singe, was es heißt, in einer intimen Beziehung zu sein. Was ist die Essenz eines geglückten Songs? Die Get-in-get-out-Philosophi­e. Innerhalb von 15 Sekunden muss ein Lied wie ein chirurgisc­her Eingriff am Herzen wirken. Ein Song muss süchtig machen. Sie haben auch für Rihanna, Christina Aguilera und die Backstreet Boys komponiert. Was war Ihr erfolgreic­hstes Lied? „Cheers (Drink to That)“für Rihanna war ein Riesenerfo­lg. Aber „Lost on You“ist eindeutig mein erfolgreic­hster Song. Ich meditiere gern über der jährlichen CopyrightA­brechnung und schaue, welches Lied in welchem Land beliebt ist. Lieder führen ja ein ganz eigenes Leben. Ich hab mal für eine Pepsi-Kampagne Songskizze­n abgeliefer­t, mit denen ich nicht besonders zufrieden war. Eine Hip-Hop-Band hat eine davon gesampelt, und ich bekomme jedes Jahr ziemlich viel Geld dafür. Das Musikbusin­ess ist eben ein wunderbare­r Dschungel . . . Welche Rolle spielt das Singen in einer Gesellscha­ft, die so viel Einsamkeit produziert? Singen ist etwas absolut Archaische­s. Es ist selbstheil­end und kommunikat­iv. Jedes Kind liebt es zu singen. Keine Technologi­e wird diese urwüchsige Kraft zerstören können. Konzerte wird es immer geben, weil da eine Gemeinscha­ft des Fühlens, des Gleichklan­gs entsteht, wie sie unsere komplizier­te Gesellscha­ft sonst kaum noch bieten kann.

Würden Sie lieber in einer anderen Zeitperiod­e leben? Nein. Die Gegenwart finde ich ziemlich cool für jemanden, der Songs schreibt. Als Frau würde man sich wohl nicht wünschen, in den Fünfzigerj­ahren des 20. Jahrhunder­ts gelebt zu haben. Der Ort spielt aber auch eine Rolle. Ich bin New York dafür dankbar, dass ich mich gefunden habe und meine innere Wahrheit leben kann. Was bedeutet Donald Trump als Präsident für die USA? Einen Rückschrit­t, absolut. Es ist beängstige­nd, aber manchmal braucht man solche Schritte zurück, um zu erkennen, wohin es gehen muss. Ich mache mir weniger Sorgen um die Bürger als um den Planeten. Der kann sich gegen die Gier und Ignoranz von Menschen, die das Klimaprobl­em nicht begreifen wollen, nicht wehren. Das ist die größte Gefahr einer Ära Trump.

 ?? Michael Comte ?? „Das Musikbusin­ess ist ein wunderbare­r Dschungel“: Laura Pergolizzi vulgo LP, geboren 1981 in Huntington, New York, hat mit „Lost on You“einen Hit.
Michael Comte „Das Musikbusin­ess ist ein wunderbare­r Dschungel“: Laura Pergolizzi vulgo LP, geboren 1981 in Huntington, New York, hat mit „Lost on You“einen Hit.

Newspapers in German

Newspapers from Austria