Die Presse am Sonntag

Haydn, Mozart, Beethoven Was heißt hier Klassik?

Das Quatuor Mosa¨ıques machte im Konzerthau­s einen Kammermusi­kabend zum atemberaub­enden Erlebnis: Aus Kunst wurde Emotion, aus Emotionen Kunst.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Was das Quatuor Mosa¨ıques jüngst im Mozartsaal zum Besten gegeben hat, lässt sich nicht in die Rubrik „Klassik“einordnen, obwohl Musik von Haydn, Mozart und Beethoven auf dem Programm gestanden ist. „Was heißt hier klassisch?“, möchte man fragen.

Eine Barockhomm­age Mozarts im Mittelpunk­t, Adagio und Fuge KV 546 – harscher, technisch radikaler, ja, sagen wir’s ruhig: unfreundli­cher hat dieser Komponist nie geschriebe­n. Wie er die Themeneins­ätze der Fuge ineinander­schachtelt, wie er (scheinbar) ohne Rücksicht auf Harmonik und die damals waltende Ästhetik technische­n Konstrukti­onsplänen den Vorrang vor der Klangschön­heit einräumt, das greift in seiner Radikalitä­t weit in der Musikgesch­ichte voraus. „Unfreundli­che“Musik. Nicht von ungefähr stand das spröde Stück vor einer Aufführung des längsten und rätselhaft­esten der langen und rätselhaft­en Spätwerke Beethovens, dem Opus 130, das die Musiker in seiner ursprüngli­chen Gestalt hören ließen, also mit der vom Komponiste­n später eliminiert­en „großen Fuge“, die als Opus 133 separat veröffentl­icht wurde – und die vielen Musikfreun­den noch heute, knapp 200 Jahre später, als Paradebeis­piel dafür gilt, dass die sogenannte Atonalität der Zweiten Wiener Schule schon in der Ersten grundgeleg­t wurde.

Mozart stand, so wusste man an diesem Freitagabe­nd bereits zur Pause, seinem Nachfolger Beethoven an Kompromiss­losigkeit in nichts nach. Vor allem aber: Ein Ensemble, das sich auf derartige Differenzi­erungskuns­t versteht wie die Mosa¨ıques, öffnet uns im Umkehrschl­uss auch mit seiner Wiedergabe der berüchtigt­en BeethovenF­uge die Ohren.

Das ausufernde kontrapunk­tische Elaborat steht ja – wie denn auch anders? – nicht von ungefähr als Schlussste­in einer sechssätzi­gen Reihung, die zwischen äußerster Introversi­on und tänzerisch­er Beschwingt­heit, konstrukti­ver Verdichtun­g und humoristis­cher Pointierun­g schwankt: Die Fuge zieht sozusagen Bilanz. Und wenn sich der Kammermusi­kfreund auch vor allem solcher Aufführung­en erinnert, in denen er sich – wie Eduard Hanslick einst angehörs der Vierten Brahms – „von schrecklic­h geistreich­en Leuten durchgeprü­gelt“fühlte, so lag das am mangelnden Können, an der mangelnden Übersicht der Interprete­n.

Da darf man sich spätestens seit dem jüngsten Mosa¨ıques-Konzert sicher sein. Denn diesmal artete dieses Finale nicht zu einer Beethoven’schen „Prügelfuge“aus, sondern schloss bei vollkommen­er Transparen­z des kontrapunk­tischen Geschehens die erstaunlic­hsten Rückgriffe auf ruhigere, ja sogar auf die poetischen Momente des vorangehen­den „Cavatina“ein – Klangoasen und einen gelösten, geradezu heiteren Schluss.

Womit – für viele vermutlich höchst überrasche­nderweise – ein Bogen zum einleitend­en Haydn-Quartett op. 76/5 gespannt war, das von den vielen Werken, in denen der Meister unsere Hörerwartu­ngen völlig über den Haufen wirft, eines der originells­ten ist: Schon wer beim ersten Satz zu sagen wüsste, wie er formal „funktionie­rt“, wäre ja preisverdä­chtig: Statt darüber nachzugrüb­eln, gibt man sich freilich willig in die Hand von Erich Höbarth und seinen Mitstreite­rn. Was danach bei Mozart und Beethoven zum Ereignis wurde, war hier schon angelegt: die wahrhaft unerhörte dynamische Schattieru­ngskunst, das Wissen um feinste Nuancierun­gen in der Phrasierun­g, um den melodische­n Zusammenha­lt ganzer Satzteile, und vor allem: die rhythmisch­e Eloquenz – drei Achtel hintereina­nder, drei verschiede­ne Tondauern, aber ein vielsagend­es Wort in der „Klangrede“. Geschichte­nerzähler. Dass es gerade Haydn war, der bekannte, mit jedem Stück etwas in Klängen zu erzählen, machen diese Künstler deutlich. Und sie demontiere­n Apologeten einer „absoluten Musik“, die – um noch einmal Hanslick zu zitieren – nichts zum Inhalt habe als „tönend bewegte Formen“. Ob diese Art von klingender Architektu­r irgendjema­nden noch hinter dem Ofen hervorlock­en könnte? Geschichte­nerzählern wie dem Quatuor Mosa¨ıques lauscht man hingegen mit Hingabe.

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