Haydn, Mozart, Beethoven Was heißt hier Klassik?
Das Quatuor Mosa¨ıques machte im Konzerthaus einen Kammermusikabend zum atemberaubenden Erlebnis: Aus Kunst wurde Emotion, aus Emotionen Kunst.
Was das Quatuor Mosa¨ıques jüngst im Mozartsaal zum Besten gegeben hat, lässt sich nicht in die Rubrik „Klassik“einordnen, obwohl Musik von Haydn, Mozart und Beethoven auf dem Programm gestanden ist. „Was heißt hier klassisch?“, möchte man fragen.
Eine Barockhommage Mozarts im Mittelpunkt, Adagio und Fuge KV 546 – harscher, technisch radikaler, ja, sagen wir’s ruhig: unfreundlicher hat dieser Komponist nie geschrieben. Wie er die Themeneinsätze der Fuge ineinanderschachtelt, wie er (scheinbar) ohne Rücksicht auf Harmonik und die damals waltende Ästhetik technischen Konstruktionsplänen den Vorrang vor der Klangschönheit einräumt, das greift in seiner Radikalität weit in der Musikgeschichte voraus. „Unfreundliche“Musik. Nicht von ungefähr stand das spröde Stück vor einer Aufführung des längsten und rätselhaftesten der langen und rätselhaften Spätwerke Beethovens, dem Opus 130, das die Musiker in seiner ursprünglichen Gestalt hören ließen, also mit der vom Komponisten später eliminierten „großen Fuge“, die als Opus 133 separat veröffentlicht wurde – und die vielen Musikfreunden noch heute, knapp 200 Jahre später, als Paradebeispiel dafür gilt, dass die sogenannte Atonalität der Zweiten Wiener Schule schon in der Ersten grundgelegt wurde.
Mozart stand, so wusste man an diesem Freitagabend bereits zur Pause, seinem Nachfolger Beethoven an Kompromisslosigkeit in nichts nach. Vor allem aber: Ein Ensemble, das sich auf derartige Differenzierungskunst versteht wie die Mosa¨ıques, öffnet uns im Umkehrschluss auch mit seiner Wiedergabe der berüchtigten BeethovenFuge die Ohren.
Das ausufernde kontrapunktische Elaborat steht ja – wie denn auch anders? – nicht von ungefähr als Schlussstein einer sechssätzigen Reihung, die zwischen äußerster Introversion und tänzerischer Beschwingtheit, konstruktiver Verdichtung und humoristischer Pointierung schwankt: Die Fuge zieht sozusagen Bilanz. Und wenn sich der Kammermusikfreund auch vor allem solcher Aufführungen erinnert, in denen er sich – wie Eduard Hanslick einst angehörs der Vierten Brahms – „von schrecklich geistreichen Leuten durchgeprügelt“fühlte, so lag das am mangelnden Können, an der mangelnden Übersicht der Interpreten.
Da darf man sich spätestens seit dem jüngsten Mosa¨ıques-Konzert sicher sein. Denn diesmal artete dieses Finale nicht zu einer Beethoven’schen „Prügelfuge“aus, sondern schloss bei vollkommener Transparenz des kontrapunktischen Geschehens die erstaunlichsten Rückgriffe auf ruhigere, ja sogar auf die poetischen Momente des vorangehenden „Cavatina“ein – Klangoasen und einen gelösten, geradezu heiteren Schluss.
Womit – für viele vermutlich höchst überraschenderweise – ein Bogen zum einleitenden Haydn-Quartett op. 76/5 gespannt war, das von den vielen Werken, in denen der Meister unsere Hörerwartungen völlig über den Haufen wirft, eines der originellsten ist: Schon wer beim ersten Satz zu sagen wüsste, wie er formal „funktioniert“, wäre ja preisverdächtig: Statt darüber nachzugrübeln, gibt man sich freilich willig in die Hand von Erich Höbarth und seinen Mitstreitern. Was danach bei Mozart und Beethoven zum Ereignis wurde, war hier schon angelegt: die wahrhaft unerhörte dynamische Schattierungskunst, das Wissen um feinste Nuancierungen in der Phrasierung, um den melodischen Zusammenhalt ganzer Satzteile, und vor allem: die rhythmische Eloquenz – drei Achtel hintereinander, drei verschiedene Tondauern, aber ein vielsagendes Wort in der „Klangrede“. Geschichtenerzähler. Dass es gerade Haydn war, der bekannte, mit jedem Stück etwas in Klängen zu erzählen, machen diese Künstler deutlich. Und sie demontieren Apologeten einer „absoluten Musik“, die – um noch einmal Hanslick zu zitieren – nichts zum Inhalt habe als „tönend bewegte Formen“. Ob diese Art von klingender Architektur irgendjemanden noch hinter dem Ofen hervorlocken könnte? Geschichtenerzählern wie dem Quatuor Mosa¨ıques lauscht man hingegen mit Hingabe.