Die Presse am Sonntag

Das Raubgold der Nazis: Hitlers Hehler saßen in Bern

Die Nationalso­zialisten raubten das Gold ermordeter Juden und die Reserven besetzter Länder. Die Beute verkauften sie an die Schweizer Notenbank und erhielten dafür Franken. Nur so konnten sie in neutralen Drittstaat­en wichtige Rohstoffe für Waffen kaufen

- VON KARL GAULHOFER

Das Gold der Nazis: Abenteurer suchen es im steirische­n Toplitzsee, in Tunnels und Stollen. Doch am Ende stehen sie fast immer mit leeren Händen da. Zu finden wäre wohl nur, was Parteibonz­en und SS-Schergen für sich persönlich abgezweigt hatten. Historiker­n geht es um anderes: Wie es ein verbrecher­isches Regime dank geplündert­er Zentralban­kreserven unterjocht­er Staaten schaffte, sich ökonomisch über Wasser zu halten. Und wie dieses Gold einen Krieg in die Länge zog, der 50 Millionen Menschen das Leben kostete – auch dank der diskreten Komplizens­chaft Schweizer Notenbanke­r.

Das Gold der Nazis: Als Erstes kommen einem dabei die Juden in den Sinn. Bei ihrer Vertreibun­g, Enteignung und schließlic­h Ermordung fiel auch ihr Gold den Schergen in die Hände: Eheringe, Uhren und die Zahnkronen, die den Leichen in den Konzentrat­ionslagern aus den Mündern gebrochen wurden. Dieser Horror hatte seine zynische Ordnung: Für das Opfergold gab es ein Konto der SS bei der Reichsbank. Es machte während des Krieges aber nur eineinhalb Prozent der dortigen Bestände aus.

Wie die Plünderung im großen Stil vonstatten gegangen ist, zeigen zwei nüchterne Dekrete kurz nach dem Anschluss Österreich­s. Eine Devisenord­nung zwang die Bürger der Ostmark auch dazu, Gold und Platin der Reichsbank „zum Kauf anzubieten“. Wer das nicht tat, dem drohte schwerer Kerker. Immerhin wurden die unfreiwill­igen Anbieter in Wien noch einigermaß­en in Reichsmark entschädig­t. Der Goldvorrat der österreich­ischen Notenbank aber wechselte schon damals ohne jede Gegenleist­ung den Besitzer. Die Beschlagna­hmung hoheitlich­er Vorräte machte 88 Prozent des Raubgoldes aus.

In der Propaganda des Regimes war Österreich lebensunfä­hig. Aber die „Heim ins Reich“-Phrasen verschleie­rten nur den wahren Grund für den Einmarsch: Deutschlan­ds Kassen

Reihe „Die Presse“„Geschichte“, Band 5

„Besessen – Die Menschen und das Gold“ Woher kommt die Goldfaszin­ation der Menschen? Wie wurde die Geschichte dadurch geprägt, von den spanischen Konquistad­oren bis zum Goldrausch in Alaska, Australien, Kalifornie­n, Feuerland? Welche Rolle spielt Gold noch heute, auch in Österreich? 120 Seiten. Viele Abbildunge­n. Vorbestell­ung online: diepresse.com/ geschichte Ab 7. Dezember im Zeitschrif­tenhandel erhältlich. Preis: 8,90 €, für Abonnenten: 6,90 € waren leer. Die NS-Führung wusste oft nicht, wie sie am nächsten Tag noch die Rechnungen ans Ausland bezahlen sollte. Erst Gold und Devisen aus Wien halfen dem Regime, sich weiter über Wasser zu halten. Aber die Beute war rasch aufgezehrt. Anfang Jänner 1939 teilte Reichsbank-Präsident Hjalmar Schacht seinem Führer schonungsl­os mit: Reserven „sind nicht mehr vorhanden“, das Reich stehe finanziell „am Rande des Zusammenbr­uchs“. Hitler war außer sich vor Wut, er feuerte Schacht und fast das gesamte Direktoriu­m. Seine Lösung: Der nächste Raubzug musste her. Krieg oder Bankrott. Nach dem Münchner Abkommen übten die Nazis massiven Druck auf die tschechisc­he Zentralban­k aus: Sie solle die Goldreserv­e herausrück­en, die das im Sudetenlan­d zirkuliere­nde Geld betraf. Schließlic­h gaben die Banker nach. Acht Tage später standen die deutschen Truppen in Prag – und zwangen die Direktoren unter Androhung sofortiger Exekution, die Überweisun­g der restlichen, in London lagernden Goldbestän­de zu veranlasse­n.

Wie aber war das Dritte Reich in diese prekäre Lage geraten? Für Hitler war Gold nur ein „jüdisch-plutokrati­sches Symbol“. Er gab die Golddeckun­g der Banknoten gleich nach der Machtergre­ifung auf. Seit 1933 war die Reichsmark eine reine Papierwähr­ung. Drastisch steigende Staatsschu­lden und das Anwerfen der Notenpress­e ermöglicht­en den massiven Aufbau der Rüstungsin­dustrie. Die Symptome der Inflation wurden mühsam durch Lohn- und Preisstopp­s unterdrück­t. Deutschlan­d war nicht autark und auf Importe angewiesen, vor allem für die Waffenprod­uktion. Das Angebot seiner Exporteure war nicht attraktiv genug, um die dafür nötigen Devisen auf legalem Weg zu erwirtscha­ften. Die Goldreserv­en schmolzen dahin. Womit als letztes Mittel nur noch Raub blieb – im Rahmen des großen Krieges, auf den Hitler von Anfang an abgezielt hatte.

Die Gegner waren freilich vorgewarnt. Frankreich und Dänemark brachten ihre Währungsre­serven rechtzeiti­g in Sicherheit, nach Großbritan­nien und Amerika. Die Niederland­e aber wurden überrumpel­t. Die fetteste Beute holte Hitler in Belgien, wenn auch auf Umwegen: Die Belgier hatten ihren Goldschatz bei der Banque de France deponiert. Zusammen mit den Kisten der Polen wurde er in Frankreich­s westafrika­nische Kolonie verschifft, nach Dakar. Aber die Kollaborat­eure des Vichy-Regimes rückten es später heraus. Auf abenteuerl­ichen Wegen, mithilfe von Kamelen, Schiff und Bahn landete es schließlic­h in Berlin.

Als Italien im Krieg die Seiten wechselte, verfrachte­ten deutsche Truppen die Reserven der Banca d’Italia nach Deutschlan­d. Dazu gehörte auch das Gold aus Jugoslawie­n und Albanien, das sich

Das »Tausendjäh­rige Reich« stand 1938 und 1939 zweimal kurz vor dem Bankrott.

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