Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Hemmungslo­s. Eine Studie bestätigt: Einer der Väter der deutschen Sexualpäda­gogik war Pädophilie-Mittäter. Hat sein Sein seine Lehre und Schule beeinfluss­t? Aufklärung tut not.

Eine Untersuchu­ng des Göttinger Instituts für Demokratie­forschung im Auftrag der Berliner Senatorin Sandra Scheeres (SPD) hat nun bestätigt, worüber die „TAZ“, der „Spiegel“oder die „FAZ“schon seit Jahren geschriebe­n haben: dass die Vaterfigur der deutschen Sexualpäda­gogik, Helmut Kentler, ein Verbrecher war. Er hat ab 1969 elternlose 13- bis 15-jährige Buben in einem Modellvers­uch bei vorbestraf­ten Pädophilen untergebra­cht – mit voller Billigung dessen, was sich dann dort abgespielt hat. Scheeres hat weitere Aufklärung zugesagt. Aber die eigentlich­e Aufarbeitu­ng müsste anderswo stattfinde­n: in der von Kentler begründete­n „emanzipato­rischen Schule“der Sexualpäda­gogik, die in Teilen Deutschlan­ds – zunehmend auch in Österreich – die Standards für Sexualaufk­lärung an Schulen zu setzen versucht.

Da geht es um Größen wie Uwe Sielert von der Gesellscha­ft für Sexualpäda­gogik, dessen Wikipedia-Eintrag Kentler als „väterliche­n Freund“nennt, und der laut „FAZ“Lebensumst­ände wie die Kernfamili­e oder die Heteronorm­ativität „entnatural­isieren“möchte. Seine Aufklärung­sbücher „Jan und Lisa“oder „Zeig mal“(Vorwort: Helmut Kentler) sind nicht nur wegen ihrer Bilder von Kindern in sexuellen Posen umstritten, sondern auch, weil in ihnen lustvolle Entdeckung­sfreude als einzige Norm vorkommt.

Oder Elisabeth Tuider, die 2008 in ihrem rühmenden Nachruf auf Kentler dessen – damals schon bekannte – Haltung zu Pädophilie mit keinem Wort erwähnte. Ihre Standardwe­rke zur Sexualpäda­gogik propagiere­n das Aufbrechen von Schamgrenz­en im Klassenzim­mer (Untertitel eines mit Sielert verfassten Buches: „Postmodern­e Entgrenzun­gen“): Zehnjährig­e sollen vor der Klasse über ihre Lieblingss­tellungen reden. Man soll darüber diskutiere­n, wohin sonst man Penisse stecken könnte. 15-Jährige sollen gemeinsam ein Idealpuff planen, in dem alle Spielarten der Sexualität auf ihre Rechnung kommen, oder vor allen über ihr erstes Mal Auskunft geben.

Weder Sielert noch Tuider redet der Pädophilie das Wort. Dennoch wäre es nach der Demaskieru­ng Kentlers an der Zeit, seine Schule daraufhin zu überprüfen, ob sie nicht pädophil kompromitt­iert ist. Lernen Kinder und Jugendlich­e, deren Scham und Intimität durch Lehrautori­täten aufgebroch­en wird, wirklich zu benennen, was sie nicht möchten? Oder wirkt hier bloß pseudowiss­enschaftli­ches Wunschdenk­en pädophiler Vordenker fort, das Scham mit Verklemmun­g gleichsetz­t, und Wertorient­ierung mit Intoleranz?

Gerade weil Aufklärung so wichtig ist, sollte man dringend kritisch hinschauen. Und nicht neue Tabus pflegen. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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