Die Presse am Sonntag

»Die Wirklichke­it ist viel brutaler!«

»Man braucht das Verrückte!« Schauspiel­er Michael Dangl über seine Gegenwelt, die TV-Serie »Vorstadtwe­iber«, seine Bücher und sein Familienle­ben zwischen St. Petersburg und Wien. Der gebürtige Salzburger erzählt von seiner Kindheit, in der er viel allein

- VON BARBARA PETSCH

Wie gerät ein feinsinnig­er Mensch wie Sie in eine TV-Soap wie die „Vorstadtwe­iber“? Michael Dangl: Warum denn nicht? Ich spiele einen Journalist­en namens Dieter West, der keine ganz reine Weste hat, weil er sehr mit der Politik verklüngel­t ist. Die Dialoge der Serie sind witzig. Es sind überzeugen­de Figuren, und was die Schauspiel­er betrifft, ist man in guter Gesellscha­ft. Ich weiß, „Vorstadtwe­iber“sind sehr erfolgreic­h. Aber: Tauschen sich Leute wirklich auf so eine ordinäre Art miteinande­r aus? Ich glaube, die Wirklichke­it ist noch viel brutaler – so schlimm, dass man sie im Hauptabend­programm gar nicht zeigen könnte. Was hinter den Türen vornehmer Villen passiert, das wollen wir lieber nicht wissen. In der Josefstadt spielen Sie den „Schwierige­n“. Hat man da nicht Berührungs­ängste mit Vorgängern? Helmuth Lohner etwa? Ich denke viel an ihn. Ich habe 2000 den Stani gespielt, er war der Kari Bühl. Wir hatten ein sehr gutes Verhältnis. Lohner war für mich das erste, große Theatererl­ebnis, Nestroys „Talisman“1976 bei den Salzburger Festspiele­n. Otto Schenk hat inszeniert. Lohner hat mich engagiert und nach Wien geholt. Man sagt sich, den hast du auf der Bühne gesehen, und jetzt trittst du mit ihm auf, das ist ja wie ein Traum. Sind Sie schon einmal mit dem Tod konfrontie­rt worden? Zum Glück nicht. Aber mit zunehmende­m Alter verliert man Weggefährt­en und Freunde: Letztes Jahr Helmuth, meinen alten Freund Hans Niklos, diesen Sommer völlig überrasche­nd Gerhard Tötschinge­r und jetzt eben Heribert Sasse, eine große Theaterper­sönlichkei­t. Meine Freunde sind grundsätzl­ich 20 Jahre älter als ich. Gibt es ein Leben nach dem Tod? Bestimmt gibt es eine Form des Weiterlebe­ns. Ich glaube nicht so sehr an die Zeit als Kategorie von vorher und nachher. Ich glaube, wenn man aus diesem konkreten Leben austritt, kommt man in eine andere Art von Zeit, Ordnung oder Raumgeflec­ht. Die Energie bleibt bestehen. Ihre Eltern hatten ein Tourneethe­ater, die Karawane Salzburg. Eine Wanderbühn­e. Sie haben sie noch, aber sie spielen keine Theaterstü­cke mit anderen Mitspieler­n mehr. Sie machen Zweierprog­ramme. Waren Sie als Einzelkind viel allein? Ja. Ich war bei der Oma und bei einer Tante. Aber ich war schon sehr früh auch einfach allein zu Hause. Ich habe gelesen, geschriebe­n, ich habe Zeitungen hergestell­t. Meine einzigen Abonnenten waren meine Eltern, und ich war für alle Ressorts zuständig. Sind Sie ein Träumer, ein Kind geblieben? Ich wünsche jedem, dass ihm oder ihr das bleibt. Es ist der Gegenentwu­rf zur Realität. Man sieht doch, wozu das Vernünftig­e hinführt. Es kann niemand behaupten, dass wir in einer lustvollen, Glück versprühen­den Welt leben. Man braucht das Verrückte, das Außergewöh­nliche. Ich bin froh, dass ich durch meine Arbeit in dieser vollkommen­en inneren Gegenwelt leben kann. Beschäftig­en Sie sich mit Politik? Mich ärgern Ungerechti­gkeit, Ausländerf­eindlichke­it, Intoleranz, Ungleichhe­it in der Verteilung der Güter. Das macht mich wütend. Parlamenta­rische Debatten in Österreich interessie­ren mich allerdings wenig.

1968

Michael Dangl wird als Sohn von Eltern, die eine Wanderbühn­e haben, in Salzburg geboren und steht erstmals mit vier Jahren auf der Bühne.

1986

Engagement ans Salzburger Landesthea­ter. Dangl spielt auch in Koblenz, Köln und Hamburg.

1998

Dangl wird ans Theater in der Josefstadt engagiert. Aktuell ist er dort in Hofmannsth­als „Schwierige­m“im Haupthaus sowie in „La Cage aux Folles“und seit 15. 12. in „Die Kehrseite der Medaille“von Florian Zeller in den Kammerspie­len zu sehen.

Rollen

Figaro in Beaumarcha­is „Der tolle Tag“, Jupiter in Kleists „Amphitryon“, Christian in „Buddenbroo­ks“, Reichenau: der junge Trotta in J. Roths „Radetzkyma­rsch“, Baron Innstetten in Fontanes „Effi Briest“.

Bücher, Hörspiele

„Rampenfluc­ht“, „Schöne Aussicht Nr. 16“, „Grado“(Braumüller Verlag). Wird die Welt immer schlechter? Wenn die Welt immer so viel schlechter geworden wäre, wie die jeweils ältere Generation behauptet, würde sie nicht mehr existieren. In der Jugend neigt man mehr zu Verklärung, im Alter zum Pessimismu­s. Einer Ihrer ersten großen Erfolge in Wien war 1999 „Besuch bei Mr. Green“von Jeff Baron im Rabenhof mit Fritz Muliar. Ein junger Mann muss einen alten besuchen und ihm helfen. Der Senior reagiert zunächst erzürnt. Muliar war auch ein explosiver Charakter. Wie sind Sie mit ihm ausgekomme­n? Fritz Muliar war mein Freund. Ich habe ihn nur von seiner besten Seite kennengele­rnt. Schon in meiner frühen Zeit am Landesthea­ter in Salzburg hat er mich ins Herz geschlosse­n. Wir hatten Pläne für einen zweiten Teil von „Mr. Green“, das sollte ein Geschenk zum 90. Geburtstag von Muliar werden. Herbert Föttinger und ich sind zu Muliar nach Enzersdorf hinausgefa­hren. Föttinger hat Muliar gefragt, ob er das spielen möchte, das war natürlich zwei bis drei Jahre vorher. Muliar sagte: „Klar, aber was spiele ich vorher?“ Wären Sie gern Theaterdir­ektor geworden? Nein. Ich sehe bei Herbert Föttinger aus der Nähe, was alles zu diesem Beruf gehört. Das muss man wollen, dafür muss man viel machen, was mit dem Künstleris­chen nichts zu tun hat und oft auch nicht angenehm ist. Ein Theaterdir­ektor muss für Hunderte Leute denken. Man braucht eine Vision, man muss brennen. Ich bin sehr auf mich fixiert. Ich brenne für meine Arbeit, meine Rollen, mein Schreiben. Ja, Ihre Bücher, zuletzt „Grado“: Ist Schreiben weniger strapaziös als Spielen? Das Theater ist und bleibt meine Hauptarbei­t, aber ich bin nicht mehr zu hundert Prozent dort verwurzelt. Schreiben hat mit einer anderen Art Weltsicht oder Welterfahr­ung zu tun. Schreiben Sie jeden Tag? Eine Art Tagebuch. Aber konkret etwas schreiben, das kann ich nur, wenn ich mir Zeit nehme. Zwischen Proben und Vorstellun­gen geht das nicht. Ich brauche ein paar Tage Abstand, auch räumlich: Schweigen und sich rein machen, das ist notwendig. Ich schreibe nicht am Computer, sondern mit der Hand. Das dauert ja furchtbar lang. Das war früher auch so, und dabei sind dickere Bücher entstanden als meine. Ich kritisiere nicht, was andere machen. Aber: Ich persönlich misstraue dem Computer, der Schnelligk­eit und dass man alles wieder löschen oder sofort korrigiere­n kann. Schreiben ist ein sinnlicher Vorgang. Das hat mit Material, Papier, Bleistift, Füllfeder zu tun. Das Manuskript ist mir wichtig. Arbeiten Sie derzeit an einem Buch? Nein. Bis Silvester ist mein Leben vom Schauspiel­beruf besetzt. Außerdem drehen wir „Vorstadtwe­iber“und „Schnell ermittelt.“ Sie sind verheirate­t mit Flötistin Maria Fedotova und haben eine Tochter, die bei Ihrer Frau in Petersburg lebt. Ist das schwer? Die Arbeit, die ich mache, in dem Ausmaß, wie ich sie mache, ist für ein normales Familienle­ben nicht geschaffen. Meine Frau ist am Mariinski-Theater bei Valery Gergiev als erste Flötistin fix engagiert. Wir sind jetzt seit acht Jahren verheirate­t, unsere Tochter ist sechs, sie ist gerade in St. Petersburg in die Schule gekommen. Ich würde sie gern viel öfter sehen, darum habe ich jetzt Reichenau abgesagt, damit es wenigstens im Sommer möglich ist. Aber es ist mir schwergefa­llen, weil ich gern in Reichenau spiele. . . . ob das Alter für Sie bedrohlich ist. Ihr Fünfziger naht. Fünfzig finde ich noch nicht bedrohlich, was dann später kommt, vielleicht. Ich versuche dem Älterwerde­n Gutes abzugewinn­en. Man wird geduldiger mit sich und mit anderen. . . . ob es wahr ist, dass viele Fernsehen des Geldes wegen machen. Wie ist das bei Ihnen? Fernsehen wegen des Geldes zu machen, das wäre traurig. Ich habe in „Tatort“gespielt und in „Soko Kitzbühel“, das waren schöne Episodenha­uptrollen. Mich fasziniert die andere Art des Arbeitens beim Drehen. Man muss die Rolle fertig in sich haben, dann wird sie zerlegt. Am Theater arbeitet man linear. . . . ob man als Schauspiel­er auch abhängig ist vom Theater? Man will nicht nur spielen, man muss. Sicher. Und besonders ich werde dem Theater bestimmt immer verfallen bleiben, weil ich ja von klein auf dabei war. Theater ist auch eine Art Therapie. Was haben Sie sonst für Pläne? Meine Frau und ich machen viel zusammen, etwa Weihnachts-CDs. Als Gidon Kremer noch in Lockenhaus Intendant war, habe ich ihn kennengele­rnt. Daraus ist eine wunderbare Freundscha­ft geworden. Ich habe ein Kinderstüc­k, „Die Tierharmon­iker“, für ihn geschriebe­n. Nun hat er mir persönlich­e Texte zur Begutachtu­ng und Überarbeit­ung gegeben, daraus soll ein Buch werden. Außerdem bereite ich mit Konstantin Wecker ein Projekt vor. Was wird das? Weckers Roman heißt „Der Klang der ungespielt­en Töne“, es geht darin sehr viel um Musik. Vor zwei Jahren hat er mich gefragt, ob ich das Buch dramatisie­ren möchte, weil er wusste, dass ich Klavier spielen kann. Wir wollten dann einen Film machen, das dauert noch, also machen wir ein Konzertpro­jekt in München für drei Sprecher und Orchester. Das wird 2018 am Gärtnerpla­tztheater in München sein – wo ich im übernächst­en Jahr auch den Professor Higgins in „Fair Lady“spiele. Haben Sie denn etwas von einem mieselsüch­tigen Hagestolz wie Higgins? Ich kann mit egozentris­chen, versponnen­en, unberührba­r sein wollenden Männern viel anfangen. Lebt man im Theater verdrängte Ichs aus? Würden Sie gern Richard III. spielen? Sicher. Sind wir nicht alle potenziell­e Wahnsinnig­e, Massenmörd­er und unzurechnu­ngsfähige Zeitgenoss­en? Was macht man im Winter in Grado? Lange Spaziergän­ge am Strand, die herrliche würzige Salzluft einatmen. Wenn es kalt ist oder die Bora bläst, geht man in die Bar. Schriftste­ller, Schauspiel­er und Bars, die hatten schon immer ein enges Verhältnis.

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Clemens Fabry „Ich kann mit egozentris­chen, versponnen­en Männern viel anfangen“, sagt „Josefstädt­er“Michael Dangl.
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