». . . sonst wäre ich heute bei den Grünen«
Vor 30 Jahren prägte der ÖVP-Politiker Josef Riegler den Begriff der ökosozialen Marktwirtschaft. Ein Gespräch mit ihm und Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter über die Umwelt, den Kapitalismus, CO2-Steuern und die Grünen.
Herr Riegler, Sie haben vor 30 Jahren den Begriff der ökosozialen Marktwirtschaft in Österreich geprägt. Wenn Sie sich heute unser Steuersystem anschauen, sehen Sie einen Niederschlag? Josef Riegler: Einige kleine Akzente gibt es schon. Bei den Steuerkorrekturen, die es 1992 gegeben hat, beispielsweise, und später 2002/2003, als in die Koalition zwischen ÖVP und FPÖ Teile von dem eingeflossen sind, was man zuvor mit den Grünen verhandelt hat. Sie wurden vor 30 Jahren ja belächelt für diese Kampagne. Wie schwer war es denn, den Menschen zu erklären, was Sie mit der ökosozialen Marktwirtschaft überhaupt meinen? Riegler: Der Begriff war tatsächlich schwierig zu erklären. Aber die Zeit war damals sehr vom Denken der Nachhaltigkeit geprägt. Als ich 1987 Landwirtschaftsminister wurde, war die Agrarpolitik völlig verfahren: Es gab Überschüsse, hohe Schulden der Bauern – mein Konzept war damals eine Produktionsumstellung hin zu Qualität und zu Ökologie. Aus meiner Vorgeschichte war ich durch drei Ziele geprägt: Wir müssen wirtschaftlich besser werden, der soziale Aspekt war mir ganz wichtig, und die ökologischen Probleme habe ich vor allem aus meiner Zeit als Umweltlandesrat in der Steiermark mitbekommen. Es ging um die Umsetzung von Sozialem, von Ökologie und von Wirtschaft. Und es ging auch um eine Versöhnung zwischen Industrie und Umweltinteressen. Wie schwierig, Herr Rupprechter, ist es noch 30 Jahre später, diese Ziele in der Politik umzusetzen? Andrä Rupprechter: In der Regierung ist es nicht leicht, diese Aspekte wieder stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Aber es ist mir ein ganz wichtiges Anliegen. Die ökosoziale Ausrichtung, die Josef Riegler 1987 gefordert hat, war eine große Vision. Ich war damals sehr umweltbewegt – schon als Ministrant habe ich mit dem Pfarrer gegen die Verbauung der Brandenberger Ache demonstriert. Dann habe ich gegen das Atomkraftwerk in Zwentendorf gestimmt, 1984 war ich bei der Besetzung der Hainburger Au dabei. Ich war sehr stark in der grünen Szene und . . . . . . sind Sie dann nicht in der falschen Partei gelandet? Rupprechter: Meine Gesinnungsheimat ist noch in die richtige Richtung gegangen. Die ÖVP hat sich damals nicht stark genug dem Umweltaspekt gewidmet, aber mit Josef Riegler ist jemand mit der Vision von einem Gleichklang von Ökonomie, Ökologie und Solidarität gekommen. Da habe ich gesehen, das geht auch in der Volkspartei – sonst wäre ich heute wahrscheinlich bei den Grünen. Im Plan A von Bundeskanzler Kern geht es ja überraschenderweise wenig um eine Ökologisierung des Steuersystems, die er noch im Sommer vergangenen Jahres angekündigt hat. Sind Sie enttäuscht? Rupprechter: Wir von der ÖVP sind hier schon einen bedeutenden Schritt weiter als der Koalitionspartner. Wir haben bei unserer Klausur die Nachhaltigkeit als ein ganz wesentliches Thema definiert, der Vizekanzler und der Finanzminister sprechen von der Notwendigkeit einer Ökologisierung des Steuersystems. Das müssen wir auch wegen des Weltklimavertrags forcieren, bis Mitte des Jahres müssen wir den Weg zum Erreichen der Klimaziele festgeschrieben haben. Eine Ökologisierung des Steuersystems ist auch wichtig, um den Faktor Arbeit steuerlich entlasten zu können, weil eine Steuerreform in diese Richtung natürlich aufkommensneutral sein muss. Herr Riegler, Andrä Rupprechter ist nicht der erste Umweltminister, der mehr ökolo- gische Steuern fordern. Josef Pröll hat einst als Finanzminister bereits eine große ökologische Steuerreform angekündigt, aus der nichts geworden ist. Sie haben es auch jahrelang propagiert – warum ist das in Österreich so schwer umzusetzen? Riegler: Es gibt leider sehr viele Bremser und nur wenige, die die Kraft und den Mut haben, das auch ernsthaft anzugehen. Wir wurden 15 Jahre lang als Träumer abgestempelt. Inzwischen sind die „Sustainable Development Goals“der UNO bis 2030 eine rein ökosoziale Agenda auf der globalen Ebene. Der Klimavertrag von Paris ist ein ökosoziales Programm, und seit dem Wirtschaftsschock von 2008 haben alle globalen Thinktanks begonnen umzudenken. Man hat gesehen, dass ein nur zügelloser Markt nicht auf Dauer funktionieren kann. Jetzt spricht man von Green, Fair and Inclusive Economy, das ist nichts anderes als eine ökologisch-soziale Wirtschaft. Unser Modell ist also auf der globalen Ebene zum Allgemeingut geworden, und ich bin sicher, dass wir heuer in Österreich große Schritte in diese Richtung sehen werden. Hat sich das System des Kapitalismus und das Prinzip des ständigen Wachstums überholt? Riegler: Auf jeden Fall ein System, das darauf baut, dass man ohne produktive Leistung und nur mit Spekulationen Wirtschaft betreiben kann. Jedes eindimensionale Modell bringt Probleme, wir haben es auch in Venezuela gesehen, wo der Marxismus in die totale Pleite geführt hat. Auch der reine Kapitalismus, der weder auf Menschen noch auf die Umwelt Rücksicht nimmt, kann langfristig nicht reüssieren. Wir brauchen ein ausbalanciertes Wirtschaftssystem. Und daher kommt die Idee der Green and Inclusive Economy als neues Modell, an das mittlerweile viele glauben. Was gehört in unserem aktuellen Steuersystem sofort geändert? Riegler: Die steuerliche Überbelastung der Arbeit sowohl bei den Arbeitnehmern als auch bei den Arbeitgebern. Auf der anderen Seite haben wir eine sehr niedrige Besteuerung der fossilen Energieträger. Das sind zwei Hebel, bei denen man ansetzen könnte. Es geht nicht um Steuererhöhungen, sondern um ein Umschichten. Aber man muss natürlich das europäische Umfeld betrachten, das kann nur im Gleichklang gehen. Rupprechter: Das ist gerade bei diesem Thema besonders wichtig. Wir brauchen eine EU-weit koordinierte Vorgangsweise, eine CO2-Besteuerung geht nur auf europäischer Ebene. Die Industrie braucht einen kalkulierbaren Preis für CO2, das der Hauptgrund für den Klimawandel ist. Und diesen Kohlendioxidausstoß müssen wir in Europa in den Griff bekommen. Dann wird sich aber die Industrie aus Europa verabschieden. Rupprechter: Ich glaube nicht. Die österreichische Industrie ist beispielsweise schon sehr klimaeffizient. Wenn man die Hochöfen in Linz anschaut und mit anderen in Europa vergleicht, dann ist das einer der klimafreundlichsten Standorte in Europa. Die Voest ist in dem Bereich sehr innovativ und setzt zum Beispiel für die Stahlschmelze auf Lichtbogen aus Strom und forscht in Richtung Wasserstofftechnologie. Außerdem gibt es eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und dem Ausstoß von CO2. Für die Unternehmen ist Klima- und Umweltschutz mittlerweile auch zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. Riegler: Im Klimavertrag haben sich die Länder zu einem Ausstieg aus der fossilen Energie bis 2050 verpflichtet. Für diesen Wandel vom fossilen zum solaren Zeitalter gibt es enormes Potenzial. Europa hat hier die besten Voraussetzungen, weil es in diesem Bereich viele sehr fortschrittliche Unternehmen gibt. Aber so ein Wandel kann doch nur im globalen Gleichklang funktionieren, und in den USA haben wir bald einen Präsidenten, der sich wiederholt gegen die Klimaziele ausgesprochen hat. Riegler: Ja, Donald Trump ist natürlich ein Unsicherheitsfaktor. Aber auch diese Episode wird vorübergehen, vielleicht wird er bald recht stark auf den Boden der Realität heruntergeholt. Rupprechter: Das Hearing des künftigen Außenministers hat gezeigt, dass die USA nicht aus dem Klimaabkommen aussteigen wollen. Es wurde dort ja bereits ratifiziert, und Rex Tillerson (desi-
Josef Riegler,
geboren 1938, war von 1987 bis 1991 Minister und Vizekanzler der Republik. Von 1987 bis 1989 diente er als Landwirtschaftsminister in der Regierung Vranitzky II, 1989 wurde er Vizekanzler und Bundesminister für Föderalismus und Verwaltungsreform. Von 1989 bis 1991 war er zudem Bundesparteiobmann der ÖVP.
Andrä Rupprechter,
geboren 1961, ist seit 2013 Minister für Umwelt, Land- und Forstwirtschaft. Er arbeitete einst als Sekretär im Kabinett des Nachfolgers von Riegler im Landwirtschaftsministerium, Franz Fischler. Er war auch Mitarbeiter von Minister Wilhelm Molterer. gnierter Außenminister, Anm.) hat im Gegensatz zu Trump bei der Anhörung gesagt, dass man dem Klimavertrag gerecht werden wird. Es ist eine große Chance, weil man erstmals ein weltumspannendes Abkommen hat mit 115 Staaten, darunter auch China, die für insgesamt 80 Prozent der Treibhausemissionen verantwortlich sind. Es gibt aber, man hat es ja auch beim Kyoto-Klimaabkommen gesehen, einen Unterschied zwischen einer Unterschrift und dem Handeln in der Praxis. Das Interesse der Entwicklungs- und Schwellenländer wird sich in den kommenden Jahren zweifellos eher auf ein Wirtschaftswachstum konzentrieren und darauf, möglichst viele Menschen aus der Armut herauszubringen, als auf den Umweltschutz. Riegler: Die Frage für diese Länder ist, ob sie mittelfristig einen vernünftigen Lebensraum haben wollen oder nicht. Man sieht es an China, das mittlerweile sehr auf Umweltschutzmaßnahmen setzt. Außerdem geht es bei der wirtschaftlichen Entwicklung vor allem darum, diesen Ländern faire Handelsbeziehungen und echte Partnerschaften mit den entwickelten Ländern zu bieten. Es kann nicht sein, dass man sie nur als wirtschaftliche Chance für das eigene Unternehmen oder das eigene Land sieht. Rupprechter: Das Weltklimaabkommen von Paris ist die größte Entwicklungsagenda, die wir jemals global festgeschrieben haben. Die Industriestaaten haben sich darin verpflichtet, insgesamt 110 Milliarden Dollar für eine nachhaltige Entwicklung in diesen Ländern zur Verfügung zu stellen. Bemerkenswert ist, Herr Riegler, dass Sie die Idee der ökosozialen Marktwirtschaft über 30 Jahre mit Leidenschaft verfolgt haben. Haben Sie der Widerstand und das Belächeln nie demotiviert? Riegler: Nein, eigentlich nicht. Als ich aus der Regierung ausgeschieden bin, wollte ich meiner Idee auch als Privatperson weiterhin treu bleiben. Es gab zehn Jahre oder mehr einen massiven Gegenwind, die Vertreter einer ökosozialen Marktwirtschaft wurden in Österreich, in Europa, weltweit belächelt. Aber es hat sich gelohnt, das immer wieder zu diskutieren und beständig zu verfolgen.