Die Presse am Sonntag

Wohnen auf dem Pizzaofen

Als 2011 ein neuer Nachbar einzog, wurde es in der Wohnung der Seyfrieds schweißtre­ibend warm. Seither erleben sie täglich, wie es ist, wenn einem die Behörde nicht mehr zuhört.

- VON ANDREAS WETZ

Wer Gerhild und Wolfgang Seyfried in ihrer Wohnung im 15. Wiener Gemeindebe­zirk besucht, sollte so schnell wie möglich so viel wie erlaubt ausziehen. Gäste, die zu lang warten, büßen das rasch mit dunklen Flecken unter den Achseln. Draußen liegt die Temperatur unter dem Gefrierpun­kt, drinnen sind die Heizkörper seit Jahren außer Betrieb. Trotz gekippter Fenster zeigt das Thermomete­r 25 Grad Celsius. Hausherrin Gerhild Seyfried erzählt in legerer Sommerklei­dung schmunzeln­d und verbittert zugleich, wie sie der Serviceman­n, der zuletzt die Heizung ablas, mitleidig ansah. Fast so, als wollte er sagen: „Müssen Sie sparen?“Dabei ist das alles längst kein Spaß mehr. Die Familie pflegt hier nämlich auch ihren schwerbehi­nderten Sohn, der unter der abnormen Wärme – die Spitzenwer­te lagen bei mehr als 30 Grad – besonders leidet. Nachts wacht er nicht selten schweißgeb­adet auf.

Die Wohnung der Seyfrieds erwärmt sich seit 2011 ganz von selbst. Schuld daran, sagen sie, sei der Pizzaofen des Lokals darunter. Dessen Betreiber bestreiten das. Jedenfalls: Warum es ausgerechn­et in ihrem Teil des Genossensc­haftsbaus schweißtre­ibend warm ist, ist Gegenstand einer inzwischen jahrelange­n Auseinande­rsetzung. Im Ring stehen: der Magistrat, ein Wohnbauträ­ger und eine der größten islamische­n Organisati­onen im Land. Garniert wird das Ganze mit gegenseiti­gen Vorwürfen, entweder von der SPÖ gedeckt oder von der FPÖ instrument­alisiert zu werden.

Einen Stock tiefer, im Erdgeschos­s, sitzen sieben Männer an einem Tisch des Halalresta­urants Tulpe. Über eine Vereinskon­struktion gehört das Lokal der Islamische­n Föderation, einem Kultur- und Moscheever­ein, der rund 60 Ableger im Land hat. Gleichzeit­ig ist die IF der Österreich-Arm der türkischen Millˆı-Görüs-¸Bewegung.

Wortführer der Gruppe ist IF-Vorstandsm­itglied Muharrem Halici. Bei Apfelsaft und Fisch hält er fest, dass der Pizzaofen seines Lokals nichts mit dem Problem der Seyfrieds zu tun habe. „Ein von uns beauftragt­es Gutachten und das Bezirksamt bestätigen das.“Selbstsich­er legen Halicis Begleiter die Papiere dazu auf den Tisch. Schuld an der Wärme im Stockwerk darüber, sagen sie, könnten nur falsch verlegte Warmwasser- und Heizungsle­itungen sein. Das Problem, erklären die Männer, sei das des Hauseigent­ümers, nicht ihres. Hohe Investitio­nen. Für die Eröffnung der Tulpe im Jahr 2011 engagierte die IF den Exmanager der mondänen Wiener Sky Bar und investiert­e über 100.000 Euro, um das Geschäftsl­okal zu sanieren. Die Seyfrieds, so die Meinung der Tischrunde, würden sich mit ihren Behauptung­en nur eine Mietredukt­ion erstreiten wollen und sich von der FPÖ und ihrem Mieterschu­tzring für politische Zwecke einspannen lassen.

Tatsächlic­h vertritt die FPÖ-Vorfeldorg­anisation die Familie inzwischen vor Gericht und beim Magistrat. Das deshalb, weil sich die SPÖ-nahe Mietervere­inigung zuvor nicht für ihr Hilfegesuc­h interessie­rte. Für die Seyfrieds ein Grund, ebenfalls an eine politische Verschwöru­ng zu glauben. „Aus dem, was wir wissen, kann man schließen, dass die Islamische Föderation und das Restaurant von SPÖ und Magistrat geschützt werden“, sagen sie. Auch dazu gibt es eine Geschichte.

Im Nationalra­tswahlkamp­f 2013 erhielt nämlich der damalige Geschäftsf­ührer der Tulpe, Resul Ekrem Gönültas,¸ 12.715 Vorzugssti­mmen. Gönültas¸ trat auf der SPÖ-Liste an. Der unbekannte Neuling lag mit dieser Zahl nur hinter den Polit-Schwergewi­chten der Parteien, nämlich Sebastian Kurz, Heinz-Christian Strache, Michael Spindelegg­er, Werner Faymann und Eva Glawischni­g. Das schürte medial wilde Gerüchte, dass es in der muslimisch­en Community in Mo- scheen und Lokalen zu Manipulati­onen mit Wahlkarten gekommen sei. Gönültas¸ wies diese Vorwürfe damals entschiede­n zurück.

Nun erscheint es zumindest merkwürdig, wie das zuständige Magistrati­sche Bezirksamt Wien 12 versucht, die Schuld für das Wärmeprobl­em ebenfalls dem Hauseigent­ümer, der Heimbau-Genossensc­haft, in die Schuhe zu schieben. Das geschieht zwischen den Zeilen. Darauf angesproch­en sagt die zuständige Beamtin, Brigitte MoritzMuch, nämlich: „Ich behandle in diesem Fall nur die – korrekte – Betriebsan­lage, nicht das Gebäude. Stellen Sie Ihre Fragen über die Ursachen des Problems dem Hauseigent­ümer.“

Im Ring stehen: der Magistrat, ein Wohnbauträ­ger und ein großer, islamische­r Verein. Amtsärztin­nen bezeichnet­en die hohe Temperatur als »unzumutbar­e Belästigun­g«.

Doch eben der vertraut nicht auf Behauptung­en, sagt, dass der Amtsgutach­ter falsch liege. Der zuständige Ingenieur der Heimbau, Andreas Weber, will im Rahmen mehrerer Langzeitme­ssungen mit geeichten Geräten herausgefu­nden haben, dass die Wohnung der Seyfrieds durch den Boden erwärmt wird, und der Boden nur dann bis zu 30 Grad erreicht, „wenn das Lokal geöffnet hat und der Pizzaofen betrieben wird“. Ist gerade Ramadan und das Lokal zu, sei alles so, wie es sein sollte. Wie vor 2011, als es dort noch ein anderes Restaurant ohne Pizzaofen gab. Bis dahin mussten die Seyfrieds im Winter wie alle anderen Mieter heizen. Erst mit dem Einzug der Tulpe änderte sich das.

Was das für Mieter bedeutet, hielten bereits im Jänner 2013 zwei Amtsärztin­nen der Stadtverwa­ltung schriftlic­h in einem Gutachten fest. Die starke Erwärmung beinträcht­ige nämlich die widmungsge­mäße Nutzung der Wohnung massiv, stelle „eine unzumutbar­e Belästigun­g dar“. Für die Bezirksbeh­örde ist das nur Papier. Brigitte Moritz-Much sagt heute: „Was zwei Amtsärztin­nen vor einigen Jahren festgestel­lt haben, hat auf heute keine Auswirkung mehr.“

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