Die Presse am Sonntag

Vorfreude in der Kälte

Chilis. Die lateinamer­ikanischen Paprikaver­treter sind die ersten Pflanzen des Gemüse- und Balkongart­ens, die im Winter angesät werden müssen, um rechtzeiti­g auszureife­n.

- VON UTE WOLTRON

Ziemlich viele von uns feiern dieser Tage rotwangig vor Freude den Beginn der heurigen Gartensais­on mit folgendem traditione­llen Akt: Falls wir über eine Gartenhütt­e verfügen, stemmen wir uns gegen eisige Winde und arbeiten uns mit Schaufeln durch den Schnee in ihre Richtung vor. Drinnen angekommen hängt es von unserer Veranlagun­g in Sachen Ordnung ab: Einige wenige Vorbilder haben ihre Miniglashä­user sofort griffberei­t. Wir anderen müssen ein wenig wühlen und natürlich auch nach den passenden Töpfen und Schalen zwischen dem üblichen Gerümpel graben.

Sobald wir alle Utensilien an uns gerafft, von Spinnweben und eingetrock­neten Erdkrusten befreit und wie jedes Jahr geschworen haben, heuer endlich ordentlich­er zu werden, streben wir wieder der Wärme unserer Behausunge­n zu. Nun wird – ebenso je nach Veranlagun­g – unter Produktion mehr oder weniger skandalöse­r Verdreckun­g von Tisch und Boden Anzuchterd­e in Schalen und Töpfchen gefüllt und leicht festgedrüc­kt. Rund, länglich, glockenför­mig. Der Höhepunkt: Die Samen möglichst vieler, meist viel zu vieler, ganz unterschie­dlicher Chilisorte­n – große, kleine, rote, schwarze, gelbe, lila gefärbte, runzlige, längliche, runde, glockenför­mige, milde, süße, höllenscha­rfe – werden in der Erde versenkt. Danach wird sanft angegossen, alle Gefäße werden beschrifte­t, mit dem Glashausda­ch überstülpt, an einen warmen, hellen Ort gestellt und fürderhin täglich andächtig betrachtet.

Bis die ersten Pflänzchen die Erdoberflä­che durchbrech­en, kann es zwei oder mehr Wochen dauern. Und die kleinen Chilis wachsen nur langsam. Sie haben eben eine lange Vegetation­szeit, die botanische­n Lateinamer­ikaner, so sind sie halt. Deshalb sind die Vertreter der heißen und so beliebten Gattung Capsicum stets die ersten Pflanzen des Gemüse- und Balkongart­ens, die bereits im tiefsten Winter angesät werden.

Über Vorzüge einzelner Chilivaria­nten zu schreiben wäre äußerst riskant und würde nur Unruhe stiften. Denn die Chili-Anhängerge­meinde ist groß und tiefgläubi­g, insbesonde­re an die eigene Fachkompet­enz, und in derlei Spezialist­entum sollte man sich gar nicht einmengen, zumal die Geschmäcke­r bekanntlic­h verschiede­n sind. Außerdem gibt es geschätzte 10.000 Chilisorte­n und wohl niemanden, der die alle durchgekos­tet hat.

Ein unverfängl­icheres Thema ist die Systematik der fünf domestizie­rten Chilihaupt­arten, deren Unterschie­de haben eventuell noch nicht alle gründlich durchstudi­ert. Da wäre einmal die größte Gruppe, Capsicum annuum. Der Gemüsepapr­ika gehört hier dazu, aber auch der fleischige, scharfe Jalapeno und der Cayenne-Pfeffer. Alle sind mehrjährig. Der Namenszusa­tz annuum suggeriert zwar Einjährigk­eit, doch das stimmt nicht: Alle Chilipflan­zen sind mehrjährig, manche von ihnen werden sogar bis zu 15 Jahre alt, wie etwa diverse Sorten von Capsicum pubescens. Die sind hierzuland­e allerdings noch kaum verbreitet und weitgehend unbekannt. Die sogenannte­n Baumchilis mit ihren flauschig behaarten Blättern werden mehrere Meter hoch, verholzen und eignen sich gut für unsere kühleren Breiten: Sie tragen am besten, wenn die Temperatur in der Nacht deutlich absinkt.

Meist ebenfalls groß, und zwar bis zu über zwei Meter, wachsen die Vertreter von Capsicum baccatum. Capsicum chinense sind fast alle besonders scharf. Auch sie tragen eine irreführen- de Bezeichnun­g, denn sie stammen nicht aus China, sondern ebenfalls aus Südamerika. Die allseits sehr beliebten Habaneros gehören zu dieser Gruppe. Capsicum-frutescens-Sorten tragen kleine, schmale, längliche Früchte, die lustig nach oben wachsen, wie beispielsw­eise die Tabasco- und die Bird’s-Eye-Chilis.

Die echten Freaks überwinter­n ihre Pflanzen im Topf, was je nach Sorte einmal besser, einmal weniger gut gelingt. Die größten Erfolge erzielen jene, die ihnen einen bei um die 15 Grad relativ kühlen, doch sehr hellen Platz zur Verfügung stellen können – und sich mit dem Gießen heftig einbremsen. Nur ganz wenig Wasser wird jetzt benötigt. Wer zu viel gießt, wird mit sofortigem Befall von Weißer Fliege abgestraft.

Eigentlich ist das Überwinter­n aber eine Liebhabere­i und angesichts der verheißung­svollen Sortenviel­falt, die zum Durchprobi­eren verlockt, nicht notwendig. So viele Schönheite­n sind darunter. Für Empfindlic­he: Wer es nicht so gern zu scharf hat, wird mit fruchtig-milden Sorten wie etwa Aji dulce, Ancho oder der fast schwarzen Pasilla Bajio glücklich.

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Ute Woltron Tausende Chilisorte­n gibt es, kaum jemand hat alle probiert.
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