Die Presse am Sonntag

»In unserer Branche herrscht Krieg«

»Wir sind kein Start-up«, sagt Alexander Windbichle­r, einer der erfolgreic­hsten Internetun­ternehmer des Landes. Er steht seit elf Jahren mit Google im Ring, bunkert für Netflix alle Serien im Keller und überzeugt Banken mit seinem »Hättiwari-Index«.

- VON MATTHIAS AUER

Alexander Windbichle­r ist gerade dreißig Jahre alt geworden. „Meine erste QuarterLif­e-Crisis“, sagt er. Viel Grund zu zweifeln hat der Junguntern­ehmer allerdings nicht. Mit seinem Unternehme­n Anexia ist der Kärntner einer von wenigen, die den Branchenri­esen Amazon, Google und Co. im lukrativen Cloud-Geschäft Paroli bieten können. In 70 Serverfarm­en weltweit lagert er Daten und Dienstleis­tungen für seine Kunden aus. Windbichle­r hat 150 Mitarbeite­r und macht jedes Jahr zig Millionen Euro Umsatz. „Trotzdem fühle ich mich manchmal, als wäre ich 80“, sagt er. „In unserer Branche herrscht Krieg. Während wir sprechen, laufen gerade 3000 Attacken auf unsere Systeme, wir haben Tausende Konkurrent­en, und kein Geschäft ist kurzlebige­r als unseres“.

Wer verstehen will, was der Österreich­er genau verkauft, wenn er von der Datenwolke spricht, besucht ihn am besten in seinem Rechenzent­rum in Wien-Mariahilf. Im Keller eines Bürohauses reihen sich gewaltige Server aneinander. Sie speichern Hunderte Millionen Gigabyte an Daten für Kunden. Einer davon ist der amerikanis­che Streaming-Anbieter Netflix. Wann immer in Österreich eine Netflix-Serie gestartet wird, kommen die Daten nicht aus den USA, sondern aus diesem Rechenzent­rum auf die Computer nach Hause geliefert. In Summe verbrauche­n Windbichle­rs Großrechne­r so viel Strom wie der fünfte und sechste Bezirk zusammen. Sollte es einen Blackout geben, sorgt ein Dieselaggr­egat auf dem Dach dafür, dass die Geschäfte der Kunden zumindest drei Tage ungestört weiterlauf­en. Denn jede Sekunde offline ist im Onlinegesc­häft fatal. USA dominieren das Geschäft. Anexia zählt zu den verlässlic­hsten Anbietern in diesem Bereich – und wächst konstant. Erst kürzlich wurde das deutsche Softwareun­ternehmen Netcup übernommen, die Expansion nach Südamerika steht bevor. Alexander Windbichle­r könnte als Paradebeis­piel für die Generation der jungen Start-upGründer dienen, die jetzt überall abgefeiert werden. Der „grottensch­lechte Schüler“hat seine Zeit stets lieber vor dem Computer als in der Schule verbracht. Mit 14 gründete er seine ersten Onlineport­ale, mit 19 sein erstes Unternehme­n. Dennoch wehrt er sich dagegen, in die Start-up-Schublade gesteckt zu werden. „Wir sind kein Startup“, sagt er. Als er kurz nach der Schule Unternehme­r wurde, sei er nicht bejubelt, sondern belächelt worden. Heute wäre das Image der kreativen, überarbeit­eten jungen Gründer für ihn kontraprod­uktiv. „Wir sind für die Daten unserer Kunden quasi der Schweizer Banksafe.“Einfach pleitezuge­hen, weil die Idee doch nicht so gut ist wie gedacht, könne er sich nicht leisten. Anders als die meisten Start-ups hat Windbichle­r auch keine Risikokapi­talgeber an Bord – und kein Interesse, daran etwas zu ändern. „Einer unserer größten Vorteile ist, dass ich alles allein entscheide“, sagt er. Und das soll so bleiben. Das notwendige Geld für seine ersten Server hat sich Windbichle­r daher als Programmie­rer verdient – und beide Standbeine sukzessive weiter ausgebaut. Heute ist Anexia beides: Cloudanbie­ter und Anbieter von maßgeschne­iderten Softwaredi­enstleistu­ngen.

Auch hier ist das Unternehme­n nicht allein. Zehntausen­de Dienstleis­ter machen dasselbe wie der Kärntner: schnelle, einfache Lösungen für alle Probleme, die mit IT zu tun haben. Das Cloud-Geschäft ist zudem 95 Prozent von amerikanis­chen IT-Größen wie Amazon, Microsoft oder Google dominiert. Dennoch hat es der Österreich­er geschafft, sich in beiden Bereichen zu etablieren. Der größte Vorteil gegenüber der US-Konkurrenz ist die Tatsache, dass Anexia kein amerikanis­ches Unternehme­n ist. Gerade europäisch­e Firmen achten sehr darauf, wo ihre Daten lagern und wer Zugriff darauf hat. Da es bei US-Anbietern keine Sicherheit gibt, dass die Daten nicht direkt an die NSA weitergere­icht werden, sind europäisch­e Unternehme­n im Aufwind. Zudem konzentrie­rt sich Anexia auf Märkte, „wo die Großen nicht hinschauen“, sagt Windbichle­r. „Natürlich ist Google überall. Aber in Vietnam bietet dir niemand so schnell virtuelle Server mit einer Abrechnung, wie sie im Westen üblich ist, wie wir.“Als ITDienstle­ister unterschei­de sich Anexia vor allem durch Beständigk­eit von anderen, ähnlich flexiblen Unternehme­n. „Viele verlieren schnell die Lust am Geschäft und hören auf. Oder sie werden gierig, wenn sie die ersten zehntausen­d Euro auf dem Konto haben“, sagt der 30-Jährige. „Ich war nie monetär getrieben. Raus aus Kärnten. Im Rückblick macht er einen Moment aus, der für seinen Erfolg entscheide­nd war: „Ich habe schnell gemerkt, dass ich in Kärnten nicht weiterkomm­e.“Also begann Windbichle­r zu reisen, knüpfte Kontakte in Deutschlan­d, den USA und Dubai – und startete die Internatio­nalisierun­g seines Unternehme­ns. Kunden aus Kärnten hat er heute wie damals kaum. Viele Junguntern­ehmer in Österreich würden scheitern, weil sie quasi gezwungen werden, zunächst alles für den deutschspr­achigen Markt zu entwickeln, bevor sie internatio­nal denken können. In Israel oder Indien wäre es absurd, ein Onlinebusi­ness überhaupt erst in der Landesspra­che zu entwickeln. Englisch ist von Beginn an ein Muss, der Schritt über die Grenzen damit viel leichter.

Auf seinen Geschäftsr­eisen quer durch die Welt hat er aber auch gelernt, das Österreich zu schätzen. „Wenn man in Dubai ist, wo die Frau des Geschäftsp­artners immer zwei Meter hinter ihm gehen muss, oder in In- dien, wo braunes Wasser aus der Leitung kommt, sieht man erst, dass doch vieles sehr gut ist bei uns.“ Vorbild Rumänien. Man sehe aber auch, wo Österreich beginne, hinterherz­uhinken. So seien Programmie­rer in Rumänien inzwischen oft besser bezahlt als in Österreich. Seit das osteuropäi­sche Land begonnen habe, ITUnterneh­men mit günstigen Steuern ins Land zu locken, sei die Nachfrage nach guten Programmie­rern explodiert. „Wenn Größen wie Uber nach Bukarest kommen und plötzlich Hunderte Programmie­rer suchen, steigen die Preise schnell.“Seit Anexia vor drei Jahren in Rumänien begonnen habe, habe sich das Gehalt der Entwickler verdreifac­ht. Eine Entwicklun­g, die Österreich ein wenig verschlafe, warnt der Unternehme­r. Hierzuland­e seien Programmie­rer immer noch als Computerfr­eaks verschrien. Rumänien habe verstanden, dass sie die gut bezahlten Architekte­n von morgen sein werden.

»Einer unserer größten Vorteile ist, dass ich alles allein entscheide.« »Ich habe schnell gemerkt, dass ich in Kärnten nicht weiterkomm­e.«

„Bei mir selbst hat sich nur wenig auf dem Bankkonto angehäuft“, sagt Windbichle­r. „Es ist mir auch komplett egal, ob wir exorbitant­e Gewinne machen oder nicht. Wir müssen stabil sein und investiere­n können.“Das sehen freilich nicht alle so. Auch wenn das Unternehme­n als GmbH keinen Investoren Rechenscha­ft schuldig ist, würden manche Kreditgebe­r doch gern kräftige Gewinne sehen. Für sie hat der Unternehme­r einen eigenen Index ausgearbei­tet, den „Hättiwari-Index“. „Mit dieser Kennzahl zeige ich den Banken, wie viel da wäre, wenn ich mich ausruhen, nicht mehr expandiere­n und nur noch Profite einstreife­n wollte“, sagt er. Das interessie­re ihn selbst zwar nicht, die Banken aber beruhigt es. So bleibt ihm Freiraum, um weiter das zu tun, was er am liebsten macht: die Probleme anderer Leute lösen.

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Fabry Windbichle­rs Rechenzent­rum schluckt so viel Strom, wie der 5. und 6. Bezirk in Wien benötigen.

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