Eine Familie mit Stehvermögen
Walter Weiss ist eine Wiener Institution, wenn es um »die tägliche Pflege mit Stil« geht. Der Traditionsbetrieb auf der Mariahilfer Straße erkämpfte sich sein Renommee hart.
Als Daniel Weiss in seiner Kindheit von der Schule in der Burggasse nach Hause in die am Naschmarkt gelegene Wohnung ging, kam er automatisch am Geschäft seiner Eltern vorbei. Und an dem Sexkino, das jahrzehntelang die „120 Tage von Sodom“im Programm führte. Und an den Obdachlosen, die in den Durchgängen des heute von schicken Kaffees und Läden bevölkerten Raimundhofs lagerten.
„Damals war man nicht stolz darauf, ein Geschäft auf der Mariahilfer Straße zu haben“, sagt er. Die Anekdoten aus den Achtzigern, als er ein Bub war, kann man dem stilsicher gekleideten 41-Jährigen kaum glauben, wenn man ihn so in seinem ebenso stilsicher eingerichteten Geschäft inmitten der Vitrinen mit Bürsten und Pinseln stehen sieht. Die noch nicht lange verkehrsberuhigte Mariahilfer Straße liegt an diesem eisigen Jännertag friedlich vor der Tür. Die Sexkinos und Puffs der Gegend sind längst weitergezogen oder zu schicken Bars umgebaut.
„Alles für die tägliche Pflege mit Stil“findet die Kundschaft bei Walter Weiss. Auf diesen Sammelbegriff hat sich die Mannschaft vor einiger Zeit geeinigt. Das an die 6000 Produkte umfassende Sortiment, das die Familie Weiss führt, lässt sich schwer konkreter fassen. Artikel rund um die Maniküre, Frisur und Rasur finden sich in den alten Apothekerschränken und hinter den Glasvitrinen genauso wie Pflegezubehör für Bad und Haushalt – und die aus Tradition beibehaltene Auswahl Schweizer Taschenmesser.
Sieben Frauen, drei davon Vollzeit, arbeiten heute bei Weiss. „Meine Eltern konnten sich damals nicht einen Mitarbeiter leisten“, erinnert sich der Geschäftsführer. Der Bau der U-BahnLinie U3 forderte erst seinen Tribut von den an der Mariahilfer Straße ansässigen Händlern, bevor er Mitte der Neunziger die langsame Genesung des Viertels mittrug. Seit Daniel Weiss denken kann, standen Mutter und Vater wochentags im Geschäft. Als spielerisch bezeichnet er seinen Einstieg in den Familienbetrieb, da ihm Grundregeln wie „Niemals mehr ausgeben, als man hat“von frühester Kindheit geläufig waren. Mit den Lieferanten war Weiss längst per Du. Das für Außenstehende überbordende Sortiment hatte er seit seiner ersten Messe mit sechs Jahren tausendmal gesehen – in seinem Kopf teilte es sich in logische Produktgruppen auf. Und das berufsbegleitende Studium der Europäischen Wirtschaft und Unternehmensführung sorgte für das nötige Zusatzwissen. Einige Jahre pendelte er zwischen dem Geschäft auf der damals schlecht beleumundeten Mariahilfer Straße und der Fachhochschule im Stuwerviertel, das noch heute nicht den besten Ruf genießt. „Von einem schlechten Viertel ins andere“, merkt Weiss im Scherz an. Als der beste Mann fehlte. Dann, als er 26 war, verstarb sein Vater, Walter Weiss, der dem Geschäft seinen Namen und in den harten Jahren sein ganzes Herzblut geschenkt hatte. „Als mein Vater gestorben ist, ist der beste Mann weggefallen“, sagt sein Sohn heute. Es galt, das plötzliche Loch zu füllen – mit der spielerischen Annäherung war es zu Ende. Daniel Weiss nahm nun seinen Platz hinter der Theke neben seiner Mutter ein. Der Aufschwung, der das gesamte Viertel ergriff, machte sich gleichzeitig zart bemerkbar. Langsam weiteten Mutter und Sohn ihr Sortiment aus und stellten nach und nach mehr Personal ein.
„Gott sei Dank haben wir auch bei der Kundschaft den Generationswechsel geschafft“, sagt Weiss. Neben den Stammkunden, deren Treue ihren Laden durch die harten Achtziger und Neunziger getragen hätte, kämen heute auch die Jungen. Etwa die trendbewussten Männer, die die richtigen Pinsel, Messer, Cremen und Wässer für ihre modischen, dichten Bärte suchten. Die jüngere Generation würde sich zwar oft zuerst im Internet über das Produktangebot informieren, erzählt Weiss – aber anschließend kämen doch viele wegen der ehrlichen Bera- tung zu ihnen. „Dieses Rasiermesser für 300 Euro ist nichts für Sie. Man kann sich auch billiger hineinschneiden“, sage er etwa zu Kunden, die so eine Nassrasur eindeutig nur ausprobieren wollten. Natürlich müsste seiner wie alle kleinen Betriebe überleben. „Aber uns geht es nicht darum, pro Person den maximalen Umsatz zu machen. Wir wollen, dass sie zufrieden ist und wiederkommt“, sagt er.
»Die Sexkinos und Puffs sind längst weitergezogen oder zu schicken Bars umgebaut.« »Das Rasiermesser für 300 Euro ist nichts für Sie. Man kann sich billiger schneiden.«
Weiss weiß sichtlich, wie man sich Stammkunden schafft. Wobei er mit der Bezeichnung auch lieber vorsichtig umgeht. Schließlich brauche jemand, der einmal mit seiner Wildschweinborstenbürste glücklich ist, vielleicht erst in zehn Jahren wieder eine neue.
Das Kaufverhalten habe sich generell sehr stark verändert, seit er vor rund 20 Jahren in das Geschäft eingetreten ist, sagt Weiss. Zwar sei die Zahl an Kunden, die den Laden täglich betreten, gestiegen. Sie würden aber tendenziell weniger teure Artikel als früher einkaufen. „Die Menschen haben nicht mehr so viel Geld, wollen sich aber etwas leisten.“An die Stelle eines blinden Konsums sei seiner Empfindung nach ein bewusstes Kaufverhalten getreten. Bei Walter Weiss legt man daher Wert darauf, trotz des gepflegten Verkaufslokals nicht als reiner Luxusdrogist zu erscheinen, in den sich nur wenige hineinwagen. Die Einstiegspreise in allen Produktgruppen liegen dementsprechend niedrig.
Auch an diesem frostigen Tag strömen kurz nach zehn Uhr vormittags die ersten Kundinnen in den Laden – die Erste ist in den Zwanzigern, die Zweite um die Siebzig. Vor der Tür liegt still die umgebaute Mariahilfer Straße. Ob ihm die neuerlichen Arbeiten geschadet habe, wurde er kürzlich für einen Fernsehbeitrag gefragt. Nein, antwortet er auch jetzt. Nach allem Erlebten kann ein Geschäft wie Walter Weiss wohl nichts mehr so schnell unter die Erde bringen.