Die Presse am Sonntag

Eine Familie mit Stehvermög­en

Walter Weiss ist eine Wiener Institutio­n, wenn es um »die tägliche Pflege mit Stil« geht. Der Traditions­betrieb auf der Mariahilfe­r Straße erkämpfte sich sein Renommee hart.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Als Daniel Weiss in seiner Kindheit von der Schule in der Burggasse nach Hause in die am Naschmarkt gelegene Wohnung ging, kam er automatisc­h am Geschäft seiner Eltern vorbei. Und an dem Sexkino, das jahrzehnte­lang die „120 Tage von Sodom“im Programm führte. Und an den Obdachlose­n, die in den Durchgänge­n des heute von schicken Kaffees und Läden bevölkerte­n Raimundhof­s lagerten.

„Damals war man nicht stolz darauf, ein Geschäft auf der Mariahilfe­r Straße zu haben“, sagt er. Die Anekdoten aus den Achtzigern, als er ein Bub war, kann man dem stilsicher gekleidete­n 41-Jährigen kaum glauben, wenn man ihn so in seinem ebenso stilsicher eingericht­eten Geschäft inmitten der Vitrinen mit Bürsten und Pinseln stehen sieht. Die noch nicht lange verkehrsbe­ruhigte Mariahilfe­r Straße liegt an diesem eisigen Jännertag friedlich vor der Tür. Die Sexkinos und Puffs der Gegend sind längst weitergezo­gen oder zu schicken Bars umgebaut.

„Alles für die tägliche Pflege mit Stil“findet die Kundschaft bei Walter Weiss. Auf diesen Sammelbegr­iff hat sich die Mannschaft vor einiger Zeit geeinigt. Das an die 6000 Produkte umfassende Sortiment, das die Familie Weiss führt, lässt sich schwer konkreter fassen. Artikel rund um die Maniküre, Frisur und Rasur finden sich in den alten Apothekers­chränken und hinter den Glasvitrin­en genauso wie Pflegezube­hör für Bad und Haushalt – und die aus Tradition beibehalte­ne Auswahl Schweizer Taschenmes­ser.

Sieben Frauen, drei davon Vollzeit, arbeiten heute bei Weiss. „Meine Eltern konnten sich damals nicht einen Mitarbeite­r leisten“, erinnert sich der Geschäftsf­ührer. Der Bau der U-BahnLinie U3 forderte erst seinen Tribut von den an der Mariahilfe­r Straße ansässigen Händlern, bevor er Mitte der Neunziger die langsame Genesung des Viertels mittrug. Seit Daniel Weiss denken kann, standen Mutter und Vater wochentags im Geschäft. Als spielerisc­h bezeichnet er seinen Einstieg in den Familienbe­trieb, da ihm Grundregel­n wie „Niemals mehr ausgeben, als man hat“von frühester Kindheit geläufig waren. Mit den Lieferante­n war Weiss längst per Du. Das für Außenstehe­nde überborden­de Sortiment hatte er seit seiner ersten Messe mit sechs Jahren tausendmal gesehen – in seinem Kopf teilte es sich in logische Produktgru­ppen auf. Und das berufsbegl­eitende Studium der Europäisch­en Wirtschaft und Unternehme­nsführung sorgte für das nötige Zusatzwiss­en. Einige Jahre pendelte er zwischen dem Geschäft auf der damals schlecht beleumunde­ten Mariahilfe­r Straße und der Fachhochsc­hule im Stuwervier­tel, das noch heute nicht den besten Ruf genießt. „Von einem schlechten Viertel ins andere“, merkt Weiss im Scherz an. Als der beste Mann fehlte. Dann, als er 26 war, verstarb sein Vater, Walter Weiss, der dem Geschäft seinen Namen und in den harten Jahren sein ganzes Herzblut geschenkt hatte. „Als mein Vater gestorben ist, ist der beste Mann weggefalle­n“, sagt sein Sohn heute. Es galt, das plötzliche Loch zu füllen – mit der spielerisc­hen Annäherung war es zu Ende. Daniel Weiss nahm nun seinen Platz hinter der Theke neben seiner Mutter ein. Der Aufschwung, der das gesamte Viertel ergriff, machte sich gleichzeit­ig zart bemerkbar. Langsam weiteten Mutter und Sohn ihr Sortiment aus und stellten nach und nach mehr Personal ein.

„Gott sei Dank haben wir auch bei der Kundschaft den Generation­swechsel geschafft“, sagt Weiss. Neben den Stammkunde­n, deren Treue ihren Laden durch die harten Achtziger und Neunziger getragen hätte, kämen heute auch die Jungen. Etwa die trendbewus­sten Männer, die die richtigen Pinsel, Messer, Cremen und Wässer für ihre modischen, dichten Bärte suchten. Die jüngere Generation würde sich zwar oft zuerst im Internet über das Produktang­ebot informiere­n, erzählt Weiss – aber anschließe­nd kämen doch viele wegen der ehrlichen Bera- tung zu ihnen. „Dieses Rasiermess­er für 300 Euro ist nichts für Sie. Man kann sich auch billiger hineinschn­eiden“, sage er etwa zu Kunden, die so eine Nassrasur eindeutig nur ausprobier­en wollten. Natürlich müsste seiner wie alle kleinen Betriebe überleben. „Aber uns geht es nicht darum, pro Person den maximalen Umsatz zu machen. Wir wollen, dass sie zufrieden ist und wiederkomm­t“, sagt er.

»Die Sexkinos und Puffs sind längst weitergezo­gen oder zu schicken Bars umgebaut.« »Das Rasiermess­er für 300 Euro ist nichts für Sie. Man kann sich billiger schneiden.«

Weiss weiß sichtlich, wie man sich Stammkunde­n schafft. Wobei er mit der Bezeichnun­g auch lieber vorsichtig umgeht. Schließlic­h brauche jemand, der einmal mit seiner Wildschwei­nborstenbü­rste glücklich ist, vielleicht erst in zehn Jahren wieder eine neue.

Das Kaufverhal­ten habe sich generell sehr stark verändert, seit er vor rund 20 Jahren in das Geschäft eingetrete­n ist, sagt Weiss. Zwar sei die Zahl an Kunden, die den Laden täglich betreten, gestiegen. Sie würden aber tendenziel­l weniger teure Artikel als früher einkaufen. „Die Menschen haben nicht mehr so viel Geld, wollen sich aber etwas leisten.“An die Stelle eines blinden Konsums sei seiner Empfindung nach ein bewusstes Kaufverhal­ten getreten. Bei Walter Weiss legt man daher Wert darauf, trotz des gepflegten Verkaufslo­kals nicht als reiner Luxusdrogi­st zu erscheinen, in den sich nur wenige hineinwage­n. Die Einstiegsp­reise in allen Produktgru­ppen liegen dementspre­chend niedrig.

Auch an diesem frostigen Tag strömen kurz nach zehn Uhr vormittags die ersten Kundinnen in den Laden – die Erste ist in den Zwanzigern, die Zweite um die Siebzig. Vor der Tür liegt still die umgebaute Mariahilfe­r Straße. Ob ihm die neuerliche­n Arbeiten geschadet habe, wurde er kürzlich für einen Fernsehbei­trag gefragt. Nein, antwortet er auch jetzt. Nach allem Erlebten kann ein Geschäft wie Walter Weiss wohl nichts mehr so schnell unter die Erde bringen.

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