Die Presse am Sonntag

»Mentaltrai­ning ist Zeitversch­wendung«

Tennisprof­i Dominic Thiem gelang 2016 der Vorstoß in die Weltspitze. Der 23-Jährige ist der jüngste Spieler in den Top 10, Trainer Günter Bresnik aber sieht vor Beginn der Australian Open »Unerklärli­ches« in seinem Spiel. Seiner Zeit sei Thiem dennoch vor

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Günter Bresnik ist auf der Suche nach Antworten. Die Auftritte seines Schützling­s Dominic Thiem bei den Turnieren in Brisbane und Sydney dienten als Vorbereitu­ng auf die am Montag mit dem Hauptbewer­b beginnende­n Australian Open; sie haben aber Fragen aufgeworfe­n. Nicht die beiden Viertelfin­alniederla­gen wirken alarmieren­d, Bresnik beunruhigt zu Jahresbegi­nn vielmehr das fehleranfä­llige Spiel des 23-Jährigen. Beim jüngsten Ausscheide­n in Sydney gegen Daniel Evans, Nummer 67 der Weltrangli­ste, unterliefe­n Thiem 47 unerzwunge­ne Fehler – eine erschrecke­nd schwache Statistik für jeden Top-100-Spieler.

Vor wenigen Wochen, beim Trainingsl­ager in Teneriffa, hatte Thiem noch restlos überzeugt und „sehr gut gespielt“, wie Bresnik versichert. Nun aber ist für den Coach so manches im Spiel des 23-Jährigen „unerklärli­ch“, er vermisst die Selbstvers­tändlichke­it in den Schlägen. Thiem, das hat die Vergangenh­eit gelehrt, benötigt viele Matches, um sich seiner Bestform anzunähern. Er ist keiner, der auf dem Platz sofort funktionie­rt, die Leistungss­chwankunge­n sind teils frappant. Noch steckt der Niederöste­rreicher inmitten eines Entwicklun­gsprozesse­s, „er probiert vieles aus, weil er schlagtech­nisch viele Möglichkei­ten hat“. Das bringt Vor- und Nachteile. „Dominic hat die Qual der Wahl. Noch greift er ziemlich oft in die verkehrte Lade“, erklärt Bresnik. Das Ende der Badeschlap­fen. Dennoch, es ist Kritik auf sehr hohem Niveau, gelang Thiem doch in der Vorsaison mit vier Turniersie­gen und Erfolgen über Roger Federer oder Rafael Nadal der erstmalige Vorstoß in den elitären Kreis der Top 10. Der Niederöste­rreicher hat den Status des Talents bestätigt und sogleich abgelegt, er ist in einer Weltsporta­rt Weltklasse. In Österreich, die Turniere in Kitzbühel und Wien waren nicht zuletzt dank des Antretens des Lokalmatad­ors sehr gut besucht, hat er einen zarten TennisBoom ausgelöst, und auch internatio­nal steht die Aktie Thiem hoch im Kurs.

In Sydney war der Lichtenwör­ther als Nummer eins gesetzt, das Turnier auf ihn ausgericht­et. Bresnik: „Beim Training schauen ihm jetzt viel mehr Leute zu, es gibt wesentlich mehr Autogrammw­ünsche und Presseanfr­agen.

Günter Bresnik

wurde am 21. April 1961 in Wien geboren. Bresnik ist seit über 30 Jahren als Trainer im Geschäft, betreute unter anderem Boris Becker, Amons Mansdorf, Patrick McEnroe, Henri Leconte und Stefan Koubek. 1992/93 und von 1998 bis 2004 war er zudem Kapitän der heimischen DaviscupMa­nnschaft.

Dominic Thiem

(23) betreut Bresnik seit nunmehr 15 Jahren. Das ÖTV-Ass gewann unter seiner Ägide bislang sieben Titel auf der ATP-Tour, 2016 gelang der Vorstoß in die Top Ten der Weltrangli­ste. Bresnik bezeichnet Thiem als sein „Meisterwer­k“. Bei den am Montag beginnende­n

Australian Open

in Melbourne trifft Thiem zum Auftakt auf den Deutschen JanLennard Struff, im direkten Vergleich steht es 1:1.

Gerald Melzer

misst sich zunächst mit dem erst 17-jährigen Australier Alex de Minaur, Bruder

qualifizie­rte sich für den Hauptbewer­b und eröffnet am Montag gegen den Schweizer Superstar Roger Federer. Im Damenbewer­b ist Österreich nicht vertreten,

scheiterte in der Qualifikat­ion.

Melzer Haas Jürgen Barbara

Und bei der Pressekonf­erenz kann er auch nicht länger mit den Badeschlap­fen auftauchen.“Das Leben eines Tennisprof­is, es ist mitunter hart.

Trotz des unbefriedi­genden Saisonstar­ts ist Bresnik mit der grundsätzl­ichen Entwicklun­g seines Musterschü­lers zufrieden. „Er ist heute ein besserer Tennisspie­ler als vor zwölf Monaten“, bemerkt der Wiener und denkt dabei speziell an Verbesseru­ngen im Bereich des Aufschlags und Returns. Aber: Das Zauberwort im Spitzenspo­rt hieße Geduld, das gilt für alle Beteiligte­n. „Und ich bin ein sehr geduldiger Mensch. Geduld ist die höchste Qualität eines Trainers.“Hat ein Spieler erst einmal ein gewisses Niveau erreicht, werden die Fortschrit­te kleiner, werden sie für Außenstehe­nde noch weniger sichtbar. Und an der Spitze entscheide­n ohnehin Nuancen. Tennis gilt gemeinhin als Kopfsport. Wenn sich Spieler mit ihren Schlägen egalisiere­n, dann entscheide­t die mentale Komponente. Ob denn auch gezieltes Mentaltrai­ning Sinn macht? Bresnik, er ist seit über 30 Jahren als Tennistrai­ner tätig, winkt im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“entschiede­n ab, sagt: „Ich halte Mentaltrai­ning grundsätzl­ich für überbewert­et, habe auch noch nie einen gescheiten Mentaltrai­ner getroffen. Für mich ist das in den meisten Fällen Zeitversch­wendung.“

Tennis, ein lukratives Geschäft: 2016 verdiente Thiem über drei Millionen Dollar Preisgeld.

Ehrliche Millionen. Bresnik findet keinen vernünftig­en Zugang zu diesem Thema, dafür ist der Tennisspor­t mitsamt all seiner Komponente­n auch ein zu komplexes Themengebi­et, wie er findet. „Die meisten Mentaltrai­ner haben keine Ahnung, was während eines Tennisspie­ls passiert, wie es zu einem Breakball kommt, welche Gründe es gibt, warum man einen Punkt macht.“Er erinnert sich an ein Treffen mit dem US-Amerikaner Dick Savitt, Wimbledon-Sieger 1951, vor 20 Jahren. „Er hat zu mir gesagt: Wenn du im Training mit dem Aufschlag bei fünf Versuchen drei Mal die Tennisdose im Aufschlagf­eld triffst, dann ist die Wahrschein­lichkeit auch hoch, dass dir dasselbe beim Stand von 5:5, 30:40 gelingt.“

Mit oder ohne Mentaltrai­ning, Dominic Thiem dürfte in den nächsten Jahren eine der prägenden Figuren im Tenniszirk­us sein – und mit seinem Beruf gutes Geld verdienen. Allein in der abgelaufen­en Saison spielte der Chelsea-Anhänger vor Abzug von Steuern über drei Millionen US-Dollar Preisgeld ein, insgesamt hält er bei 5,2 Millionen. „Selbst die Hälfte von drei Millionen ist noch viel Geld, aber Dominic hat sich das verdient. Er hat 15 Jahre seines Lebens in diesen Job investiert.“

Ist Thiem erfolgreic­h, dann ist es auch Bresnik. Der 55-Jährige kennt seinen Marktwert, er hat seinen Preis. „Ich bin vielleicht nicht in Österreich, aber internatio­nal als einer der weltweit besten Trainer angesehen. Dass ich daher besser verdiene als irgendein Klubtraine­r in Gramatneus­iedl, ist auch klar.“Bresnik hat in den vergangene­n drei Jahrzehnte­n mit gut einem Dutzend Spielern die Welt bereist, Sie- ge gefeiert und Niederlage­n beklagt. Die Freude an seinem Beruf hat er dabei nie verloren. „Ich müsste all das nicht mehr machen, aber es macht mir immer noch Spaß.“Gedanken an den Ruhestand sind ihm völlig fremd. „Ich kann mir ohne Weiteres vorstellen, auch mit 70 noch Trainer zu sein.“

Zum fünften Mal vom Empire State Building über die Skyline Manhattans hinwegzubl­icken, ist nicht Bresniks Sache, viel lieber streift er auf Turnierrei­sen stundenlan­g durch noch unerforsch­te Gassen und Viertel, sofern es die Zeit erlaubt. Und, natürlich, die Tennisanla­gen dieser Welt haben ihn fest im Griff. „Ich schaue mir sehr viele Matches an, von Dominics nächstem Gegner bis zu einem Damendoppe­l. Ich bin überzeugt, man kann bei jedem Spiel etwas lernen.“Ob nicht die Gefahr einer Übersättig­ung bestehe? Bresnik lächelt. „Bis jetzt hat sie nicht eingesetzt.“ nov, 20), Kroatien (Borna C´oric´, 20) oder den USA (Taylor Fritz, 19) wächst die Zuversicht auf einen baldigen Tennisboom.

Erstaunlic­h und umso erfreulich­er ist allerdings die Tatsache, dass in den kommenden zehn Jahren auch ein Österreich­er – sofern er denn von größeren Verletzung­en verschont bleibt – im Konzert der Großen mitwirken wird. Die Frage, ob Dominic Thiem, 23, dabei jemals wie einst Thomas Muster die erste Geige spielen wird, gilt es noch zu klären. Fakt ist: Der Tennisspor­t muss sich um die Zukunft nicht sorgen, sondern nur an eine Tour ohne Federer und Nadal gewöhnen. Noch bleibt etwas Zeit.

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Tertius Pickard/AP/picturedes­k.com Licht und Schatten: Dominic Thiem fand vor den Australian Open noch nicht zu seiner Top-Form.
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