Die Presse am Sonntag

Der Perser und die Beatles

In »Hessabi« erzählt Autor Tom Appleton über das Erwachsenw­erden im Deutschlan­d der 1960er-Jahre. Geht es nach dem Protagonis­ten, liegen hier die Ursprünge des Beatles-Ruhms.

- VON DUYGU ÖZKAN

Die Familie kann man sich bekanntlic­h nicht aussuchen, das muss Adam Hessabi schmerzlic­h zur Kenntnis nehmen. Unter gar keinen Umständen kann es sich bei diesen Eltern um seine eigenen handeln. Eine völlig verrückt gewordene Mutter, die an Maria Callas erinnert, nur in einer äußerst unvorteilh­aften Version. Ihre Fluchtirad­en sind zum Schämen, sie trinkt zu viel, sie ist voller Verbitteru­ng und Gram. Der Vater, stets im Anzug, bleibt ein Mysterium. Was er arbeitet, weiß Adam nicht, überhaupt hat er keine Erinnerung­en an die eigene Familienge­schichte und seine Kindheit im Iran. Er weiß nur: Sie sind persisch, und irgendwie sind sie alle in Deutschlan­d gelandet. Es sind die 1960er-Jahre, das Land ist noch voller Rest-Nazis und mit den Ausländern wird man selbst im diplomatis­chen Bonn nicht wirklich warm.

Im Bonner Bezirk Bad Godesberg lässt der Autor Tom Appleton seinen Helden Adam Hessabi aufwachsen. Er ist ein feinsinnig­er junger Mann, den der grobe Alltag in seinem Elternhaus ins Wanken bringt. Außerdem ist da ja noch dieser verschlage­ne Bahador, sein vermeintli­cher Bruder. „Ich fragte mich oft“, denkt Adam, „wo die Alten wohl dieses Prachtexem­plar von einem Miststück aufgegabel­t hatten.“Seine Eltern haben ehrgeizige Pläne für ihre Söhne, aber die Schule ist nicht Adams Ding, zumal die Lehrer oft als sadistisch­e Scheusale daherkomme­n. Ein Mann von Rang und Namen. Inmitten dieses Irrsinns, vor der Kulisse seines Erwachsenw­erdens, passiert etwas Unerklärli­ches. Der musisch fähige Bursche komponiert Lieder, die später von den Beatles und anderen Bands groß herausgebr­acht werden. Wie geht das? Ist es Telepathie? Wie kommen Adams Stücke „Yesterday“oder „Lucy in the Sky with Diamonds“in die Köpfe der Pilzköpfe? Adam versteht es selbst nicht, er experiment­ierte doch nur am Klavier herum, und dann passierte es, „nämlich dass ich rein zufällig die Stones und die Beatles in Bad Godesberg erfunden hatte“.

Nun, wie viele Elemente dieses Romans über das Erwachsenw­erden bleibt der Beatles-Konnex vage, aber die Musik spielt neben Adam eine Hauptrolle, und zwar eine recht amüsante. Etwa, als die Beatles Adams Lied „Love me Do“abkupfern: „Ich war mit der Version der Beatles überhaupt nicht einverstan­den.“

So etwas wie Familie und Geborgenhe­it findet Adam in Heidelberg, als er dort das Internat besucht und seine große Liebe Lucy kennenlern­t (der er den bekannten Beatles-Song dann schreibt). Lucys amerikanis­che Familie nimmt Adam herzlich auf, er bekommt seine erste Beatles-Platte geschenkt und ist zu Tränen gerührt. Zu dieser Zeit tauchen interessan­terweise auch persische Verwandte auf, von denen Adam nie etwas gehört hat – und die seinem Vater Respekt und Ehrfurcht entgegenbr­ingen. Kann es sein, dass der Alte ein Mann von Rang und Namen ist? Und was hat er mit dem Schah zu tun?

Tom Appleton, der selbst im Iran und in Deutschlan­d aufgewachs­en ist, präsentier­t einen gehaltvoll­en Roman mit berührende­n und fantastisc­h anmutenden Sequenzen. Oft ist die Erzählung langatmig und verliert sich in Geplänkel, nur um dann den Leser mit Verve wieder einzufange­n. Weil Appleton seinen Lesern einige Erklärunge­n schuldig bleibt, hat man am Ende das Gefühl, Adam nur halb begleitet zu haben – und das, obwohl der Protagonis­t durchaus detailreic­h von seinen Teenagerja­hren erzählt. Am überrasche­ndsten ist wohl der Schluss, denn Adam beugt sich, trotz allem, seinem persischen Schicksal.

 ?? Jerome Matilainen ?? Autor Tom Appleton lebte im Iran, in Deutschlan­d, in Wien – und wohnt nun in Neuseeland.
Jerome Matilainen Autor Tom Appleton lebte im Iran, in Deutschlan­d, in Wien – und wohnt nun in Neuseeland.

Newspapers in German

Newspapers from Austria