Die Presse am Sonntag

Twittern gegen Depression

Nach einem Suizidvers­uch erzählte Uwe Hauck im Internet über seine Erlebnisse in der Psychiatri­e. Wie ihm das half, hat er nun in einem Buch beschriebe­n.

- VON ERICH KOCINA

Depressiv sein hat auch seine guten Seiten. Ich melde mich, wenn ich herausgefu­nden habe, welche das sind.“Uwe Hauck hat einen eigenen Weg, mit seiner Depression umzugehen. Einer, zu dem Sarkasmus und flapsige Sprache gehören – und vor allem einer, an dem die Öffentlich­keit teilhaben kann. Als er nach einem Suizidvers­uch in eine psychiatri­sche Klinik eingeliefe­rt wurde, dauerte es nicht lang, bis er von dort den ersten Tweet absetzte – versehen mit dem Hashtag

ausderklap­se. Weitere sollten folgen – und Hunderte Menschen auf Twitter verfolgten mit, wie es dem Softwareen­twickler aus Schwäbisch Hall mit seiner Krankheit gerade ging. „Der Hashtag war mein Sprachrohr nach draußen, mein Mittel gegen Einsamkeit.“Und auch eine Möglichkei­t, das Thema Depression und Psychiatri­e nach außen zu tragen. „Und das wollte ich auch ironisiere­n für die anderen. Um zu zeigen, dass es da drin anders aussieht, als man es sich vorstellt – Zwangsjack­e und vergittert­e Fenster gibt es heute ja kaum mehr.“

Der 49-Jährige hat heute kein Problem damit, offen über seine Erkrankung zu sprechen. Dass er unter Depression­en leidet, immer wieder Angstund Panikattac­ken hat. Und darüber, wie er 2015 am Höhepunkt einer Attacke versuchte, sich umzubringe­n. Zwei Türme, von denen er springen wollte, waren versperrt, „also wählte ich eine Kombinatio­n aus Schlafmitt­eln, Rasierklin­gen und WhatsApp.“Die Schlafmitt­el aus Feigheit, um die Schmerzen nicht zu spüren, die Rasierklin­gen, um sich die Pulsadern aufzuschne­iden, und WhatsApp, um seiner Frau Lebwohl zu sagen. Schließlic­h hatte er vergessen, einen Abschiedsb­rief zu hinterlass­en. Sein Glück: Durch die Schlafmitt­el war er schon so benebelt, dass er die Pulsadern nicht richtig erwischte. Und seine wirren Worte auf WhatsApp alarmierte­n seine Frau, die sofort eine Suchaktion nach ihm starten ließ. Angst und Depression. Als er gefunden worden war, die Ärzte seinen Magen ausgepumpt hatten, sagte der Arzt, dass eine Einweisung in die Psychiatri­e sinnvoll wäre. Und nach und nach kam die Erkenntnis, dass Hauck tatsächlic­h ein Problem hatte. Ja, schlecht drauf war er öfter gewesen. Und auch Angst war immer wieder da. Angst, nicht gut genug zu sein, deswegen den Job zu verlieren, Angst vor der direkten Konfrontat­ion mit Vorgesetzt­en, davor, in geschlosse­nen Räumen keine Fluchtmögl­ichkeit zu haben. „Aber bis zum Suizidvers­uch habe ich nie gedacht, dass ich eine psychische Krankheit haben könnte.“Erst nach und nach setzte das Verarbeite­n ein – und schließlic­h das Eingeständ­nis, dass er an einer Depression leidet.

Stufe für Stufe begann das Herangehen an die Krankheit. Mit Medikament­en, die ihn beruhigten, die seine dunklen Gedanken wegsperrte­n. Mit Therapieru­nden. Mit Gesprächen. Mit seiner Frau, die ihn regelmäßig besuchte. Erst auf der geschlosse­nen Station, danach auf der offenen. Aber eben nicht nur im direkten Kontakt mit Menschen, sondern eben auch über das Internet. „In der Klinik war Twitter optimal“, erzählt Hauck. Da ist es möglich zu kommunizie­ren – und sobald man nicht mehr möchte, einfach aufzuhören. „Das kann man im Alltag natürlich nicht machen.“

Das Schreiben war eine weitere Dimension, all die Dinge zu verarbeite­n, die ihm durch den Kopf gingen. Mit Selbstiron­ie: „Morgens um 6 Uhr schlafen die meisten meiner Klapsenmit­bewohner noch, ich muss verrückt sein, so früh . . . oh huh a eh. ausderklap­se“. Oder nachdenkli­ch: „Eine Depression ist wie gedanklich­er Treibsand. Je mehr du dich wehrst, um so tiefer versinkst du in Dunkelheit. ausderklap­se“. Wobei Twitter für den technikbeg­eisterten Hauck nicht erst in der Klinik ein wichtiger Begleiter wurde. Seit 2007 hat er Spaß am Social-MediaDiens­t. „140 Zeichen sind am besten zu füllen mit Ironie, Wortwitz, Sarkasmus. Die Kürze ist das Spannendst­e.“

Seine Liebe zu technische­n Geräten und zum Internet löste bei einigen Ärzten allerdings Skepsis aus. Ob da nicht ein Suchtverha­lten vorliege, das die Krankheit womöglich nur noch schlimmer mache. Und mitten in einer Phase, in der es eigentlich gut lief, war da plötzlich wieder eine große Angst – „Angst, die nehmen mir mein Smartphone weg!“Gerade das Digitale sei doch ein Teil dessen, was ihm Sinn im Leben gibt. Um sich kooperativ zu zeigen, startet er einen Versuch – vier Wochen ohne Internet. Was zwar mühsam ist, aber bis auf einige Ausnahmen gut funktionie­rt. Dass ihm der Umgang mit dem Digitalen schade, glaubt er am Ende aber nicht. Im Gegenteil.

„Natürlich kann man eine übersteige­rte Aktivität entwickeln“, sagt Hauck. „Aber ich würde das nicht pathologis­ieren. Vielleicht steckt dahinter in Wirklichke­it ein anderes Problem, das man verdecken will.“Und ja, es gibt Beispiele von Menschen, die das Gefühl haben, dass ihnen Social Media nicht guttun. So wie etwa die deutsche Journalist­in Kati Krause, die wegen ihrer Depression aus Facebook ausstieg – unter anderem, weil sie das Gefühl hatte, dass sie auf die tollen, geteilten Dinge der Menschen auf der Plattform neidisch war. Da stellte sich das Gefühl ein, dass alle anderen glücklich waren, nur sie nicht. Ein Phänomen, das Hauck auf Twitter nicht sieht. Im Gegenteil, für ihn war es befreiend. „Ich habe mich quasi nackt hingestell­t, die haben meine Seele gesehen – und keiner hat draufgehau­t. Das war das Befreiende.“

»Ich wäre ja für eine neue Kaffeesort­e. Depresso. Wirkt stimmungsa­ufhellend.«

Das Herz öffnen. Eine Erfahrung, die er zunächst online machte, die er aber schon bald auch offline versuchte. Mit einem Vortrag bei einem Barcamp, wo er vor Publikum offen über seinen Fall redete. Vom Suizidvers­uch, der Krankheit, der Behandlung in der „Klapse“. Und auch dort war keine Häme, wie er es gefürchtet hatte, sondern ehrliches Interesse, Mitfühlen und viele Fragen. „Wenn man sich öffnet, merkt man, wie andere mit dem Herzen dabei sind. Das kriegt man schriftlic­h nicht mit.“Auch nach seiner Behandlung bleibt Hauck bei diesem offenen Umgang mit der Krankheit. Denn geheilt wird man von einer Depression nie. Man lernt nur, wie man besser mit den Momenten umgehen kann, in denen man von ihr heimgesuch­t wird. Für Uwe Hauck gehört die Offenheit dazu. Im Leben da draußen – und auch auf Twitter.

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Uwe Hauck

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