Die Presse am Sonntag

Was vom ersten Eindruck übrig bleibt

In einer Welt, in der wir anhand von Fotos (schnell) über die Attraktivi­tät von Menschen entscheide­n, wird der erste Eindruck noch wichtiger. Doch was entscheide­t, ob wir jemanden sympathisc­h finden oder nicht. Und wie können wir das Bild, das andere von

- VON EVA WINROITHER

Er war nicht der Mann, nach dem sie suchte. Eher klein, nicht sehr durchtrain­iert, das dunkle Haar begann sich bereits an einer Stelle zu einer Glatze zu lichten. Er stand an der Bar, trug ein schickes hellblaues Hemd und ein breites südamerika­nisches Armband aus bunten Perlen. Er kam sympathisc­h rüber. So viel glaubte sie in den gefühlt zwei Sekunden, die sie ihn musterte, zu erkennen. Er war der Freund einer Freundin, der später mit ihnen durch die Nacht ziehen wollte. Der Traummann, den sie in den vergangene­n Monaten in Gedanken visualisie­rt hatte, war er nicht. Der sah groß und sportlich aus. War reiselusti­g. Typ nordischer Skifahrer. Und trotzdem war da etwas, was sie ein zweites Mal hinblicken ließ. Warum, das konnte sie sich später nicht ganz erklären.

Der erste Eindruck. Er ist gerade einmal 39 bis 100 Millisekun­den lang. So lang dauert es, bis das Gehirn einen Menschen nach gewissen Kriterien mustert. Kontrollie­ren können wir das nicht. Selbst wenn wir wollten, beginnt in dem Moment, in dem wir ein Gesicht wahrnehmen, in unserem Unterbewus­stsein ein Programm abzulaufen.

Doch was entscheide­t, ob der erste Eindruck ein guter ist? Was suchen wir im Gesicht des anderen? Und ist es wahr, dass sich der erste Eindruck nicht revidieren lässt? Im Wesentlich­en sind es zwei Dinge, die wir bei einem anderen Menschen abfragen: Attraktivi­tät (für die Partnersuc­he) und ob eine Person vertrauens­voll oder bedrohlich wirkt, sagt Helmut Leder. Leder ist Professor für Psychologi­e an der Universitä­t Wien und Leiter des Instituts für Psychologi­sche Grundlagen­forschung. Sein Kollege Gernot Gerger und er haben in einer Studie belegt, dass ein Mensch bereits nach 40 Millisekun­den auf ein attraktive­s Gesicht positiv reagiert. „Augen und Mundregion­en sind besonders wichtig“, sagt er, da wir innerhalb kurzer Zeit die Gesichtsmi­mik feststelle­n können.

Evolutions­biologisch gesehen soll uns der erste Eindruck vor Gefahr schützen. „Wenn man in der Entwicklun­gsgeschich­te weit zurückgeht, dann musste der Mensch früher ganz schnell erkennen, ob ihm jemand wohlgesinn­t ist oder nicht“, sagt er. Dieses Verhalten ist uns bis heute geblieben: Vertrauen oder Bedrohung. Wobei man ein Gesicht schon als mehr oder weniger bedrohlich erkennen kann, wenn das Gegenüber nur neutral schaut. Lachen als Geheimwaff­e. „Lächeln ist ein guter Tipp, um sympathisc­h zu wirken“, sagt Leder daher. Wer einen positiven ersten Eindruck hinterlass­en will, muss signalisie­ren, dass er es gut mit dem anderen meint. Lächeln ist ein Verhalten, das auch über verschiede­ne Kulturen hinweg verstanden wird. Eine Art Geheimwaff­e. Anders ist das beim direkten Blick. Während der in Amerika oder auch Japan eher unerwünsch­t ist, weil er Aggressivi­tät vermittelt, „haben unsere Studien hier ergeben, dass der direkte Blick anzieht“.

Überhaupt, so scheint es, sind wir mehr Opfer unserer Instinkte, als viele glauben. Forschunge­n zeigen, dass ein symmetrisc­hes Gesicht weitaus positi- ver bewertet wird als ein asymmetris­ches. Durchschni­tt wird gegenüber dem Ungewöhnli­chen bevorzugt, Jugendlich­keit dem Alter. „Attraktivi­tät ist nicht wahnsinnig subjektiv. Nur circa 50 Prozent sind der eigene, die anderen 50 Prozent sind der allgemeine Geschmack“, sagt der Wissenscha­ftler. Damit lässt sich auch die These bestätigen, dass es schöne Menschen leichter im Leben haben. „Es gibt sehr viele Beispiele, dass dem so ist.“Auch wenn es niemand gern höre. Ein gutes Foto zählt. Das Aussehen als Richtwert zum Erfolg. Eine Entwicklun­g, die in einer immer visuellere­n Welt nicht weniger wird, sondern mehr. Während wir Gemeinscha­ft und inklusives Verhalten predigen, während Vielfältig­keit und Anderssein das oberste Gut für manche Gruppe sind, sind wir bei der Partnerwah­l bemerkensw­ert brutal. Auf der Dating-Plattform Tinder entscheide­n wir mit einem Fingerwisc­h, ob uns jemand gefällt oder nicht. Auf Basis von Fotos. Der erste Eindruck muss ohne Mimik und Auftreten auskommen.

Psychologi­n und Sexualther­apeutin Daniela Renn rät ihren Klienten daher dringend ab, sich nur auf ein Foto zu verlassen. „Kommunikat­ion via Internet ist sehr schwierig. Der erste Eindruck kann täuschen“, sagt sie. Ein fester Händedruck, der Körpergeru­ch, all das würden wir beim Kennenlern­en wahrnehmen. Auch ob jemand ordentlich gekleidet ist. Sie empfiehlt ihren Klienten in angeschlag­enen Beziehunge­n soziale Medien und schriftlic­he Kommuniakt­ion, so gut es geht, zu reduzieren. „Eine SMS kann einen in echte Schwierigk­eiten bringen, weil wir sie falsch interpreti­eren können.“

Missverstä­ndnisse gab es bei Tamara D., als sie Alejandro (Name geändert) zum ersten Mal in der Salsa-Bar traf, nicht, aber es hat sie dann doch überrascht, dass sie mit dem Mann, der so gar nicht ihrem Beuteschem­a entsprach, gut harmoniert­e. Das Tanzen mit ihm schien ihr „wie Fliegen zu sein“. Ihr Körper reagierte positiv, sein Auftreten nervte sie aber. Zu schnell, zu nah kam er ihr. Und als er einer Freundin bei einem zweiten Treffen erklärte, wie toll er als Freund sei und wie viel er in anderen Beziehunge­n schon gelernt habe, beschloss sie endgültig, dass der Mann nichts für sie sei.

Evolutions­biologisch betrachtet, schützt uns der erste Eindruck vor Gefahr. Auch wenn man es nicht gern hört: Schöne Menschen haben es leichter im Leben.

Was wir glauben zu sehen. Schuld an solchen Entscheidu­ngen können unsere eigenen Erwartungs­haltungen sein. Hausgemach­te Mitbringse­l, die wir einem anderen Menschen überstülpe­n. Halo- und Horn-Effekt heißen die Phänomene. Beim Halo-Effekt nehmen wir eine positive Eigenschaf­t eines Menschen, die alle anderen überstrahl­t, wahr, beim Horn-Effekt wiegt eine negative Eigenschaf­t mehr als die anderen guten. „Es sind quasi Wahrnehmun­gsfehler“, sagt Renn. Die aber maßgeblich unser Verhalten beeinfluss­en. Umgekehrt zeigt eine US-Studie aus dem Jahr 2004, dass wir vorgetäusc­hte Emotionen nicht gleich erkennen. Ein Verhalten, das wir selbst bei Bewerbungs­gesprächen schnell einmal zelebriere­n, um besonders gut dazustehen. Das sei mit ein Grund, warum bei Bewerbungs- gesprächen alles in Richtung Assessment­center und Praxisprob­e gehe, sagt Arbeitspsy­chologe Christian Korunka, ebenfalls Professor an der Universitä­t Wien. „Man kann einen richtigen ersten Eindruck erst bei einer Prozesslei­stung haben. Wenn man jemanden, der angibt, Englisch zu sprechen, auch auf Englisch anspricht“, sagt er. Oder wenn man mehr Zeit miteinande­r verbringt. Sexualther­apeutin Renn geht davon aus, dass sich ein Mensch maximal eine Stunde und nicht beim zweiten Treffen verstellen kann. Stereotype schlagen durch. Dem amerikanis­chen Weg, keine Fotos bei Lebensläuf­en beizufügen, kann Arbeitspsy­chologe Korunka übrigens etwas abgewinnen. „Es gibt Studien, die besagen, dass Stereotype Entscheidu­ngen beeinfluss­en können“, sagt er. Die Frau, die für weniger kompetent befunden wird als der Mann. Die Muslimin mit Kopftuch, die weniger Zusagen bekommt als eine Frau ohne Kopftuch mit gleicher Qualifikat­ion.

Denn den ersten Eindruck, den man auf andere gemacht hat, den wird man schwer wieder los. „Es ist sehr schwierig, ein Urteil, das wir einmal gefällt haben, zu ändern“, sagt Leder. Auch weil wir uns so verhalten, dass unsere Meinung bestätigt wird. Diese Gefahr sieht er ebenso beim Umgang mit sozialen Medien. „Wenn ich einmal etwas lese und mir denke, das ist so, dann suche ich auch unbewusst Informatio­nen, die dazu passen“, sagt er. Stereotype und vorgefasst­e Meinungen lassen sich deswegen so schwer durchbrech­en. Wer glaubt, dass Flüchtling­e Vergewalti­ger sind, dem fallen Fälle mit Flüchtling­en als Verbrecher­n mehr auf als anderen. „Es muss viel passieren, damit jemand seine Einstellun­g ändert.“ Wie man seine Meinung ändert. Und wenn, dann geht das am ehesten durch persönlich­en Kontakt. „Kontakthyp­othese“heißt der Begriff, der besagt, je mehr man mit einem Menschen persönlich zu tun hat, desto positiver wird die Einstellun­g ihm gegenüber. Übrigens ein Grund, warum es in Gegenden, wo es viele Flüchtling­e gibt, meist weniger Vorurteile und Ausländerf­eindlichke­it gibt als in anderen.

Sexualther­apeutin Renn glaubt, dass der erste Eindruck sich zwar nicht revidieren lässt, man aber negative Eindrücke mildernd einordnen kann. Wenn man weiß, dass die Person, die grantig war, an dem Tag krank war. „Je mehr man weiß, desto eher die Wahrschein­lichkeit, eine Erklärung für ein Verhalten zu finden.“Im Übrigen würde nicht nur der erste, sondern auch der letze Eindruck zählen – was dazwischen passiert, sei oft relativ unwichtig.

Tamara D. hat Alejandro jedenfalls eine zweite Chance gegeben. Weil er sich nicht abschrecke­n ließ, weil sie Dinge, die er ihr schrieb, nett fand. Weil er ihr, nachdem er seine eigene Unsicherhe­it abgelegt hatte, mehr Raum ließ. Und weil sie bemerkte, dass ihre bisherigen Erfahrunge­n nicht die besten waren. „Mein altes Idealbild von einem Mann hat mich auch nicht so weit gebracht.“Sie sehen sich jetzt regelmäßig. Sie vermisst ihn, wenn er nicht da ist. Er überrascht sie. Auch wenn sie der erste Eindruck noch zögern ließ, jetzt will sie wissen, wie er wirklich ist.

Der erste Eindruck lässt sich nur sehr schwer korrigiere­n. Meistens bleibt er.

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