»Mache weiter, bis ich in Zwangsjacke stecke«
Ob er exzentrisch sei? Im Gegenteil, meint Regisseur Werner Herzog. Er sei das Zentrum. Aus diesem heraus dreht er Filme am laufenden Band, betreibt eine Schurkenfilmschule, in der man auch lernt, wie man Drehgenehmigungen fälscht. Und möchte das Filmfest
Sie haben 2016 drei Filme herausgebracht, insgesamt kratzt ihr OEuvre bereits an der 70-Titel-Marke. Sind Sie ein Workaholic? Werner Herzog: Nein, überhaupt nicht. Meine Drehtage sind normalerweise um drei oder vier Uhr nachmittags zu Ende. Ich hatte nie Überstunden, weil ich immer nur das drehe, was für die Leinwand unabdingbar ist. Das macht Teams immer nervös, besonders in den USA. Bei „Bad Lieutenant“gab es am Anfang ein Herumgewispere wegen des Mangels an zusätzlichem Schnittmaterial. Am dritten Tag hat sich Nicolas Cage auf ein Kistchen gestellt, alle um sich versammelt und einen einzigen Satz gesagt: „Endlich ein Regisseur, der weiß, was er tut!“Von da an war’s ruhig am Set. Ist Ihre Schaffensfrequenz deshalb so hoch? Die Projekte drängen sich einfach an mich heran, manche davon mit außergewöhnlicher Vehemenz. Damit muss man fertigwerden. Vergangenes Jahr habe ich neben den drei Filmen auch eine Online-Masterclass aufgenommen und betreibe weiterhin meine Schurkenfilmschule, die Rogue Film School. Trotzdem komme ich jeden Tag dazu, in Ruhe zu lesen. Ich sage meinen Filmschülern immer: Ihr werdet auch ohne Lesen Regisseure, aber im besten Fall mittelmäßige. Schulische Institutionen waren Ihnen stets suspekt, Sie sind Autodidakt. Jetzt sind Sie selbst ein Lehrmeister geworden. Ist das kein Widerspruch? Den Begriff „Lehrer“würde ich nur mit der Kneifzange anfassen. Es geht bei mir um eher ungewöhnliche Sachen: Sicherheitsschlösser knacken, Drehgenehmigungen fälschen. Und die Anzahl der Leute, die ich aufnehme, ist sehr begrenzt, damit ich mit jedem Einzelnen in Dialog treten kann. Woher kommt die Begeisterung junger Leute für Ihre Filme? In den USA sind Sie ja Kult. Das Internet hat das Bedürfnis vieler Menschen nach einer geschönten Außenfassade drastisch hervorgekehrt. Facebook besteht nur aus künstlichen Ichs. Die Jungen scheinen daher ein sehr genaues Gespür für Authentizität entwickelt zu haben. Und sie sehen: Da ist einer, der ist wirklich von München nach Paris zu Fuß gelaufen. Der hat ein 300 Tonnen schweres Schiff über einen Berg gewuchtet. Der hat seine Schauspieler in „Herz aus Glas“unter Hypnose gesetzt und wurde während eines Interviews angeschossen. Geht es auch um den Reiz der Exzentrizität? Es ist doch nicht exzentrisch, wenn man angeschossen wird! Auch nicht, wenn man ein Schiff über einen Berg schleppt – das sollte jeder junge Mann einmal im Leben tun. Ich werde im Gegenteil als jemand wahrgenommen, der sehr zentriert lebt. Was ich oft im Scherz gesagt habe – ich bin das Zentrum, alle anderen sind exzentrisch –, meine ich auch ein bisschen ernst. Die Natur ist in Ihren Filmen meist schön, aber bedrohlich. Bereiten Ihnen die ökologischen Entwicklungen der Gegenwart Sorgen? Ihr jüngster Spielfilm, „Salt & Fire“, scheint das anzudeuten. Auf Botschaften im Kino bin ich allergisch, aber natürlich denke ich über diese Dinge nach. Wir sind jetzt schon anderthalbmal zu viele Menschen für die Ressourcen, die unser Planet hergibt, das ist die Mutter aller Probleme. Und dass Trump nicht der Grünste der Grünen ist, wissen alle. Aber man muss das relativ sehen. Die Umweltpolitik der USA ist Sache der Bundesstaaten. Kalifornien etwa ist immer weiter am Aus-
1942
wurde Werner Herzog in München geboren. Als Jugendlicher arbeitet er in einer Stahlfabrik und reist auf eigene Faust durch Europa und Amerika.
1963
gründet er seine eigene Produktionsfirma und etabliert sich bald als einer der bedeutendsten Vertreter des Neuen Deutschen Films.
1982
gewinnt sein Film „Fitzcarraldo“den Regiepreis in Cannes. Darin spielt Klaus Kinski, mit dem Herzog seine bekanntesten Arbeiten realisiert, einen Getriebenen, der ein Opernhaus im Amazonas-Dschungel bauen will.
2009
gründet er die Rogue Film School, ein alternatives Ausbildungsangebot für junge Regisseure.
Bis 1. März
läuft im Wiener Metro-Kino eine umfassende HerzogRetrospektive. bauen von Solar- und Windenergie. Ich kann dieses Ökologiegejammer sowieso nicht ausstehen! Wir brauchen nicht auf internationale Abkommen zu warten, die greifen nur beschränkt. Jeder Einzelne von uns kann ohne große Probleme Energie einsparen. Ich verlasse abends keinen Raum, in dem ich nicht automatisch das Licht abschalte. Sie haben 1977 mit „La Soufri`ere“einen Film über einen Vulkan kurz vor dem Ausbruch gedreht und sich dabei in große Gefahr begeben. In Ihrer aktuellen Vulkan-Doku „Into the Inferno“wirkt alles etwas sicherer – sind Sie inzwischen vorsichtiger geworden? Ich gehe beim Drehen stets professionell und methodisch vor. Es heißt ja immer, ich wäre tollkühn, würde das Leben meiner Schauspieler gefährden – dabei ist in 70 Filmen kein Einziger verletzt worden! Aber bei aktiven Vulkanen gibt es keine wirkliche Sicherheit. Man muss bereit sein, sich in kürzester Zeit aus dem Staub zu machen. Wir haben in Indonesien in einer Sperrzone unweit des Sinabung gefilmt, mit einem Vulkanologen, der den Berg sehr gut kannte. Als er bemerkte, dass oben am Kraterrand riesige Brocken losbrechen, sind wir nach einer Minute geflüchtet, alles war für eine schnelle Evakuation präpariert. Nur vier Tage später kamen an der gleichen Stelle sieben Menschen bei einer weiteren Eruption ums Leben. Für „Into the Inferno“konnten Sie auch am Paektu-Berg in Nordkorea drehen. Autonomie und Entscheidungsfreiheit gehören zu Ihrem Credo als Regisseur – war es da nicht schrecklich, sich den Zensurmaßnahmen der Diktatur beugen zu müssen? Ich wusste, was mich erwartet. Und ich konnte trotzdem Bilder machen, die nicht vorgesehen waren. Wie haben Sie das geschafft? Ich interessierte mich sehr für die U-Bahn, aber man ließ mich wissen, ich hätte hier über Vulkane zu drehen. Also sagte ich: „Die U-Bahn in München ist technisch uninteressant. Die in New York ist schmutzig. Bei Ihnen in Pjöngjang aber ist es einzigartig: Wenn die Massen aus den Waggons treten, finden sie sich in einem frischen Frühlingsmorgen wieder (denn es gibt dort diese kitschigen Lampen, die den Eindruck erwecken, Blumen würden an der Decke blühen). Das ist ganz großartig!“Zwei Stunden später hatte ich die Drehgenehmigung. Sie betonen immer, dass der Filmemacher das echte Leben suchen muss, sich nicht auf Distanz halten darf. Aber das „echte Leben“scheint immer mehr in virtuelle Welten abzudriften. Was bedeutet das für das Kino? Es verlagert sich aufs Internet. Ungewohnte Inhalte rücken in den Fokus – vor 20 Jahren hätte niemand gedacht, dass Katzenvideos einmal solches Aufsehen erregen würden. Oder ein südkoreanischer Popsong von zweieinhalb Milliarden Menschen gesehen wird. Auf YouTube hatte ich übrigens meinen bisher größten Erfolg: Die halbstündige Auftragsarbeit „From One Second to the Next“, in der es um Unfälle geht, die durch das Schreiben von SMS am Steuer verursacht wurden. Sie wurde millionenfach angeklickt und gehört heute in 40.000 US-Highschools zur Pflichtausbildung für Fahrschüler. Sie selbst haben nicht mal ein Mobiltelefon. Ich brauche und will keins. Zu viele meiner Freunde beklagen sich, dass sie zu Sklaven ihres Handys geworden sind. Für mich ist es ganz simpel: Ich will die Welt nicht über Applikationen erforschen, sondern direkt. Und mein soziales Leben soll nicht über Facebook ablaufen, sondern an meinem Küchentisch, wo es gutes Schnitzel, guten Wein und herzhafte Unterhaltungen gibt. . . . ob es Sie schockiert hat, als 2013 Missbrauchs- und Vergewaltigungsvorwürfe gegen Klaus Kinski laut wurden? Nein, weil sich seine Tochter Pola schon vor der Publikation ihres Buches „Kindermund“an mich gewendet hat. Nicht nur sie – eine ganze Reihe von Frauen meldete sich lang nach meiner Zusammenarbeit mit Kinski mit denselben Vorwürfen bei mir. Ich habe versucht, für alle ein Ansprechpartner und eine Stütze zu sein. . . . ob es eigentlich noch etwas gibt, wovor Sie Angst haben? Seit ich erwachsen bin, gibt es diesen Begriff in meinem Wortschatz nicht. . . . ob der Mensch von Natur aus gut oder böse ist? Ist Elektrizität von Natur aus gut? Ist der Planet Saturn von Natur aus gut? Wir können gut organisierte, menschengerechte Lösungen anstreben. Und das ist eine Aufgabe, die wir gefälligst zu erfüllen haben. Aber die technologischen Entwicklungen der Gegenwart faszinieren Sie. Sie haben sich u. a. dem Unternehmer Elon Musk als Marsreisender angeboten. War das ernst gemeint? Es werden immer Techniker ins Weltall geschickt, niemals Dichter. Wenn ich eine Kamera mitnehmen darf, würde ich es machen. Aber der Mars ist zu weit, da gibt es kein Zurück mehr. Sie haben eine Zeit lang in Wien gelebt. Haben Sie manchmal Sehnsucht? Es war eine schöne, aber auch schwierige Zeit. Ich habe zwei Jahre die Viennale geleitet – das war sehr lebendig und ungewöhnlich, aber es gab auch Schreckensmomente. Einmal habe ich den legendären Dokumentarfilmer Jean Rouch, der damals schon sehr alt war, unter großen Anstrengungen nach Wien gebracht und die Retrospektive seiner Filme mit besonderer Sorgfalt beworben. Dann war der Saal im Apollo-Kino fast leer. Dieser Schock ist nicht auslöschbar, obwohl Rouch versucht hat, sich nichts anmerken zu lassen. Ab 2019 ist die Stelle des Viennale-Direktors wieder frei . . . Nein, um Himmels willen. Ich bin ja ein arbeitender Mensch, ich drehe Filme, und in letzter Zeit immer mehr. Werden Sie sich einmal zur Ruhe setzen? In „Höhle der vergessenen Träume“, meinem Film über die steinzeitlichen Malereien der Chauvet-Höhle, gibt es ein Postskriptum über radioaktive Albinokrokodile. Das wirkt wahnsinnig, aber es geht um unterschiedliche Perspektiven: Wie würde so ein Krokodil diese Bilder betrachten? Mein Produzent wollte dieses Ende nicht. Als ich darauf bestand, meinte er: „Eines Tages wird man dich abholen, in eine Zwangsjacke stecken und einliefern!“Solange dieser Moment nicht kommt, werde ich weiter Filme machen.