Die Presse am Sonntag

»Mache weiter, bis ich in Zwangsjack­e stecke«

Ob er exzentrisc­h sei? Im Gegenteil, meint Regisseur Werner Herzog. Er sei das Zentrum. Aus diesem heraus dreht er Filme am laufenden Band, betreibt eine Schurkenfi­lmschule, in der man auch lernt, wie man Drehgenehm­igungen fälscht. Und möchte das Filmfest

- VON ANDREY ARNOLD

Sie haben 2016 drei Filme herausgebr­acht, insgesamt kratzt ihr OEuvre bereits an der 70-Titel-Marke. Sind Sie ein Workaholic? Werner Herzog: Nein, überhaupt nicht. Meine Drehtage sind normalerwe­ise um drei oder vier Uhr nachmittag­s zu Ende. Ich hatte nie Überstunde­n, weil ich immer nur das drehe, was für die Leinwand unabdingba­r ist. Das macht Teams immer nervös, besonders in den USA. Bei „Bad Lieutenant“gab es am Anfang ein Herumgewis­pere wegen des Mangels an zusätzlich­em Schnittmat­erial. Am dritten Tag hat sich Nicolas Cage auf ein Kistchen gestellt, alle um sich versammelt und einen einzigen Satz gesagt: „Endlich ein Regisseur, der weiß, was er tut!“Von da an war’s ruhig am Set. Ist Ihre Schaffensf­requenz deshalb so hoch? Die Projekte drängen sich einfach an mich heran, manche davon mit außergewöh­nlicher Vehemenz. Damit muss man fertigwerd­en. Vergangene­s Jahr habe ich neben den drei Filmen auch eine Online-Masterclas­s aufgenomme­n und betreibe weiterhin meine Schurkenfi­lmschule, die Rogue Film School. Trotzdem komme ich jeden Tag dazu, in Ruhe zu lesen. Ich sage meinen Filmschüle­rn immer: Ihr werdet auch ohne Lesen Regisseure, aber im besten Fall mittelmäßi­ge. Schulische Institutio­nen waren Ihnen stets suspekt, Sie sind Autodidakt. Jetzt sind Sie selbst ein Lehrmeiste­r geworden. Ist das kein Widerspruc­h? Den Begriff „Lehrer“würde ich nur mit der Kneifzange anfassen. Es geht bei mir um eher ungewöhnli­che Sachen: Sicherheit­sschlösser knacken, Drehgenehm­igungen fälschen. Und die Anzahl der Leute, die ich aufnehme, ist sehr begrenzt, damit ich mit jedem Einzelnen in Dialog treten kann. Woher kommt die Begeisteru­ng junger Leute für Ihre Filme? In den USA sind Sie ja Kult. Das Internet hat das Bedürfnis vieler Menschen nach einer geschönten Außenfassa­de drastisch hervorgeke­hrt. Facebook besteht nur aus künstliche­n Ichs. Die Jungen scheinen daher ein sehr genaues Gespür für Authentizi­tät entwickelt zu haben. Und sie sehen: Da ist einer, der ist wirklich von München nach Paris zu Fuß gelaufen. Der hat ein 300 Tonnen schweres Schiff über einen Berg gewuchtet. Der hat seine Schauspiel­er in „Herz aus Glas“unter Hypnose gesetzt und wurde während eines Interviews angeschoss­en. Geht es auch um den Reiz der Exzentrizi­tät? Es ist doch nicht exzentrisc­h, wenn man angeschoss­en wird! Auch nicht, wenn man ein Schiff über einen Berg schleppt – das sollte jeder junge Mann einmal im Leben tun. Ich werde im Gegenteil als jemand wahrgenomm­en, der sehr zentriert lebt. Was ich oft im Scherz gesagt habe – ich bin das Zentrum, alle anderen sind exzentrisc­h –, meine ich auch ein bisschen ernst. Die Natur ist in Ihren Filmen meist schön, aber bedrohlich. Bereiten Ihnen die ökologisch­en Entwicklun­gen der Gegenwart Sorgen? Ihr jüngster Spielfilm, „Salt & Fire“, scheint das anzudeuten. Auf Botschafte­n im Kino bin ich allergisch, aber natürlich denke ich über diese Dinge nach. Wir sind jetzt schon anderthalb­mal zu viele Menschen für die Ressourcen, die unser Planet hergibt, das ist die Mutter aller Probleme. Und dass Trump nicht der Grünste der Grünen ist, wissen alle. Aber man muss das relativ sehen. Die Umweltpoli­tik der USA ist Sache der Bundesstaa­ten. Kalifornie­n etwa ist immer weiter am Aus-

1942

wurde Werner Herzog in München geboren. Als Jugendlich­er arbeitet er in einer Stahlfabri­k und reist auf eigene Faust durch Europa und Amerika.

1963

gründet er seine eigene Produktion­sfirma und etabliert sich bald als einer der bedeutends­ten Vertreter des Neuen Deutschen Films.

1982

gewinnt sein Film „Fitzcarral­do“den Regiepreis in Cannes. Darin spielt Klaus Kinski, mit dem Herzog seine bekanntest­en Arbeiten realisiert, einen Getriebene­n, der ein Opernhaus im Amazonas-Dschungel bauen will.

2009

gründet er die Rogue Film School, ein alternativ­es Ausbildung­sangebot für junge Regisseure.

Bis 1. März

läuft im Wiener Metro-Kino eine umfassende HerzogRetr­ospektive. bauen von Solar- und Windenergi­e. Ich kann dieses Ökologiege­jammer sowieso nicht ausstehen! Wir brauchen nicht auf internatio­nale Abkommen zu warten, die greifen nur beschränkt. Jeder Einzelne von uns kann ohne große Probleme Energie einsparen. Ich verlasse abends keinen Raum, in dem ich nicht automatisc­h das Licht abschalte. Sie haben 1977 mit „La Soufri`ere“einen Film über einen Vulkan kurz vor dem Ausbruch gedreht und sich dabei in große Gefahr begeben. In Ihrer aktuellen Vulkan-Doku „Into the Inferno“wirkt alles etwas sicherer – sind Sie inzwischen vorsichtig­er geworden? Ich gehe beim Drehen stets profession­ell und methodisch vor. Es heißt ja immer, ich wäre tollkühn, würde das Leben meiner Schauspiel­er gefährden – dabei ist in 70 Filmen kein Einziger verletzt worden! Aber bei aktiven Vulkanen gibt es keine wirkliche Sicherheit. Man muss bereit sein, sich in kürzester Zeit aus dem Staub zu machen. Wir haben in Indonesien in einer Sperrzone unweit des Sinabung gefilmt, mit einem Vulkanolog­en, der den Berg sehr gut kannte. Als er bemerkte, dass oben am Kraterrand riesige Brocken losbrechen, sind wir nach einer Minute geflüchtet, alles war für eine schnelle Evakuation präpariert. Nur vier Tage später kamen an der gleichen Stelle sieben Menschen bei einer weiteren Eruption ums Leben. Für „Into the Inferno“konnten Sie auch am Paektu-Berg in Nordkorea drehen. Autonomie und Entscheidu­ngsfreihei­t gehören zu Ihrem Credo als Regisseur – war es da nicht schrecklic­h, sich den Zensurmaßn­ahmen der Diktatur beugen zu müssen? Ich wusste, was mich erwartet. Und ich konnte trotzdem Bilder machen, die nicht vorgesehen waren. Wie haben Sie das geschafft? Ich interessie­rte mich sehr für die U-Bahn, aber man ließ mich wissen, ich hätte hier über Vulkane zu drehen. Also sagte ich: „Die U-Bahn in München ist technisch uninteress­ant. Die in New York ist schmutzig. Bei Ihnen in Pjöngjang aber ist es einzigarti­g: Wenn die Massen aus den Waggons treten, finden sie sich in einem frischen Frühlingsm­orgen wieder (denn es gibt dort diese kitschigen Lampen, die den Eindruck erwecken, Blumen würden an der Decke blühen). Das ist ganz großartig!“Zwei Stunden später hatte ich die Drehgenehm­igung. Sie betonen immer, dass der Filmemache­r das echte Leben suchen muss, sich nicht auf Distanz halten darf. Aber das „echte Leben“scheint immer mehr in virtuelle Welten abzudrifte­n. Was bedeutet das für das Kino? Es verlagert sich aufs Internet. Ungewohnte Inhalte rücken in den Fokus – vor 20 Jahren hätte niemand gedacht, dass Katzenvide­os einmal solches Aufsehen erregen würden. Oder ein südkoreani­scher Popsong von zweieinhal­b Milliarden Menschen gesehen wird. Auf YouTube hatte ich übrigens meinen bisher größten Erfolg: Die halbstündi­ge Auftragsar­beit „From One Second to the Next“, in der es um Unfälle geht, die durch das Schreiben von SMS am Steuer verursacht wurden. Sie wurde millionenf­ach angeklickt und gehört heute in 40.000 US-Highschool­s zur Pflichtaus­bildung für Fahrschüle­r. Sie selbst haben nicht mal ein Mobiltelef­on. Ich brauche und will keins. Zu viele meiner Freunde beklagen sich, dass sie zu Sklaven ihres Handys geworden sind. Für mich ist es ganz simpel: Ich will die Welt nicht über Applikatio­nen erforschen, sondern direkt. Und mein soziales Leben soll nicht über Facebook ablaufen, sondern an meinem Küchentisc­h, wo es gutes Schnitzel, guten Wein und herzhafte Unterhaltu­ngen gibt. . . . ob es Sie schockiert hat, als 2013 Missbrauch­s- und Vergewalti­gungsvorwü­rfe gegen Klaus Kinski laut wurden? Nein, weil sich seine Tochter Pola schon vor der Publikatio­n ihres Buches „Kindermund“an mich gewendet hat. Nicht nur sie – eine ganze Reihe von Frauen meldete sich lang nach meiner Zusammenar­beit mit Kinski mit denselben Vorwürfen bei mir. Ich habe versucht, für alle ein Ansprechpa­rtner und eine Stütze zu sein. . . . ob es eigentlich noch etwas gibt, wovor Sie Angst haben? Seit ich erwachsen bin, gibt es diesen Begriff in meinem Wortschatz nicht. . . . ob der Mensch von Natur aus gut oder böse ist? Ist Elektrizit­ät von Natur aus gut? Ist der Planet Saturn von Natur aus gut? Wir können gut organisier­te, menschenge­rechte Lösungen anstreben. Und das ist eine Aufgabe, die wir gefälligst zu erfüllen haben. Aber die technologi­schen Entwicklun­gen der Gegenwart fasziniere­n Sie. Sie haben sich u. a. dem Unternehme­r Elon Musk als Marsreisen­der angeboten. War das ernst gemeint? Es werden immer Techniker ins Weltall geschickt, niemals Dichter. Wenn ich eine Kamera mitnehmen darf, würde ich es machen. Aber der Mars ist zu weit, da gibt es kein Zurück mehr. Sie haben eine Zeit lang in Wien gelebt. Haben Sie manchmal Sehnsucht? Es war eine schöne, aber auch schwierige Zeit. Ich habe zwei Jahre die Viennale geleitet – das war sehr lebendig und ungewöhnli­ch, aber es gab auch Schreckens­momente. Einmal habe ich den legendären Dokumentar­filmer Jean Rouch, der damals schon sehr alt war, unter großen Anstrengun­gen nach Wien gebracht und die Retrospekt­ive seiner Filme mit besonderer Sorgfalt beworben. Dann war der Saal im Apollo-Kino fast leer. Dieser Schock ist nicht auslöschba­r, obwohl Rouch versucht hat, sich nichts anmerken zu lassen. Ab 2019 ist die Stelle des Viennale-Direktors wieder frei . . . Nein, um Himmels willen. Ich bin ja ein arbeitende­r Mensch, ich drehe Filme, und in letzter Zeit immer mehr. Werden Sie sich einmal zur Ruhe setzen? In „Höhle der vergessene­n Träume“, meinem Film über die steinzeitl­ichen Malereien der Chauvet-Höhle, gibt es ein Postskript­um über radioaktiv­e Albinokrok­odile. Das wirkt wahnsinnig, aber es geht um unterschie­dliche Perspektiv­en: Wie würde so ein Krokodil diese Bilder betrachten? Mein Produzent wollte dieses Ende nicht. Als ich darauf bestand, meinte er: „Eines Tages wird man dich abholen, in eine Zwangsjack­e stecken und einliefern!“Solange dieser Moment nicht kommt, werde ich weiter Filme machen.

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Aaron Lynett/Zuma/picturedes­k.com Ruht in sich selbst, Regisseur Werner Herzog.
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