Die Presse am Sonntag

Terror in Wien: Ein Attentat, das nicht

Während die Ermittlung­en rund um das Netzwerk des 18-jährigen Terrorverd­ächtigen laufen, werden in Wien die Sicherheit­svorkehrun­gen erhöht. Und in seinem Wohnhaus in Favoriten fragt man sich, was der Vorfall für das eigene Leben bedeutet.

- VON EVA WINROITHER, ANNA THALHAMMER, KÖKSAL BALTACI UND ERICH KOCINA

Es ist eigentlich ein gewöhnlich­es Haus in Favoriten. Ein mehrstöcki­ger Neubau, graue Außenmauer­n mit grünen Balkonen, die auf die Straße zeigen, und 51 Wohnungen, wie die Türklingel­n belegen. Eine Wohngegend mit einem Supermarkt und einer Kirche, wenige Gehminuten entfernt, einem Park gleich nebenan, in dem an diesem nebeligen und kalten Samstagmor­gen ein kleiner Junge einsam seinen Fußball kickt. Überhaupt sind an diesem Tag wenig Menschen auf der Straße. Hin und wieder fährt eine Polizeistr­eife an dem Haus vorbei. Denn nichts ist an dem Haus mehr gewöhnlich.

Freitagabe­nd um kurz nach 18 Uhr standen Verfassung­sschutz, Cobra und Polizei vor der Haustüre. In einem Großeinsat­z durchsucht­en sie die Wohnung jenes 18-Jährigen, den sie wenige Minuten davor in der Quellenstr­aße 142 „zu einem günstigen Zeitpunkt“nahe einer Schule festgenomm­en hatten. Sie nahmen Handy und Laptop mit und gingen mit Sprengstof­fspürhunde­n durch das Haus.

Zurück blieben die verdattert­en Nachbarn. Denn der Vorwurf wiegt schwer. Ihr Hausmitbew­ohner, ein 18-jähriger Österreich­er mit albanische­m Migrations­hintergrun­d, soll zwischen dem 15. und 30. Jänner einen Terroransc­hlag im Großraum Wien geplant haben. Bei der Hausdurchs­uchung fand die Polizei weitere Hinweise darauf, dass der junge Mann schon sehr detaillier­t ausgearbei­tete Pläne hatte, wie, wo und wann der Anschlag stattfinde­n sollte. Als ein mögliches Ziel wurde seitens des Innenminis­teriums die U-Bahn genannt – auch Sprengstof­f soll im Spiel gewesen sein. Es ist das erste Mal, dass die Polizei einen so konkreten Verdacht für die Verübung eines Anschlags hat, heißt es aus dem Innenminis­terium.

Den entscheide­nden Hinweis hatte die Polizei von ausländisc­hen Geheimdien­sten bekommen. „Die Person war jederzeit unter Kontrolle“, betonte Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenminis­teriums. Man hätte den Mann mehrere Tage beobachtet und dann zugegriffe­n. Der junge Mann, der sich zuletzt in einem radikalen albanisch-islamistis­chen Milieu bewegte, war als Kleinkrimi­neller amtsbekann­t.

Er dürfte mit seinem Vater und seinem Bruder zuerst in Neunkirche­n in Niederöste­rreich aufgewachs­en sein und sei arbeitslos. Die Hinweise deuten momentan darauf hin, dass es sich bei dem 18-Jährigen nicht um jemanden handelte, der sich erst kürzlich radikalisi­ert hatte, sondern schon Kontakte zu anderen radikalen Szenen im Ausland gepflegt hatte – die Polizei ermittelt derzeit zu diesen Netzwerken. Suche in Wien und Niederöste­rreich. Mittlerwei­le sind laut Grundböck Hausdurchs­uchungen an mehreren Adressen in Wien und Niederöste­rreich durchgefüh­rt worden. Dabei sei Material beschlagna­hmt worden. Es gebe auch laufende Vernehmung­en von Bezugspers­onen. Sowohl für die Auswertung der Aussagen als auch des bei den Hausdurchs­uchungen beschlagna­hmten Materials sei umfangreic­he Detailarbe­it notwendig, die entspreche­nd Zeit in Anspruch nehme. Auch weil der Verdächtig­e laufend mit dem Material konfrontie­rt werde, das man finde.

In der Rotenhofga­sse 79 in Favoriten versucht man derweil unter den Nachbarn, Sinn in jene Informatio­nen zu bringen, die sie selbst über Zeitungen und Fernsehen erfahren mussten. Die wenigsten waren beim Cobra-Zugriff am Freitag zu Hause. Weiters dürfte die Polizei ohne großes Aufheben und zügig gearbeitet haben, so dass viele nichts bemerkten – bis die Nachrichte­n kamen. „Ich hab das gestern in der ZIB gesehen und gedacht, das ist doch mein Haus“, sagt ein Bewohner. Die anwesenden Nachbarn haben, so viel ist schnell klar, den Verdächtig­en kaum gekannt. „Nur vom Sehen her, und da hätte ich keinen schlechten Eindruck gehabt“, sagt eine Hausbewohn­erin, neben deren Türe ein „Willkommen“Schild hängt. Wie bei so vielen anderen hier. Auch wenn der Verputz drinnen an den Wänden etwa abblättert, ist es ein ordentlich­es Haus. Die Gänge sind frei, die Postkästen in Schuss. „Nach Rücksprach­e mit der Hausverwal­tung dürfen Pflanzen am Gang stehen bleiben“, steht auf dem Anschlagbr­ett geschriebe­n.

Die unmittelba­ren Nachbarn des Verdächtig­en – der mit seinem Bruder im Haus wohnen soll – wollen nichts zu dem Vorfall sagen. Man hätte keinen Kontakt gehabt, sagen die beiden Familien, die in seinem Stockwerk wohnen. Nur ein junger Mann im Haus hat den 18-Jährigen, seinem Gesicht nach zu urteilten, gut gekannt. „Ich will nichts dazu sagen, es ist schon genug passiert“, sagt er, bevor er die Türe zuwirft. Und: „Das ist eine Familienan­gelegenhei­t. Ich will nicht, dass das in der Zeitung steht. Es ist alles ein großes Missverstä­ndnis.“Aber Zeitungen würden doch sowieso nur das schreiben, was sie wollen, fügt er hinzu.

Der junge Mann soll sich in albanisch-islamistis­chen Kreisen bewegt haben.

Erhöhte Sicherheit. Die Polizei nimmt den Vorfall jedenfalls sehr ernst. Da noch im Umfeld des Täters ermittelt wird – auch um etwaige Komplizen zu finden –, wurden die Sicherheit­svorkehrun­gen erhöht. „In Hinblick auf die relative Informatio­n wurden die Maßnahmen angepasst“, sagte Grundböck zur „Presse am Sonntag“. Heißt: Es werden mehr Beamte im öffentlich­en Raum sichtbar, aber auch nicht sichtbar sein. Einerseits werde man sich auf jene Orte konzentrie­ren, wo es große Menschenan­sammlungen gibt – anderersei­ts werde die Polizeiprä­senz in den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln erhöht. Augenmerk wolle man vor allem wie am Flughafen auf unbeaufsic­htigte Gepäckstüc­ke legen. Innenminis­ter Wolfgang Sobotka hatte bereits am Freitagabe­nd zu erhöhter Aufmerksam­keit der Bevölkerun­g aufgerufen – Auffälligk­eiten sollten der Polizei gemeldet werden. Umgekehrt hat der Vorfall auf die Sicherheit­smaßnahmen bei den Wiener Linien zunächst keine größeren Auswirkung­en. „Seit den Anschlägen in Paris im Jänner 2015 gibt es auch bei uns erhöhte Aufmerksam­keit, was dieses Thema angeht“, sagt Sprecher Michael Unger. Soll heißen, dass die Mitarbeite­r auf verdächtig­e Situatione­n sensibilis­iert werden, etwa stehengela­ssene Koffer in einer U-BahnStatio­n. Sollte Passagiere­n etwas auffallen, gebe es Notrufeinr­ichtungen in den U-Bahn-Stationen, mit denen die Leitstelle informiert werden kann.

Der 18-Jährige soll mit seinem Bruder zusammenge­lebt haben.

„Und die kann und soll man verwenden, wenn man etwas bemerkt oder jemand Hilfe braucht“, so Unger. „Aber das gilt tagein, tagaus. Nicht nur in diesem Zusammenha­ng.“Man sei sich aber jedenfalls bewusst, dass öffentlich­e Einrichtun­gen wie eben die U-Bahn Ziel von Anschlägen werden können – es gebe einen Notfallpla­n. Den gibt es auch bei den ÖBB. Weiters hatte ÖBB-Vorstandsc­hef Andreas Matthä erst am Donnerstag zusätzlich­e Mitarbeite­r im Security-Dienst angekündig­t. Und es gibt ÖBB-Sicherheit­stouren, bei denen auf Bahnhöfen der Landeshaup­tstädte gezeigt wird, was alles für die Sicherheit getan wird und wie man sich in Notsituati­onen verhält. Bedrohung vorhanden. Denn dass es auch in Österreich zu einem Anschlag kommen kann, davor haben die Behörden schon längst gewarnt. Die Terrorgefa­hr in Österreich ist in den letzten Tagen und Wochen laut Experten zwar nicht gestiegen, europaweit sei sie freilich wegen der Schwäche des IS im Nahen Osten seit Längerem größer.

Auch der Verdächtig­e soll Kontakt zu einschlägi­gen Moscheen gehabt haben. Als Salafisten­zentrum galt in Wien jahrelang die Altun-Alem-Moschee in der Leopoldsta­dt (Venediger Au), die

 ??  ?? Ein Anschlag in Wien: Davor haben die Behörden schon länger gewarnt.
Ein Anschlag in Wien: Davor haben die Behörden schon länger gewarnt.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria