Wie gingen die Grönländer?
Die Wikinger galten als klassisches Beispiel für die Hybris, in der Menschen die Umwelt und sich selbst zugrunde richten. Das Bild hat sich gewandelt.
Sie fanden niemanden, weder Christen noch Heiden, nur verwilderte Rinder und Schafe.“Aber Schafe hatten sie nicht gesucht, sondern Schäfchen, die geistlichen Herren aus Norwegen um Ivar Bardason,´ die sich 1361 auf den Weg gemacht hatten zu ihren Landsleuten in Grönland, mit denen der Kontakt seit Jahrzehnten abgerissen war. Nun stolperten sie durch eine zerfallene Siedlung, das mag ihren Blick getrübt haben: Es gab durchaus Menschen auf der Insel, Heiden, Inuit – nur die Christen waren weg, die Wikinger.
Hinterlassen hatten sie wenig, die Ruinen, ihre Toten und den Müll. Den siebten Forscher ab den 1970er-Jahren immer feiner, allen voran ein 26-jähriger Student der Zooarchäologie, Thomas McGovern: Als es zu Ende ging mit den Bewohnern, schlachteten sie erst ihre Jagdhunde – mit denen waren sie hinter Karibus her –, dann ihre Rinder, von denen verwerteten sie nun auch früher Verschmähtes: die Hufe. Den Rest erzählten Fliegen im Staub der Fußböden, die irgendwann nicht mehr gekehrt wurden: Ganz unten lagen wärmeliebende Arten, wie sie in Ställen leben, dann folgten kälteresistentere, offenbar konnte kaum mehr geheizt werden. Ganz oben waren Fliegen aus der freien Natur, Dächer und Fenster waren zerfallen (Science 275, S. 924).
Was war geschehen mit den Wikingern, um deren Kampfeswut sich Sagas rankten? Die Wissenschaft einigte sich auf eine eigene, weniger heldische Erzählung, die vom Niedergang durch Umweltfrevel und einem Klimawandel und der halsstarrigen Unfähigkeit, darauf zu reagieren: „Es wurde kalt, und sie starben“, fasste McGovern 1991 sich kurz (Arctic Anthropology 28, S. 77). Das wurde später von Jared Diamond ausgebreitet – im Buch „Kollaps“–, es ging so: Anno 880 war Erik der Rote, ein erst aus Norwegen und dann aus Island verbannter Totschläger, auf die Insel gestoßen und hatte sie, zum Anlocken von Siedlern, Grünland genannt. Na ja: Grönland war einmal grün, zur Gänze, Pollen und DNA in Eisbohrkernen zeigten es, aber das war lang her, 450.000 Jahre (Nature 364, S. 218). Als die Wikinger kamen, war die Insel eine weiße Wüste, nur im Süden gab es eisfreie Bereiche, und die waren wenig geeignet für die Wirtschaftsweise der Siedler: Sie brachten Milchvieh mit, Rinder vor allem, ein paar Ziegen und Schafe auch.
Die brauchten Futter, also wurden die spärlichen Wälder gerodet. Nun war die Erde der Erosion ausgesetzt, und was in ihr gedeihen sollte – Gras –, hing am Wetter. Zunächst ging alles gut, die Siedlungen – es gab zwei, eine kleinere und eine größere mit insgesamt 5000 Menschen – florierten. Sie konnten nicht nur das Nötigste importieren, Eisen und Holz, sondern auch Luxus, vor allem für Kirchen. Zwar waren die Wikinger Grönlands so gewalttätig, dass sich in Norwegen nur mit Mühe ein Bischof für sie fand, aber beim Herrn ließen sie es an nichts mangeln: Sie bauten Gotteshäuser sonder Zahl und statteten sie aus, mit Glasfenstern und Glocken, Messwein brauchten sie auch. Bezahlt wurde ebenfalls mit Luxusgütern, Elfenbein von Walrössern, Hörnern von Narwalen, Eisbären, lebenden gar. Erfolgreiche Nachbarn: Inuit. Dann ging es mit dem Klima bzw. der Temperatur bergab, im 14. Jahrhundert häuften sich Sommer, in denen kaum Heu eingebracht werden konnte. Aber selbst der Hunger öffnete die Augen der Wikinger nicht: Vor denen lag ein gedeckter Tisch, der des Meers, sie hätten nur zugreifen bzw. ihren Nachbarn zusehen müssen, den Inuit, die waren lang vor ihnen da und lang nach ihnen auch: Sie lebten im Sommer vom Fisch- und Walfang, im Winter von Ringelrobben. Die hausten unter dem Eis der Fjorde, zum Luftholen hielten sie Löcher frei, dort wurden sie harpuniert.
Die Wikinger versuchten das nie, sie schauten den Inuit auch den Fischfang nicht ab (und hatten den eigenen, aus Norwegen mitgebrachten aufgegeben, man weiß nicht warum). Stattdessen blickten sie auf sie herab – nannten sie Skraelings: Wichte –, Kontakte gab es kaum, weder amikale noch gewalttätige, nur ein Überfall der Inuit ist überliefert. Aber an denen gingen sie nicht zugrunde, und sehenden Auges sind sie auch nicht in ihr Verhängnis gerannt. Es verschwor sich einfach zu viel, vom Klima bis zur Weltlage. Die hatten einst den Aufschwung gebracht: Als die Siedler kamen, brach in Europa die mittelalterliche Warmzeit an – auf Grönland auch, so der bisherige Stand –, dann half die Geopolitik: Die Mauren eroberten das halbe Mittelmeer und schnitten den Elfenbeinhandel von Afrika nach Europa ab. Man suchte neue Quellen und fand sie im Norden: Walrösser. Die um Island waren bald abgeräumt, vermutlich deshalb zogen die Wikinger weiter nach Grönland, dort gab es ausgedehnte Fanggründe.
Die lagen weit im Norden, Boote mit sechs Mann brauchten laut einer Groenlandiae chorographia 15 bis 20 „Rudertage“, sie zogen im Juni los und mussten Ende August zurück sein, zum Heuen. Das Fenster war eng, aber sie waren straff organisiert, die Jäger brachten die Schädel der Walrösser mit, den Winter über wurde das Elfenbein verarbeitet. Dann brach der Markt zusammen: Erst wurden die Mauren vertrieben, dann fegte die Pest Europa leer.
Von Inselbewohnern, die lang vor ihnen da waren, den Inuit, lernten sie nichts. Sie rannten nicht blind ins Verderben, es verschwor sich schlicht zu viel gegen sie.
So ging ein Standbein verloren, und das zweite kam in immer ärgere Not: Die Rinderhaltung wurden härter, einfach war sie nie, so der neueste Stand: Die mittelalterliche Warmzeit war in Grönland nicht wirksam geworden (Science Advances e1500806). Aber die anschließende Kleine Eiszeit wurde es, sie setzte den Wiesen zu. Die Wikinger hielten dagegen, mit Düngen und Bewässern, mit Zäunen gegen die Erosion. Es half nichts, sie wichen aus und erschlossen eine Quelle, die früher nur die Ärmsten genutzt hatten: Robben. Aber sie jagten nicht die im Winter unter dem Eis, sondern Wanderrobben im Frühjahr auf offenem Meer. Aus denen bestand nun 80 Prozent der Nahrung, Knochen im Müll und Isotopen in den Knochen der Wikinger bezeugen es.
Aber nicht nur die Kälte wurde ärger, die Stürme wurden es auch, sie nahmen der Karte, auf die nun alles gesetzt war, jeden Wert, die Robbenjagd wurde unmöglich: „Es ist die größte Ironie der Wikinger auf Grönland, dass sie mit dem Meistern einer Herausforderung eine neue Verwundbarkeit schufen“(Pnas 109, S. 1605). Das ist wieder McGovern, er ist nun 66 und findet es „aufregend, dass man sein altes Denken herumwerfen kann, bevor jüngere Kollegen es tun“(Science 354, S. 696).