Erste Abenteuer: Auf Reisen mit dem Nachwuchs
Wenn reiseerfahrene Menschen früher Eltern wurden, dann war meistens Schluss mit Urlauben in die Ferne. Heutzutage packen viele Jungeltern wieder Koffer, Rucksack und Kinderwagen und fahren selbst mit Babys und Kleinkindern fort. Die Bandbreite ist groß:
Den Unterschied beim Reisen mit Kleinkind kann man sogar beim Nachhausekommen bemerken. Als die deutsche Journalistin Alexandra Frank im Februar 2013 von ihrer sechsmonatigen Weltreise mit den zwei Töchtern nach Hamburg zurückkehrte, hatten nur sie und ihr Mann den Blues. Die Vierjährige war glücklich, wieder ein eigenes Zimmer und all das „Spielzeug!“, das auf der Reise nicht mitkonnte, um sich zu haben. Ihre einjährige Schwester machte derweil neugierig Bekanntschaft mit Strumpfhosen, Socken und Schuhen. Dinge, die sie in Argentinien, Neuseeland oder Singapur nie anziehen musste, aber zu deutschen Wintern nun einmal dazugehören. So schön die Reise war, die Kinder waren zufrieden, wieder da zu sein.
Seither sind drei Jahre vergangen, und die Familie Frank hat mit dem Reisen nicht aufgehört. Mama, Papa und die Mädchen (heute fünf und acht) waren in Brasilien, China und einer Gegend, die fast schon gewöhnlich für das erfahrene Reisequartett klingt: in der Toskana. „Im Grunde ist den Kindern egal, ob wir eine Stunde von unserer Wohnung, an der Ostsee, in der Toskana oder in Australien sind. Das hat nichts mit dem Ort zu tun“, sagt Alexandra Frank, die im „Spiegel“über ihre Reisen schreibt. „Es geht um die intensive Familienzeit, die man dabei hat.“
Die Journalistin und ihr Mann gehören ebenso wie der Wiener Journalist Axel Halbhuber, der gerade ein Buch über die Reisen mit seinem Sohn veröffentlicht hat (s. unten stehenden Artikel), zu der stetig wachsenden Gruppe von Eltern, die das Reisen mit der Geburt ihrer Kinder nicht sofort streichen, sondern neu denken. Während Reisen mit größeren Kindern oder Teenagern für viele Familien fast schon selbstverständlich sind, beginnt das Verreisen mit Kleinkindern unter fünf, sechs Jahren erst seit einiger Zeit Thema zu werden. Das hat v. a. mit der Generation der Eltern zu tun, die nun heranwächst. Wer spät Kinder bekommt, immer viel gereist ist und es sich leisten kann (und will), hört mit der Ankunft des Nachwuchses nicht damit auf. Und legt Wert darauf, dass sich das Leben als Eltern nicht stark verändert. Wer mit Baby oder Kleinkind wegfährt, fliegt, einen Zug, ein Rad besteigt, akzeptiert aber: Das Kind ist der inoffizielle Reiseleiter, der Tempo und Takt vorgibt. Und als Joker oft Tor und Tür zu anderen Kulturen öffnet. „Heute besichtige ich in vier Tagen das, was wir früher an einem gemacht haben“, sagt Frank. „Dafür kommen wir mit den Kindern oft viel näher an die Bevölkerung ran als ohne. In China fanden wir uns in den Küchen der Privathäuser um unsere Herberge wieder, weil die chinesischen Kinder mit unseren blonden Kindern spielen wollten.“
Wer erst einmal losgefahren ist, so das Fazit vieler Eltern, erkennt, wie ein- fach und unaufgeregt Reisen mit Kindern ist. Gerade weil es langsamer ist. Das geht natürlich mit einer gewissen Routine. Viele der heutigen Eltern sind schon mit ihren Eltern in den Flieger gestiegen, vielleicht nur in westliche Gebiete und in Hotels mit dem entsprechenden Komfort, aber dennoch. Im Studium und während der ersten Berufsjahre haben sie dann andere Teile der Welt entdeckt. Oder sogar länger in einem anderen Land gelebt. Nicht mehr die Ausnahme. Frei von Sorgen sind diese Eltern vor der ersten Reise mit dem eigenen Nachwuchs nicht. Aber sie lassen sich deswegen nicht aufhalten. Mittlerweile ist das Internet voll von Erfahrungsberichten, Tipps für Individualreisen mit Kind jeder Art, Packlisten und so weiter. Der Rest bringt die eigene Erfahrung. Denn jedes Kind, jede Familie funktioniert auf Reisen ein bisschen anders. „Für uns sind diese Urlaube mit den Kindern toll und etwas Besonderes, aber wir sind nicht mehr die Ausnahme. Es gibt viele Menschen auf der ganzen Welt, die das, zum Teil noch viel verrücktere Dinge tun“, sagt Alexandra Frank. Bei der ersten Reise sei sie natürlich ängstlicher gewesen als bei der zweiten und dritten. „Für Leute, die Reisen schon gestresst hat, bevor sie Kinder hatten, wird es mit Kindern mit Sicherheit nicht entspannter. Umgekehrt kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand, der jahrelang mit dem Rucksack durch Indien gewandert ist, sich plötzlich im Club Med wohlfühlt.“
Wenig mit einer All-inklusive-Hotelanlage hat auch die Reise des Wieners Florian Rainer tut. Der Fotograf, der auch für die „Presse“arbeitet, reist gerade mit seinem acht Monate alten Sohn, Anton, durch den Oman. Mit Leihauto und Zelt im Gepäck. Den Rainers war stets klar, dass sie auch mit dem Baby weiterreisen wollen. Und es funktioniere gut, sagt Rainer, weil der Kleine pflegeleicht und noch nicht besonders mobil sei. „Das heißt, er bleibt meistens auf der Decke und wird gern herumkutschiert. Außerdem ist es praktisch, wenn das Kind nicht fremdelt, besonders hier, wo ihn alle ständig herzen wollen.“In jedes Land würde Rainer trotzdem nicht mit seinem Sohn fahren. „Arabische Länder bieten sich aber an, weil die Menschen sehr kinderfreundlich und die Standards hoch sind.“
Reisen mit Babys werden übrigens auch leichter durch das in Deutschland vor gut zehn Jahren, in Österreich etwas später eingeführte, einkommensabhängige Kindergeld möglich. Alexandra Frank kennt viele Eltern, die sich die 14 Monate Elternzeit teilen und darauf achten, eine Zeit lang gemeinsam beim Kind zu sein. „Das ist eine Möglichkeit, sich den Wunsch einer Weltreise zu ermöglichen, ohne gleich den Job zu kündigen.“Wer nicht das Glück hat, mit dem Partner fahren zu können, sollte Freunde oder die Großeltern mitnehmen. Das raten auch die größten Reiseroutiniers. Eines ist klar, so einfach wie in den ersten Lebensjahren der Kinder wird das Wegfahren später nie mehr. Stichwort: Schule. „Ich beobachte, dass viele kurz vor der Einschu- lung noch einmal länger wegfahren“, sagt Frank. Noch einmal im Mai und Juni durch Spanien tingeln oder ein Strandhaus in Kroatien mieten.
Wobei es nicht immer die Weltoder wochenlange Exotenreise sein muss. Zumal nicht jeder so lang Urlaub nehmen kann. Viele Eltern reisen sogar lieber kurz, dafür öfter. Die Alleinerzieherin Sandra Mair aus Wien zum Beispiel verreist mit ihrer achtjährigen Tochter Marlene auch, wenn nicht viel Zeit ist. In den vergangenen Herbstferien waren die beiden in Kopenhagen, davor mit dem Zug in Budapest und in der Wachau radeln. Sie macht das, weil sie der Kleinen die Welt zeigen will. „Und weil diese Erlebnisse unsere Verbindung intensivieren.“ Kinder brauchen Kinder. Vorurteile gibt es trotzdem. Nicht nur Mair erzählt, dass sie immer wieder mit negativen Reaktionen konfrontiert war. Auch die Wienerin Catarina Kratz schildert in ihrem Blog, „Mit Handkuss“, dass ihr immer wieder Egoismus vorgeworfen wird, wenn sie erzählt, dass sie mit ihrem bald vierjährigen Sohn nach Indonesien oder Japan reise. „Das Einzige, was ich auf diesen Reisen schnell merke“, sagt Sandra Mair, „dass das Kind Kinder braucht. Die Unterhaltung mit Erwachsenen wird irgendwann fad.“Daher achte sie darauf, dass sie Orte Buchtipps: Alexandra Frank: „Vier um die Welt“(Goldmann Verlag, 2015), Inka Schmeling: „Abenteuer Elternzeit. Ein Ratgeber über das Reisen mit Baby und Kleinkind“(Beltz, 2015), Julia Malchow: „Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt“– die Autorin war mit ihrem zehn Monate alten Sohn unterwegs (National Geographic, 2015). Familienreiseblogs gibt es mittlerweile wirklich viele. Eine kleine Auswahl:
Travelkid.at: Patrice Kragten aus
Ifinde, wo auch andere Kinder auftauchen. Das wissen auch Hoteliers. Denn während Fernreisen für Familien immer gängiger werden, stellt man sich auch in Österreich immer mehr auf die reisende Zielgruppe (Jung-)Eltern ein.
Erst Anfang Dezember hat das Kinderhotel Dachsteinkönig eröffnet. Manager Florian Mayer stammt aus einer Hoteliersfamilie, seine Eltern betreiben seit über 25 Jahren Kinderhotels in Österreich. Das neu eröffnete Vier-SterneHaus ist aber das erste Hotel, das von vornherein an als Kinderhotel konzipiert wurde. Es gibt kaum Stufen oder sonstige Barrieren, dafür separate Kinderzimmer in jeder Suite und nur Materialien, die leicht zu reinigen sind (viel Holz, Leder, Stein, kaum Textil). Einen Aufenthalt im Dachsteinkönig muss man sich leisten können. Aber die Familie Mayer beobachtet, dass der Bedarf nach maßgeschneidertem Urlaub mit Kindern groß ist. „70 Prozent unserer Gästekinder sind unter sieben Jahren“, sagt Mayer. Ihm fällt auf, dass es den Familien heute viel wichtiger ist, kurze Momente intensiver zu genießen.
Das gilt für jede Art und Länge von Urlaub. Familien wollen ihren Kindern mitgeben, dass Reisen etwas Selbstverständliches ist, egal, wohin es geht. Und wenn das Nachhausekommen eine Freude ist, dann hat man es doppelt richtig gemacht.
So einfach wie in den ersten Lebensjahren der Kinder wird das Verreisen später nie mehr.
Zell am See teilt Erlebnisse ihrer Reisen mit Tochter Romy (bald 15), organisiert selbst Fernreisen für Familien.
Die Wiener Bloggerin Lena Catarina Kratz schildert in ihrem Lifestyle-Blog www.mithandkuss.com auch die Reisen mit ihrem Sohn (fast 4 Jahre alt) nach Australien, Indonesien oder Japan.
IDer deutsche Familienblog meehrerleben.de liefert sehr konkrete Tipps fürs Reisen, vom Botanischen Garten in Florida bis zu Beruhigungsmitteln für Kinder auf Langstreckenflügen.
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