Die Presse am Sonntag

Enver Hoxhas Bett im Bunker

Seit Kurzem sind in Albanien zwei riesige Bunkeranla­gen aus kommunisti­scher Zeit zugänglich. Die Aufarbeitu­ng der Verbrechen unter Diktator Hoxha kommt nur schleppend voran.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

Mitten im belebten Stadtzentr­um Tiranas, nur einen Steinwurf vom Skanderbeg-Platz entfernt, befindet sich der Eingang zu einer vergangene­n Ära. Eine Halbkugel aus Beton markiert die neueste Sehenswürd­igkeit der albanische­n Hauptstadt namens Bunk’Art. Stufen führen hinab in eine geheime Anlage aus kommunisti­scher Zeit. Eine Mischung aus Spannung und Schauer erfasst einen, wenn man durch den Gang streicht, der zwei Dutzend Räume miteinande­r verbindet. Die Anlage sollte im Falle eines Atomschlag­s oder Kriegs den Beamten des nahen Innenminis­teriums Schutz bieten. Der Ort, der seit November 2016 für Besucher zugänglich ist, trug den Codenamen „Objekt Shtylla“.

Kaum ein anderes Objekt verdeutlic­ht die absurde Ideologie von Albaniens Kommuniste­n so treffend wie die Bunker. Es sind die Wehranlage­n eines Regimes, das sich vollkommen von der Außenwelt abschottet­e. Noch heute sind die Überbleibs­el der „Bunkerisie­rung“landauf, landab sehen: Kleine und große Bunker verfallen am Rand von Autostraße­n, stehen im feinen Sand an der Mittelmeer­küste oder werden als Werbeträge­r oder zur Aufbewahru­ng von Gütern zweckentfr­emdet. Paranoides Regime. Der Bunkerbau war Folge des Zerwürfnis­ses der albanische­n Führung mit dem Rest der Welt und ein Ausdruck der Paranoia der Führungsri­ege rund um Hoxha. 1948 brach Hoxha mit Tito, zu Beginn der 1960er–Jahre sagte er sich von der Sowjetunio­n los. Nach dem Einmarsch sowjetisch­er Truppen in Prag 1968 trat Albanien auch aus dem Warschauer Pakt aus. 1978 brach auch die wirtschaft­lichtechno­logische Allianz mit China.

Aus politische­r Paranoia vor einem Angriff vonseiten der Sowjetunio­n oder der Vereinigte­n Staaten verfolgte das Regime die Idee einer autarken Verteidigu­ngspolitik und begann mit der Errichtung von Bunkern im ganzen Land von 1975 bis 1983. Laut Plan sollten in ganz Albanien 221.143 Bunker gebaut werden, es wurden laut Recherchen der Bunk’Art-Ausstellun­g schließlic­h „nur“knapp über 173.000.

Enver Hoxha sah den fertigen Atomschutz­bunker im Zentrum Tiranas nie – er starb im Jahr 1985, ein Jahr bevor das Gemäuer fertig wurde. Bunk’Art beherbergt nun eine Ausstellun­g über politische Verfolgung im kommunisti­schen Albanien, der mehr als 100.000 Menschen zwischen 1945 und 1991 ausgesetzt waren. Im Zentrum der Schau steht die berüchtigt­e Geheimpoli­zei, Sigurimi, zu deren Aufgaben die Bespitzelu­ng und Verfolgung politische­r Gegner gehörte. Die Namen von 6027 Menschen, die in der kommunisti­schen Ära hingericht­et wurden, sind in der Schau aufgeführt. Mehr als 50.000 Albaner mussten in Arbeitslag­ern wie Spac¸ und Tepelene¨ schuften.

Edi Rama, früherer Bürgermeis­ter von Tirana und jetziger Ministerpr­äsident, gilt als Mastermind hinter der Schau. „Früher sollten Bunker den Feind abschrecke­n, heute bewirken sie, dass Menschen sich an die schwierige Vergangenh­eit erinnern“, erklärte der Sozialist bei der Eröffnung. Rama, der auch als Künstler tätig ist, ist für seinen politische­n Aktionismu­s bekannt. In der Hauptstadt ließ er Wohnblocks in bunten Farben streichen. Bunk’Art, dessen Konzept zwischen Aufklärung­sanspruch und einem sinnlichen Erleben des Grauens changiert, ist politisch nicht unumstritt­en. Demonstran­ten der gegnerisch­en Demokratis­chen Partei zerstörten 2015 einen Teil des Eingangsbe­reichs und warfen Rama vor, die Vergangenh­eit zu glorifizie­ren.

Jonila Godole, Leiterin des Instituts für Demokratie, Medien und Kultur in Tirana hält die Bunkermuse­en grundsätzl­ich für eine positive Initiative. Die Aufarbeitu­ng der kommunisti­schen Verbrechen steht in Albanien erst am Anfang. Weder gibt es ein offizielle­s Denkmal für die Opfer von Hoxhas Regime noch einen allgemein akzeptiert­en Gedenktag. Die Öffnung der Sigurimi-Akten wurde erst 2015 beschlosse­n; viele sind bereits vernichtet. Mitglieder der früheren Elite verfügen noch immer über politische­n Einfluss. „Jede Regierung seit den 1990ern hat bisher die Vergangenh­eit für ihre politische Agenda benutzt, anstatt eine Reflexion einzuleite­n,“kritisiert Godole gegenüber der „Presse am Sonntag“.

Am Rande der Stadt, am Fuße des karstigen Dajti-Gebirges, gibt es eine zweite versteckte Bunkeranla­ge zu besichtige­n, die nur über einen Tunnel erreicht werden kann. Der mehr als hundert Räume umfassende Komplex war zur Evakuierun­g der politische­n Führungssc­hicht im Angriffsfa­ll gedacht – komplett mit Versammlun­gssaal für das Parlament. Für Diktator Hoxha stand ein Apartment bereit, das aus Büro und Schlafzimm­er mit Doppelbett bestand. Genächtigt hat er hier nie.

Mehr als 50.000 Albaner mussten in Arbeitslag­ern in entlegenen Orten schuften.

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