Vom Goldrausch im Sudan
Das arme, wüstenhafte nordafrikanische Land wurde still und heimlich zum drittgrößten Golderzeuger des Kontinents. Verantwortlich dafür sind vor allem mehr als eine Millionen kleiner Schürfer und Glücksritter, für die die Knochenarbeit der einzige Ausweg
Der Metalldetektor liegt stumm auf dem Boden. Schweigend tunken Moaz und Amin Fladenbrot in Linsensuppe. Neben dem tonnenschweren Bohrhammer köchelt Tee, der gelbe Bagger steht hundert Meter weiter. Der Goldrausch hat Mittagspause, in der Einöde flimmert heiße Luft. Ringsherum karstige Berge, die das Edelmetall in sich haben. Das Zelt der Schürfer wirft kaum Schatten. In der Ebene trotzen einige Akazien der Dürre, hier und da liegt ein Tierkadaver.
Nach einer halben Stunde geht es weiter – Amin, der im verschwitzten roten T-Shirt von Arsenal London herumläuft, lässt den Motor des Baggers aufheulen. Die Zähne der Schaufel knirschen ins Gestein und kratzen die nächste Schicht frei, die Moaz mit der Sonde absucht. Normales Erdreich erzeugt einen wabernden Summton, bei Gold quiekt das Gerät schrill. Heute bleibt der Alarmton aus; vor Jahren hat das Areal eine chinesische Firma durchwühlt. Die Restesuche machen nun die jungen Nubier. Nach dem Abitur gab es für sie kein Weiter, ihre Eltern konnten für die Uni nicht zahlen. Also arbeitet Moaz (25) seit 2011 im Goldabbau, Amin (19) seit einem Jahr.
An dem Geschäft sind viele beteiligt, und es folgt genauen Regeln. Reiche Nachbarn im 40 Kilometer entfernten Kerma haben in den Metalldetektor und Bagger investiert und bekommen dafür drei Viertel aller Funde. Den Rest behalten die zwei Sucher und verdienen damit dreimal so viel wie ein Bauer. Stolz zeigen sie auf dem Handy das Foto eines daumendicken Nuggets, das ihnen jüngst 350 Dollar einbrachte, im Sudan ein kleines Vermögen. Kein Wunder, dass dort entlang des Nils das Gros des Ackerlands brachliegt, weil die Jungen Gold schürfen gehen. Anders als in Ägypten sind die Märkte dürftig, Obst und Gemüse schlecht, rar und teuer. Ein uraltes Goldland. Die Geschichte des Goldes ist so alt wie das Land. Schon unter den Pharaonen wurde im Nordsudan Gold abgebaut und nach Ägypten exportiert. Moaz verwahrt erbsengroße Nuggets in einer Plastikflasche, in der Bremsflüssigkeit für den Bagger war. Sieben, acht Gramm sind derzeit drin, schätzt er, fast jeden Tag kommt ein Krümel hinzu.
Mehr als eine Million Männer wühlt sich durch Sudans Berge und Wüsten, mehr als anderswo sonst. Überall schlagen sie Camps auf voller Menschen mit einem Ziel: Den Fund zu machen, der sie aus dem Elend holt. Wie in Camp Sesebi, einem Hüttengewirr zwischen zweitem und drittem Nilkatarakt nahe des gleichnamigen Ortes, der durch eine Tempelruine bekannt ist. Mehr als 2000 Männer hausen hier, die Jüngsten 13 oder 14, alle suchen das goldene Los. Am lehmigen Hauptweg stehen Händler mit Zwiebeln, Kartoffeln, Tomaten, Vorschlaghämmern, Meißeln, Schaufeln, Mini-Solarmodulen zum Handyaufladen. In schmuddligen Teezelten plärren vier Fernseher zugleich, davor dösen Schürfer in Plastiksesseln. Nachts schlafen alle im Freien auf gemieteten Metallpritschen.
Im besten Teehaus am Platz, wo es sogar Espresso aus äthiopischen Bohnen gibt, sitzen vier der Bosse. Sie halten die Konzessionen, finanzieren die Maschinen, heuern Arbeiter an. Die älteren Herren reden bedächtig. „An Arbeitern mangelt es nicht“, sagt Mohammed Ahmed, ein Mann mit fein gestutztem weißen Bart und violett durchwirktem Turban. Ihn dürfte wenig aus der Ruhe bringen. 40 Kilometer entfernt besitzt er etwa 100 Stollen. Bevor der Endfünfziger auf Gold umstieg, handelte er mit Kamelen. „Gold ist besser“, lacht er, über Zahlen will er ungern reden. Die für einen neuen Metalldetektor gerade nötigen 8000 Dollar scheinen für ihn kein Problem zu sein. In der Giftbrühe. In der Nähe rattern Motoren, man mahlt dort Aushub zu Staub und löst das Gold daraus mit Quecksilber. In Dutzenden Wasserbecken stehen Männer in brauner Brühe, lassen Pfannen kreisen. Nach wenigen Minuten taucht darin glänzender Belag auf, wird in ein Leinentuch geschüttet und gepresst. Die herausgesiebten Krümel kommen in die Sammelflasche eines Umstehenden. Das Schwermetall, das Ausschläge verursacht und die Lunge verätzt, rinnt in die Brühe. Ein Arbeiter zuckt mit den Schultern, er kennt die Gefahr: „Eine andere Perspektive hab ich nicht“, sagt der 25-Jährige aus der Bürgerkriegsregion Darfur. Seit einem Jahr ist er hier, zwölf Stunden dauert die Schicht im Chemiepool. Er will hoffentlich in sechs Monaten genug Geld haben für einen Laden in Khartum.
Der Sudan
in seiner heutigen Form besteht seit 2011, nachdem sich der christlichafrikanisch dominierte Südteil des Landes, der im Süden bis Kenia, Uganda und dem Kongo reicht, nach langem Bürgerkrieg und einem Referendum als neuer Staat Südsudan vom islamisch-arabischen Norden getrennt hat.
hatten beide Landesteile im Verein am 1. Jänner 1956 die Unabhängigkeit von britisch-ägyptischer Herrschaft erlangt. Diese hatte im Grunde begonnen, als die osmanischen Vizekönige Ägyptens ab 1821 begannen, schrittweise in den Sudan einzudringen. Das war 1880 abgeschlossen. 1882 wurde Ägypten seinerseits de facto von Großbritannien übernommen und sein Besitz im Sudan 1899 zum AngloÄgyptischen Sudan als Kondominium umgestaltet.
Zuvor
Umweltschützer und Archäologen finden kaum Gehör. Quecksilber und Zyanid vergiften das Grundwasser, Archäologen klagen, dass die Horden das historische Erbe ruinieren. Die pharaonischen Bergwerke mit ihren Siedlungen würden ebenso zerstört wie viele noch unbekannte archäologische Stätten. Viele aber wurden durch Gold reich, und manch Wüstennest, wo man vor zehn Jahren nach Mittag kein Brot mehr bekam, hat sich in einen belebten Ort verwandelt mit Lokalen, Banken, Tankstellen und gut gefüllten Souks. Doppelter Nutzen fürs Regime. So fängt das Regime zwei Fliegen auf einen Streich: Hunderttausende sehen eine Chance und vergrößern die Schar der Aussichtslosen nicht. Das Gold stopft zum Teil das Loch in der Staatskasse, das durch die Abspaltung des ölreichen Südens 2011 aufging: Drei Viertel der Ölquellen verlor der Norden damals, seither wird dessen Lage immer desolater, in sieben der 18 Provinzen herrschen Anarchie und Gewalt. Wegen des Völkermords in Darfur lasten Sanktionen auf dem Land, gegen Staatschef Omar al-Bashir erließ der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehl. Also ist Gold ein Lichtblick: Mit 80 Tonnen im Wert von 2,5 Milliarden Euro verdoppelte sich 2015 die Ausbeute, der Sudan ist nach Südafrika und Ghana Afrikas drittgrößter Goldförderer, könnte 2018 sogar an der Spitze liegen. Nur zehn Prozent des Goldes schürfen professionelle Firmen, 90 Prozent die chaotischen Goldgräbermassen.
Omar (38) ist ein Teil davon: Zwei Jeepstunden vom Camp entfernt schuftet er neun Tage lang, dann ein Tag Pause, dann wieder neun Tage, in einem ein Meter hohen Stollen in 50 Meter Tiefe. Er hämmert auf den Knien und über Kopf. „Die Arbeit ist erbärmlich, vor allem die Hitze“, sagt er. „Länger als drei Stunden am Stück packt das keiner.“Omar war fliegender Händler in Khartum, wollte übers Meer nach Europa, wurde vor Spaniens Küste aufgegriffen. Beim Goldsuchen habe man wenigstens keine Polizei am Hals, lacht er bitter. Im Monat kommen etwa 180 Dollar zusammen, das Vierfache eines Lehrergehalts. Seine Frau und zwei Söhne im 700 Kilometer entfernten Khartum waren noch nie hier. Also so träumt er allein vom goldenen Los. „Philosophen sagen, solch Glück kommt nur per Zufall. Ich glaube nicht an Zufall, ich glaube an Allah. Er wird mir einmal Goldklumpen für eine Million schenken.“
Lange war er Kamelhändler. Aber die Sache mit dem Gold sei besser, sagt Ahmed.