Es war einmal ein Siegfried, der endlich sein
Zum 200. Geburtstag von Rossinis »La Cenerentola«: eine Bestandsaufnahme der Märchenopern, die es zu dauerhaftem Ruhm brachten – von der barocken Feenkönigin bis zum experimentellen »Mädchen mit den Schwefelhölzchen«.
Das Märchenerzählen gehört laut Unesco sogar zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit. Das Erbe wird eher indirekt gepflegt, in Filmen, in Balletten, aber auch in der Oper – wiewohl es weniger echte Märchenopern gibt, als man meinen möchte.
Gioacchino Rossinis „La Cenerentola“, die demnächst 200 wird, ist natürlich eine Märchenoper par excellence. Wie die wunderbare, leider wenig bekannte Vertonung desselben Stoffes durch Jules Massenet. Das Publikum kennt die Geschichte genau. Nur der Schuh, den die schöne junge Dame beim Davonlaufen aus dem Schloss auf der Treppe verliert, ist durch ein Armband ersetzt worden. Als nur noch gelesen wurde. Sonst ähnelt die Geschichte jener, die in Frankreich Perault,´ in unseren Breiten die Brüder Grimm erzählten. Mit der mündlichen Tradierung war es nach dem Erscheinen der populären Mär- chenanthologien dann bald vorbei. An die Stelle der mündlich überlieferten Märchenherrlichkeit samt ihren bunten und wohl zum Teil besonders gruseligen Ausschmückungen trat das Schaudern in den Opernhäusern. Dort feierten bald märchenhafte Gespenstergeschichten fröhliche Urständ.
Den „Freischütz“haben wir aus jener Epoche noch geerbt, einen Grenzgänger, nicht dem reinen Märchentypus zuzuordnen, wie etwa die Geschichte von der Wassernixe „Undine“, die ein Meister der Poesie auf den Text eines anderen komponierte: E. T. A. Hoffmann bat den ein Jahr jüngeren Friedrich de la Motte Fouque,´ aus seinem schönen Kunstmärchen selbst einen Operntext werden zu lassen.
Die Zusammenarbeit der romantischen Dichterfürsten endete zumindest dramaturgisch nicht glücklich. Der stets zynische Hans Pfitzner meinte über Fouque:´ „Sieht man sich diesen teutschen Operntext an, so fällt einem zunächst auf, was für ein genialer Kerl – Lortzing war.“Besagter Gustav Albert Lortzing hatte eine viel bessere „Undine“gedichtet und komponiert. An sein theatralisches Geschick glauben aber leider unsere Opernhäuser nicht mehr – „Undine“gab man zuletzt, stark gekürzt, als „Kinderoper“.
Das scheint das Schicksal aller Märchenopern zu sein. Nicht anders erging es ja Richard Wagners frühem Versuch namens „Die Feen“. Obwohl es bezeichnend ist, dass an der Schwelle zur musikdramatischen Revolution ein purer Märchenstoff steht. Wagner, der Märchenerzähler. Das Märchenhafte hat Wagner nie mehr ganz losgelassen. Wir finden es in Spurenelementen sogar im „Ring des Nibelungen“: „Siegfried“enthält auch Ideen aus „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“. Diese Sache geht schief. Siegfried bekennt nach dem ersten Schreck angesichts der holden, dem naiven Waldkind fremden Weiblichkeit: „das Fürchten – mich dünkt – ich Dummer vergaß es nun ganz.“
Vergessen haben die Kommentatoren auch, dass just in dieser Szene ein anderes Märchensujet durchschimmert: „Dornröschen“ist eine charmante Nachfahrin der wilden Brünnhilde. Aus der „wabernden Lohe“, dem undurchdringlichen Feuerkreis, ist eine Rosenhecke geworden.
Auf der Musiktheaterbühne sehen wir diese poetischere Version der Geschichte am liebsten als Ballett, zur prächtigen Musik Peter Iljitsch Tschaikowskys, der mit seinem letzten großen Tanzpoem ja auch in der deutschen Literatur wildert: E. T. A. Hoffmann hat mit „Nussknacker und Mausekönig“die Vorlage dazu geliefert.
E. T. A. Hoffmanns skurrile Erzählungen wurden selbst zum Märchenopernstoff.
Ob wir, apropos, Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“auch unter die Märchenopern rubrizieren wollen? Sie gehören hier vielleicht ebenso her wie die Adaptionen kraftvoller Märchenstoffe durch russische Meister, allen voran jene durch Nikolai Rimskij-Korsakow, der dem „Märchen vom Zaren Saltan“, dem „Schneeflöckchen“oder der „Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch“wahrhaft märchenhafte Partituren widmete.
Vielleicht ist Henry Purcells „Fairy Queen“die älteste Oper, die für unseren Streifzug in Betracht kommt. Ihr poetischer Höhepunkt hat Schule gemacht: Wie oft ist die zauberhafte Szene, in der der Feenchor die Königin Titania in süßen Schlaf singt, in andere Handlungen transponiert worden? Wir finden sie nicht zuletzt in der deutschen Märchenoper, Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“, wieder.
Dieses Werk ist eines der wenigen Beispiele einer „deutschen Volksoper“mit Märchencharakter, das sich als repertoiretauglich erwies. Vielleicht deshalb, weil die Musik klingt, als hätten sich Wagners „Meistersinger“in den Wald verirrt und sängen dort Kinderlieder.
Obwohl Wagner selbst den jüngeren Kollegen den Märchenpfad als Zukunftsvi-