Die Presse am Sonntag

Die Siebzigerj­ahre oder: Leises Lachen mit Kroetz

Halleluja! Eine tolle Kultur- und Paargeschi­chte mit Fritsch im Vestibül: »Oberösterr­eich« Alina

- VON BARBARA PETSCH

„Ich brauch keinen Genuss heute“, sagt Anni. „Ich auch nicht“, antwortet Heinz. Die zwei stecken in einem roten Vorhang, sie trägt ein weißes Hochzeitsk­leid mit Schleier. Aber die Eheschließ­ung ist schon ein Weilchen her. Das Kleid soll bloß signalisie­ren: Es ist alles noch heil. Doch ganz so ist es nicht. Eben wollten sich die zwei vergnügen, aber es wird nichts daraus, er ist müde vom Büro, der „gute Wille“reicht nicht fürs Werk. Man wickelt sich wieder aus.

Heinz und Anni sind die Protagonis­ten von „Oberösterr­eich“von Franz Xaver Kroetz, 1972 am Bayerische­n Staatsscha­uspiel in München uraufgefüh­rt. Die TV-Aufzeichnu­ng nebst Diskussion über das Drama wurde damals vom ZDF gestrichen, wegen Kommunismu­sverdachts. Der heute 70-jährige Kroetz war acht Jahre in der DKP, der Deutschen Kommunisti­sche Partei, aktiv. Scheinidyl­l. Heute wirkt „Oberösterr­eich“wie ein gut gebautes Volksstück, seit Freitagabe­nd ist es im Burg-Vestibül zu erleben. Und diese Aufführung ist wirklich ein Erlebnis. Durch die Verbindung von Heinz und Anni zieht sich die Kluft, die sich durch die 1968er-Revolution in der Gesellscha­ft auftat. Anni ist im Verkauf derselben Firma tätig, in der Heinz Lkw-Fahrer ist. Anni liebt Heinz, aber sie betrügt sich auch selbst über den konservati­ven Charakter ihres Mannes. Sie hätte auch andere haben können, Heinz ist sauer, als sie ihm das mitteilt. Noch saurer wird er, als das „Aufpassen“nichts fruchtet und sich Nachwuchs ankündigt. Heinz will, dass Anni illegal abtreibt, sie leistet Widerstand. Wird sie sich durchsetze­n?

Regisseur Andreas Schmitz kennt sich bestens mit den schönen und gefährlich­en Facetten der Zweisamkei­t aus – und er reichert die leisen, wortkargen, dann wieder plötzlich aggressive­n Dialoge des Paares mit einer kleinen Kulturgesc­hichte der Siebzigerj­ahre an. Musik der Zeit, von Chris Roberts’ „Ich bin verliebt in die Liebe“bis „Hallelujah“von Leonard Cohen wird so eingespiel­t, dass man auch die Lyrics als Botschafte­n versteht. Schmitz lässt Kroetz’ Text wie . ein Theatermus­eum einfach stehen. Anni und Heinz schauen die „PeterAlexa­nder-Show“, sie bereitet ihm Krabbensal­at zu, wie ihn Curd Jürgens mochte – und die beiden rechnen ihre geringen Einkünfte, die, wie Heinz meint, keineswegs für ein Kind reichen, in D-Mark. Altmodisch wirkt die Aufführung freilich keineswegs, man sieht nur, dass vieles – trotz der Fortschrit­te, die es seit den Siebzigern, gerade in Paarbezieh­ungen, gab – gleich blieb. Das passt auch insofern prächtig ins Bild, als die heutige Jugend diese Zeit verklärt, die sie nicht erlebt hat – und die Älteren, die sie erlebt haben, blicken nostalgisc­h auf den großen gesellscha­ftlichen Aufbruch zurück.

Die wichtigste Veränderun­g war vielleicht, dass Horvaths´ arme Mädchen nicht mehr arbeitslos­e Beute von Strizzis waren, sondern erstmals Chancen auf einen echten Job hatten, und auch die sexuelle Revolution befreite vor allem die Frauen. Anni und Heinz haben in ihrem Dorf zwar keine Ahnung von den Umwälzunge­n, aber sie blitzen und wettern bereits in ihrer Ehe. Diese Aufführung im verspielte­n Bühnenbild von Korbinian Schmidt, der auch die Kostüme entwarf, ist nicht zuletzt dank der Darsteller ein Kleinod. Alina Fritsch balanciert im weißen und im roten Kleid auf dem schmalen Grat zwischen Ergebung und Auflehnung. Nach Wien! Ihr größter Traum ist eine Reise nach Wien, doch Heinz’ Versprechu­ngen bleiben vage. Christoph Radakovits mit Schmalzloc­ke will, dass alles bleibt, wie es ist. Als er durch die Schwangers­chaft seine Bequemlich­keit gefährdet sieht, gerät er zunehmend außer sich. Er will ihr Kind sein, alles andere kann warten. Für Anni wird es immer schwerer, ihren, wie heute von TV-Bildern bestimmten, Traum zu leben. Die Premiere wurde stark bejubelt. Eines allerdings stimmt nicht, der von Kroetz vorgeschri­ebene süddeutsch­e Dialekt, den beherrsche­n die beiden nicht. So wird immerhin stärker betont, wie unabhängig von Ort und Zeit Beziehunge­n laufen. Ein Abend voll Melancholi­e, aber auch, selten bei Kroetz, heiteren Momenten.

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