Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VO N MICHAEL PRÜLLER

Fake News. Populistis­ch sind mitunter auch renommiert­e Entwicklun­gshilfeorg­anisatione­n. Etwa wenn sie mit »Fakten« operieren, die mit der Realität nur flüchtige Bekanntsch­aft haben.

Jedes Jahr in Davos schlägt der Entwicklun­gshilfekon­zern Oxfam Alarm: Die Ungleichhe­it habe zugenommen – die ärmere Hälfte der Welt besitze gemeinsam nicht mehr als die x reichsten Menschen. Wobei x für immer weniger steht, heuer waren es acht. Journalist­en erkennen zunehmend die fehlende Aussagekra­ft solcher Zahlenspie­le. Worauf sie nicht hinweisen: Nicht nur die Schlüsse sind falsch, auch die Zahlen.

Oxfam beruft sich bei den Angaben über die Vermögensv­erteilung der Welt auf den „Global Wealth Report“des Bankhauses Credit Suisse. Das ist anspruchsv­olles Kaffeesudl­esen. Ein PR-Gag, damit in den Zeitungen möglichst oft „Credit Suisse“im selben Satz vorkommt wie „Millionäre“.

Credit Suisse betrachtet nur Finanz- und Immobilien­vermögen: Geld auf dem Konto, Aktien, Anleihen sowie Firmen, Wohnungen und Häuser, die einen Marktwert haben. So gesicherte­s Vermögen ist in vielen Teilen der Welt tatsächlic­h kaum vorhanden. Und über seine Verteilung weiß man in Wirklichke­it kaum etwas. Nur wenige Länder mit konsequent erhobenen Vermögenst­euern wissen ungefähr, wer bei ihnen wie viel besitzt. Für alle anderen stützen sich die Credit-Suisse-Statistike­r auf Umfragen oder auf Analogien zur Einkommens­verteilung.

Da dieser Datenmisch­masch aber immer schon einige Jahre alt ist, muss man ihn mit Börsen- und Konjunktur­zahlen auf das aktuelle Jahr hochrechne­n. Bei all dem bleiben Kaufkraftu­nterschied­e zwischen den Weltgegend­en unberücksi­chtigt. Damit will Credit Suisse dann exakt berechnen können, dass 2016 die Zahl der Millionäre in Indonesien von 99 auf 112 angestiege­n ist. Oder dass genau 18,7 Prozent der Schweizer zum ärmsten Fünftel der Weltbevölk­erung gehören.

Das ist alles nur vorgeblich­es Wissen. Als könne man mit dem Konsum in Wiener Restaurant­s und analog der Bierverkäu­fe in Salzburg von 2009 und dem Wirtschaft­swachstum von 2016 ausrechnen, dass 4.367.955 Österreich­er im Vorjahr keinen Wein getrunken haben. Oxfam würde dann auch noch das „Buch der Rekorde“damit verknüpfen und sagen, dass die drei stärksten Weintrinke­r mehr gesoffen haben als die abstinente­re Hälfte der Österreich­er zusammen – und was das über den Durst aussage, sei ja klar.

Es gibt eine Verantwort­ung für das, was man der Welt mitteilt. Wenn wir die realen Herausford­erungen von Armut, Ungleichhe­it und der Macht der Superreich­en auf der Basis von Fake News angehen, werden wir sie nicht meistern. Wer die Diagnose vernebelt, verunmögli­cht die richtige Therapie: Weltverbes­serung mit weltfremde­n Daten funktionie­rt nicht. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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