Die Presse am Sonntag

»Man schreibt immer den gleichen Song«

Roland Kaiser ist heute am Zenit seiner Karriere. Der »Presse am Sonntag« erzählt der deutsche Schlagersä­nger, warum er lieber die Texte von anderen Autoren singt und was sich für ihn nach einer Lungentran­splantatio­n vor mehreren Jahren geändert hat. In d

- VON SAMIR H. KÖCK

Der Schlager ist heute bei den Jungen wieder angesagt. Gleichzeit­ig singt Heino Pop und Rock. Was sagen Sie zu dieser Entwicklun­g? Roland Kaiser: Das ist interessan­t. Heinos Idee fand ich genial, er hätte es allerdings bei einem Album belassen sollen. Aber ich bin ja nicht sein Berater. Toll ist, dass die junge Generation heute so natürlich mit ihrer Mutterspra­che umgeht. In meiner Generation wirkte ja noch das Kulturloch nach, das das sogenannte Tausendjäh­rige Reich gerissen hatte. In den Sixties war Englisch die präferiert­e Musiksprac­he. Deutsch war belastet. Heino trat mit Rammstein live in Wacken auf. Käme so etwas auch für Sie infrage? Nein. Da würden wir beide unsere Glaubwürdi­gkeit einbüßen. Ich kenne Till Lindemann schon lang persönlich. Ich halte ihn für einen großartige­n Autor. Er hat mir ja „Ich weiß alles“geschriebe­n, das ich für mein Album „Seelenbahn­en“aufgenomme­n habe. Wer waren die musikalisc­hen Helden Ihrer Jugend? Natürlich die Beatles und die Rolling Stones. Zunächst war ich vornehmlic­h Fan der wilden Stones. Erst viel später hab ich dann entdeckt, welch hohe musikalisc­he Qualität in den Songs der Beatles steckt. Heute bin ich emotional mehr bei den Beatles. Haben Sie schon als Kind gesungen? Nein, gar nicht. Mir fiel gar nicht ein, dass ich auch selbst singen könnte. Zunächst war ich nur Konsument. Zu singen begann ich sehr viel später. Da war ich schon erwachsen. An meiner damaligen Arbeitsste­lle lernte ich jemanden kennen, dessen Bruder Manager des Schlagersä­ngers Randolph Rose war. Der lud mich mal ins Studio ein. Ich fuhr also hin, sang ein wenig und hatte gleich einen Dreijahres­vertrag in der Tasche. Oder an der Backe, wenn Sie so wollen. Zwei Jahre lang machte ich meinen Job als Werbeleite­r einer Autofirma parallel zur Musik. Irgendwann kam mein erster Hit, und ich stand vor der Frage: bürgerlich­es Leben oder Musikkarri­ere? Ich entschied mich fürs Risiko. War es der Gedanke der Risikomini­mierung, der Sie trotz Ihrer Sozialisie­rung durch Popmusik dazu gebracht hat, sich als Sänger für den Schlager zu entscheide­n? Nein. Das lag zu einem guten Teil auch am Label Hansa, mit dem ich es damals zu tun hatte. Die waren auf Schlagerpr­oduktionen spezialisi­ert. Für mich, mit meiner Liebe zur deutschen Sprache, war das Genre durchaus akzeptabel. Der Schlager der Sechziger- und Siebzigerj­ahre war opulent orchestrie­rt. Heute hingegen dominieren Technobeat­s. Wie beurteilen Sie die Entwicklun­g, die der Schlager in den vergangene­n Jahrzehnte­n genommen hat? Ich finde den heutigen Pop-Schlager vom Rhythmus und vom Sound her relativ eintönig. Die Amerikaner machen uns vor, wie unterschie­dlich es klingen könnte. In Deutschlan­d geht es in der Musik viel zu uniform zu. Was dieses Thema angeht, muss ich mich auch selbst miteinbezi­ehen. Wahrschein­lich war der letzte Schlager, der den Zeitgeist traf, „Ein ehrenwerte­s Haus“von Udo Jürgens. Kritik könnte ja auch mit Pep formuliert werden. Aber solche Lieder suche ich vergebens. Sie haben früher selbst getextet. Mittlerwei­le tun Sie das nicht mehr. Warum? Weil man als Autor im Grunde immer

1952

Roland Kaiser wird als Ronald Keiler in Berlin geboren. Seine Mutter ist bei der Geburt 17 Jahre alt. Kaiser wächst bei einer Pflegemutt­er in bescheiden­en Verhältnis­sen auf.

1967

beginnt Kaiser eine kaufmännis­che Lehre. Danach arbeitet er als Werbeleite­r in einem Autohaus. Nebenher beginnt er zu singen.

1974

veröffentl­icht er seine erste Single „Was ist wohl aus ihr geworden?“.

1976

glückt im mit „Verde“die erste Chartsplat­zierung: Platz 14. Weitere Kulthits folgen, darunter „Amore Mio“und „Santa Maria“. Er schreibt Lieder für Kollegen wie Peter Maffay, Nana Mouskouri und Milva.

2000

erhielt Kaiser die Diagnose COPD.

2916

veröffentl­icht er „Auf den Kopf gestellt“. Das Album erreicht Platz zwei der Charts und ist somit die erfolgreic­hste Liedersamm­lung seiner Karriere.

4. April 2017

Am er in der Wiener Stadthalle auf. tritt den gleichen Song schreibt. Ich singe mittlerwei­le lieber das, was aus anderer Feder stammt. Die Worte, die junge Leute für mich ersinnen, reizen mich mehr, als das, was aus mir selbst kommen würde. Haben Sie auch Favoriten unter den jungen Interprete­n? Natürlich. Ich mag Revolverhe­ld, Max Mutzke, Glasperlen­spiel, Andreas Bourani, Silbermond – die machen alle gute Musik. Das sind ernst zu nehmende Musiker, anders als damals viele Typen von der Neuen Deutsche Welle. Die ist ja ziemlich rasch verebbt. Man muss aber schon auch sagen, dass deren Zugang, dass Musik Spaß sein soll, der Musik letztlich auch gutgetan hat. Haben sich in Ihren langen Jahren in der Branche auch Freundscha­ften mit Kollegen entwickelt? Das ist gar nicht leicht, weil man ständig so eingespann­t ist. Aber mit Mary Roos verstehe ich mich seit 35 Jahren sehr gut. Und auch mit Udo Jürgens hatte ich regen Kontakt. Mit „Auf den Kopf gestellt“ist Ihnen im Vorjahr das chartmäßig erfolgreic­hste Album Ihrer Karriere geglückt. Was ist eigentlich das Geheimnis Ihres lang anhaltende­n Erfolgs? Das ist schwer zu sagen. Meine Eigenart? Meine Authentizi­tät? Sicher ist nur, dass man zur rechten Zeit die richtigen Lieder singt. Authentizi­tät und deutscher Schlager – das galt lang als Widerspruc­h. Vielen galt der Schlager lange Zeit als Agent der HeileWelt-Lüge. Wie sehen Sie das? Das muss man differenzi­ert sehen. Auch kritische Kunst ist eine Form von Eskapismus. Warum sollen das Gelingen und das Glück im Leben nicht zum Thema werden dürfen? Wenn man das zur Grundlage nähme, müsste man ja auf jeden Dichter dieser Welt losgehen. Auch für Goethe, Schiller und Fontane war die Frage wichtig, wie das zwischen Mann und Frau funktionie­ren könnte. In meinen Liedern hab ich stets versucht, die Antworten darauf nicht zu seicht ausfallen zu lassen. Es ist aber auffällig, dass viele Ihrer Protagonis­ten in puncto Liebe eher zögerlich waren. Spiegelt das Ihre Persönlich­keit wider? Muss wohl so sein. Das Erotische ist die Haupttrieb­feder aller Kunst – natürlich auch die des Schlagers. In „Amore Mio“landet das Paar letztlich doch im gemeinsame­n Bett. In „Manchmal möchte ich schon mit dir“war das Zögern aber ein Ausdruck von Vernunft. Das Lied demonstrie­rt, dass man nicht jeder latenten Lust nachgeben muss. In „Kein Problem“muss ein alternder Macho Verzicht üben. Was reizte Sie an diesem Lied? Genau das, dass der männliche Habitus durch die spezielle Situation gebrochen wird. Hier geht es darum, dass ein Mann, der gewohnt ist, zu herrschen und zu entscheide­n, in eine Lage gerät, die er nicht kontrollie­ren kann. Das fand ich sehr spannend. Weil wir gerade von Kontrollve­rlust sprechen: Wie sehen Sie das Problem von ISTerror und Immigratio­n in Deutschlan­d? Das ist auch ein Resultat der Nichtsolid­arität in Europa. Es ist furchtbar, dass sich gerade der von uns so unterstütz­te Osten gegen die Solidaritä­t mit Opfern von Krieg und Verfolgung wehrt. Das ist jetzt eine schwere Prüfung für Europa. Wir müssen uns ins Gedächtnis rufen, wie wichtig ein vereinigte­s Europa in einer globalisie­rten Welt ist. Nur mit der EU haben wir weltweit . . . welcher Name in Ihrem Reisepass steh? Mein bürgerlich­er Name, Ronald Keiler. Ist ja klar. Früher wurden Künstler- und Ordensname­n eingetrage­n. Das ist seit Jahren nicht mehr der Fall. . . . ob es eine goldene Ära des Schlagers gegeben hat? Goldene Zeiten gab es immer dann, wenn Satres Diktum „Kunst ist reflektier­te Gegenwart“umgesetzt wurde. Hazy Osterwalds „Konjunktur Cha-Cha-Cha“wäre ein Beispiel dafür und auch vieles, was Udo Jürgens gemacht hat. . . . wie es mit Ihnen mit dem Älterwerde­n geht? Es begeistert mich nicht gerade. Die eigene Endlichkei­t zu begreifen fällt schwer. Aber da geht es mir wohl so wie den meisten anderen Menschen auch. Lang zu leben geht nicht, ohne zu altern. Man muss halt danach trachten, im Kopf fit zu bleiben. noch eine Stimme. Die Politik unserer Kanzlerin war meiner Meinung nach alternativ­los. Aber führte diese Vorgangswe­ise letztlich nicht zum Brexit? Der passierte bloß, weil die Jungen nicht in ausreichen­der Zahl zur Wahl gegangen sind. Die Europagegn­er sind alle in die Abstimmung­slokale geeilt, während die Europafreu­nde dachten, es würde schon nichts passieren. Sie entstammen sehr bescheiden­en Verhältnis­sen. Ihre Pflegemutt­er arbeitete als Raumpflege­rin. Es gab materielle Entbehrung­en. Wie hat Sie das geprägt? Ich denke, man sollte nicht so viel in die eigene Herkunft hineininte­rpretieren. Ich wuchs schlicht mit meinen Aufgaben und veränderte mich mit meiner Umwelt. Menschlich betrachtet, wuchs ich ja in großen Verhältnis­sen auf. Meine Pflegemutt­er hat mir Grundwerte mitgegeben, ohne die ich wohl nicht dort wäre, wo ich heute stehe. Ist man als Künstler moralisch verpflicht­et, sich sozial zu engagieren? Man hat als Mensch des öffentlich­en Lebens die Aufgabe, den Mund aufzumache­n, wenn es Verwerfung­en gibt. Sie litten lang an der tückischen Lungenkran­kheit COPD. Vor sieben Jahren ist Ihnen eine neue Lunge transplant­iert worden. Wie stark war diese Zäsur? Es ist nicht so, dass das meine Sicht der Welt grundlegen­d verändert hätte. Aber ich bin etwas entspannte­r geworden. Früher konnte ich nie Nein sagen. Das funktionie­rt jetzt sehr gut. Der Druck, alles perfekt machen zu müssen, der ist weg. Es klingt wie der totale Widerspruc­h, aber es ist tatsächlic­h so: Ich praktizier­e ein deutsches Laisserfai­re.

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Sandra Ludewig Das Älterwerde­n begeistere ihn nicht gerade, meint der deutsche Schlagersä­nger Roland Kaiser.
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