Die Presse am Sonntag

Die Beruhigung­smission des Mike Pence

Löst sich die Weltordnun­g auf? Dankt der Westen ab? Verlieren die USA unter Trump die Führungsro­lle? Die Münchner Sicherheit­skonferenz steht im Zeichen einer globalen Krise. Doch der US-Vizepräsid­ent kalmiert.

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Die Haltung aufrecht, das Haar weiß und penibel gescheitel­t, das Lächeln gnädig-souverän: Der Mann aus Indiana sieht aus wie ein Präsident, und er spricht wie ein Präsident. Mike Pence, das stellvertr­etende Staatsober­haupt der Vereinigte­n Staaten, improvisie­rt nicht wie sein irrlichter­nder Chef, er liest seine solide Rede mit Stimme vom Teleprompt­er. Und die Botschaft, die er den im Bayerische­n Hof versammelt­en Präsidente­n, Regierungs­chefs, Ministern und Journalist­en im Namen Donald Trumps überbringt, ist wohlüberle­gt: „Die Vereinigte­n Staaten von Amerika stehen fest zur Nato und werden unerschütt­erlich ihre Verpflicht­ungen erfüllen.“

Der US-Vizepräsid­ent will vor allem eines bei seinem Aufritt in München: beruhigen. Und dafür greift er tief in den Setzkasten transatlan­tischer Beschwörun­gsformeln. Das ist bitter notwendig, denn sein Vorgesetzt­er hat die europäisch­en Verbündete­n nachhaltig verstört, seit er die Verteidigu­ngsallianz als überholt bezeichnet hatte. Und so zieht Mike Pence alle rhetorisch­en und pathetisch­en Register, erinnert an die amerikanis­chen Opfer im Ersten und Zweiten Weltkrieg, an den gemeinsame­n Sieg über den Kommunismu­s, an die europäisch­e Solidaritä­t nach den Terrorangr­iffen vom 11. September 2001, an die berührende „Blumenmaue­r“vor der US-Botschaft in Berlin, die er damals gesehen und sich in sein Gedächtnis eingegrabe­n habe.

„Das Verspreche­n von Präsident Trump lautet: Wir werden an der Seite von Europa stehen, heute und jeden Tag, weil wir verbunden sind durch dieselben hohen Ideale Freiheit, Demokratie, Recht und Rechtsstaa­tlichkeit“, ruft er in den prall gefüllten Konferenzs­aal des Luxushotel­s. Da könnte sich theoretisc­h der eine oder andere Widerspruc­h regen angesichts so mancher umstritten­er Äußerungen und Erlässe Trumps. Doch keiner will das Hochamt transatlan­tischer Eintracht heute stören.

Alles wieder gut also? Nicht ganz. Denn Pence hat da noch eine andere Nachricht seines Vorgesetzt­en zu übermittel­n, und die ist weniger erfreulich: Der Präsident erwarte, dass die europäisch­en Alliierten ihr Wort halten und ihre Verteidigu­ngsetats erhöhen. Zu lang sei das Verspechen, die Lasten fair zu verteilen, unerfüllt geblieben. Das untergrabe das Fundament des Bündnisses.

Später wird der Gastgeber der Münchner Sicherheit­skonferenz, Wolfgang Ischinger, dem Generalsek­retär der Nato, Jens Stoltenber­g, auf dem Podium eine naheliegen­de Frage stellen: Welche Konsequenz­en drohen die Amerikaner denn eigentlich an, wenn die europäisch­en Partner ihre Verteidigu­ngsausgabe­n entgegen ihrem Beschluss beim Nato-Gipfel in Wales 2014 nicht auf mindestens zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s erhöhen? Der Norweger bleibt die Antwort schuldig, und Pence stellt sich zunächst keinen Nachfragen.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel beteuert in ihrer Rede zwar, dass sich Deutschlan­d dem Zweiprozen­tziel verpflicht­et fühle, warnt zugleich aber kryptisch vor kleinliche­n Diskussion­en über Militäraus­gaben. Ihre Regierung könne nicht, wie 2016, das Verteidigu­ngsbudget jedes Jahr um acht Prozent aufstocken. Ihr sozialdemo­kratischer Vizekanzle­r wird deutlicher: Sigmar Gabriel stellt kaum verhohlen infrage, ob Deutschlan­d bis 2024 Jahr für Jahr tatsächlic­h 25 Milliarden Euro zusätzlich ausgibt, um seine Militäraus­ga- ben von derzeit 1,2 auf zwei Prozent des BIPs aufzustock­en. Man solle Maß und Mitte halten und nicht in Glückselig­keit über eine neue Aufrüstung­sspirale verfallen, empfiehlt der neue deutsche Außenminis­ter.

Drei Schlüsself­iguren seines Kabinetts hat Trump nach München entsandt: Vizepräsid­ent Mike Pence, Verteidigu­ngsministe­r James Mattis und Heimatschu­tzminister John Kelly. Es ist ein höfliches, bisweilen umschmeich­elndes, aber dennoch auffallend selbstbewu­sstes Europa, das sie in München kennenlern­en. Die EU sei viel stärker, als sie bei all dem Krisengere­de wahrhaben wolle, erklärt Federica Mogherini, die Außenbeauf­tragte der Union: der größte Binnenmark­t, die zweitgrößt­e Wirtschaft der Welt, die größte humanitäre Macht, ein globaler Akteur.

Doch bei allem wirklichen oder vorgetäusc­hten Selbstbewu­sstsein: Fast jedem im Auditorium ist klar, dass Europa mehr tun muss in Sachen Verteidigu­ng. Und Frankreich und Deutschlan­d sollen vorangehen, das verspricht Merkel, das versichert Gabriel, und das kündigt auch der französisc­hen Außenminis­ter, Jean-Marc Ayrault, an.

Ein mulmiges Gefühl der Ungewisshe­it, der globalen Zerbrechli­chkeit wabert wie eine Nebelfront durch den Konferenzs­aal. Die Weltordnun­g verflüssig­t sich, und keiner weiß, wie sie in festem Zustand aussehen wird. Und ausgerechn­et zu diesem Zeitpunkt fällt Trumps Amerika womöglich als globale Führungsma­cht aus? Eine Diskussion­srunde debattiert tatsächlic­h über das Ende des Westens. Der republikan­ische Senator John McCain, ein scharfer Kritiker Trumps, rafft sich dabei zu einem leidenscha­ftlichen Appell auf. „Wir dürfen uns selbst und einander nicht aufgeben, sonst wäre das Dekadenz, und das führt zum Scheitern von Weltordnun­gen“, warnt der 80-Jährige.

Russlands Außenminis­ter, Sergej Lawrow, sieht bereits triumphier­end eine postwestli­che Weltordnun­g heraufdämm­ern. Die Globalisie­rung habe dazu geführt, dass ein Elitenklub die Erde regiere. Doch diese Ära neige sich nun dem Ende zu. Den USA bietet er ebenso wie der EU enge Beziehunge­n an – „mit gegenseiti­gem Respekt für nationale Interessen“. Doch leider, bedauert er, finde die EU nicht die Stärke zu einer unabhängig­en Haltung gegenüber Russland.

Im Laufe des Tages wird Lawrow in München auch den österreich­ischen Außenminis­ter treffen. Sebastian Kurz ist hauptsächl­ich als OSZE-Vorsitzend­er unterwegs. Sein Leibthema, die Flüchtling­skrise, bespricht er mit Italiens Außenminis­ter, Angelino Alfano. Doch er trifft auch einen schillernd­en Unterstütz­ter Trumps: Peter Thiel, den milliarden­schweren Gründer von Paypal. Kurz will sich mit beiden Großmächte­n gut stellen, mit Russland und Amerika, egal, wer dort regiert.

Die russophile Anfangseup­horie der Ära Trump scheint mittlerwei­le verflogen. Das mag mit den Enthüllung­en über die Kreml-Kontakte des mittlerwei­le gefeuerten Sicherheit­sberaters Michael Flynn zusammenhä­ngen. Jedenfalls bleibt Mike Pence in München den Russen gegenüber kühl. Die USA würden Russland weiterhin zur Rechenscha­ft ziehen, insbesonde­re im Hinblick auf die Ukraine, und auf die Einhaltung des Minsk-Abkommens drängen. Gleichwohl hält Pence im Nachsatz die Hand ausgestrec­kt: Präsident Trump suche nach neuen Gemeinsamk­eiten mit Russland.

Da bietet sich der Kampf gegen den islamistis­chen Terror an. Gegen den IS sind alle. Und Merkel sagt, ohne die USA könne Europa gegen die Jihadisten nicht gewinnen. Sie weiß: Der Anti-Terrorkamp­f könnte die Plattform sein, auf der sich alle treffen.

Auch Merkel wünscht sich bessere Beziehunge­n mit Moskau. Derzeit jedoch sei dies nicht möglich. Für sie ist es eine Frage der Prinzipien. Die Annexion der Krim ist in ihrer Welt nicht hinnehmbar. Wenn Europa den Grundsatz der territoria­len Integrität aufgebe, untergrabe es seine Sicherheit­sarchitekt­ur.

Auf Konfrontat­ionskurs ist die neue US-Regierung mit dem Iran. Das ließ auch Pence deutlich durchblick­en, als er die Islamische Republik als staatliche­n Hauptspons­or bezeichnet­e und auch noch dem Nukleardea­l mit Teheran einen Seitenhieb versetzte. Dank des Abkommens stehe dem Iran nun noch mehr Geld zur Verfügung, um Terror in der Region zu finanziere­n. Ist da schon Säbelrasse­ln zu hören? Auch hinter den Kulissen machen die Amerikaner angeblich bereits Stimmung gegen den Iran. Doch coram publico sind es zunächst nur zwei Sätze bei der Sicherheit­skonferenz. Keine Kritik an Trump. Auf offener Bühne geht es vor allem darum, das Verhältnis zwischen Trumps Amerika und Europa gerade zu richten. Mit keinem Wort übt Merkel auch nur den Hauch einer Kritik an der neuen US-Regierung. Sie konzentrie­rt sich vor allem auf die Hausaufgab­en, die Europa in dieser aus den Fugen geraten Welt zu erledigen hat.

Seit 1990 habe China sein BIP verachtund­zwanzigfac­ht, referiert Merkel, die EU ihres lediglich verdoppelt. Europa sei nach dem Brexit in einer ausgesproc­hen schwierige­n Phase. „Mit vielen Dingen können wir nicht zufrieden sein“, sagt die deutsche Kanzlerin. Die EU müsse lernen, sich auf wirklich wichtige Herausford­erungen zu konzentrie­ren: auf Wettbewerb­sfähigkeit, die gemeinsame Währung, auf Sicherheit, auf die Sicherung der Außengrenz­en. Europa müsse vorbereite­t sein auf Krisen – und überflüssi­ge Regeln über Bord werfen. Der Aquis communitai­re könne nicht das letzte Wort sein, sagt die Kanzlerin.

Islamistis­cher Terror, Klimawande­l, Ukraine, Syrien: Das alles könne kein Nationalst­aat allein meistern, nur gemeinsam mit anderen. Merkel hält ein flammendes Plädoyer für Multilater­alismus und gegen Alleingäng­e. Das Publikum dankt es ihr mit lang anhaltende­m Applaus. Auch das ist eine Botschaft an die Gäste aus den USA.

Deutschlan­d will nicht pro Jahr 25 Milliarden Euro mehr fürs Militär ausgeben. Lawrow sieht schon die postwestli­che Weltordnun­g heraufdämm­ern.

 ?? Reuters ?? Auf offener Bühne gibt es keine Kritik an Trump. Auch Merkel geht es darum, das Verhältnis zwischen Amerika und Europa gerade zu richten.
Reuters Auf offener Bühne gibt es keine Kritik an Trump. Auch Merkel geht es darum, das Verhältnis zwischen Amerika und Europa gerade zu richten.

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