Die Presse am Sonntag

Ankaras Filialen in Österreich

Gegen Atib, den größten türkischen Verband Österreich­s, wurden Spitzelvor­würfe laut. Spurensuch­e bei einem Verein, der direkt der türkischen Religionsb­ehörde Diyanet untersteht.

- VON ERICH KOCINA

Am Ende landet man regelmäßig bei Atib. Wenn es um Türkeistäm­mige in Österreich geht, fällt irgendwann die Kurzbezeic­hnung der Türkisch-Islamische­n Union in Österreich. Bei umstritten­en Bauvorhabe­n von Moscheen, bei Fragen der Integratio­n und immer wieder beim Thema, wie weit der Einfluss der türkischen Regierung auf die türkische Community reicht. Wesentlich­e Punkte des im Vorjahr in Kraft getretenen Islamgeset­zes sind quasi auf Atib zugeschnit­ten – etwa das Verbot der Auslandsfi­nanzierung von Imamen in österreich­ischen Moscheen.

Das jüngste Kapitel eröffnete der grüne Nationalra­tsabgeordn­ete Peter Pilz mit dem Vorwurf, dass Atib mutmaßlich­e Opposition­elle bespitzle und Informatio­nen über sie an die türkischen Behörden weitergebe. Vor allem im Visier stünden Anhänger der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, Erzfeind von Präsident Recep Tayyip Erdogan.˘ Die Anzeige von Pilz ist nun ein Versuch, das greifbar zu machen, was ohnehin schon lang kolportier­t wird – dass Atib Erdogans˘ verlängert­er Arm in Österreich ist.

Tatsächlic­h hat der Verein eine Konstrukti­on, über die der türkische Staat einen gewissen Einfluss in Österreich geltend machen kann. Immerhin untersteht Atib der türkischen Religionsb­ehörde Diyanet. Und der AtibVorsit­zende ist immer auch der Religionsa­ttache´ in der Botschaft. Nähe liegt also auf der Hand, über die Intensität und die Stoßrichtu­ng lässt sich diskutiere­n. Wenig überrasche­nd bestreiten Vertreter des Vereins und der Religionsb­ehörde regelmäßig jeglichen politische­n Einfluss aus Ankara.

An sich ist Atib 1990 als Gegenpart zu religiösen Fundamenta­listen in der türkischen Community gegründet wor- den – etwa zur islamisch-konservati­ven Milli-Görüs-Bewegung. Die Türkei war damals noch streng laizistisc­h, dementspre­chend war auch die Ausrichtun­g der Atib eine sehr liberale. Als die AKP 2002 in der Türkei an die Macht kam, gab es zunächst Reformen und eine Öffnung des Landes, doch mit zunehmende­r Regierungs­zeit rückte das Land in eine religiöse, zuletzt sogar autoritäre Richtung. Damit geriet auch Atib in Verdacht, wobei die Vorwürfe weniger in Richtung Islamisier­ung – da gehört man weiter eher zu den Liberalen –, als in Richtung Erdoganisi­erung˘ gehen. 75.000 Mitglieder. An Gewicht in Österreich mangelt es Atib jedenfalls nicht. Als Dachverban­d betreibt man 65 Moscheever­eine, die Mitglieder­zahl wird auf rund 75.000 geschätzt. Man kümmert sich um verschiede­nste Lebensbere­iche – von Kindergärt­en in den Kulturzent­ren bis zur Rückführun­g Verstorben­er in die Türkei. Auch Geschäfte und Cafes´ sind an Moscheen angeschlos­sen. Nicht zuletzt organisier­t man Pilgerfahr­ten nach Mekka. Für Türkeistäm­mige, die sich organisier­en, ist Atib jedenfalls der größte Ankerpunkt.

Wobei Atib trotz der Konstrukti­on mit den Verbindung­en in die Türkei kein monolithis­cher Block sei, wie der türkeistäm­mige Soziologe Kenan Güngör meint. Zwar gebe es die von Diyanet eingesetzt­en Imame und Funktionär­e, doch auf der anderen Seite seien in den einzelnen Moscheever­einen viele Mitglieder, die in Österreich aufgewachs­en sind. Und zwischen diesen beiden Gruppen gebe es immer wieder Kämpfe um die Ausrichtun­g.

Und doch, dass Informatio­nen über unliebsame Gegner des türkischen Präsidente­n von Wien nach Ankara geflossen sind, hält Güngör „nicht nur für vorstellba­r, sondern für ganz sicher“. Weil ja alle Diyanet-Einrichtun­gen genau dazu angewiesen wurden.

Die deutsche Schwestero­rganisatio­n Ditib, mit rund 900 Moscheen einer der wichtigste­n muslimisch­en Verbände des Landes, ist mit ähnlich gelagerten Vorwürfe konfrontie­rt. Bei mehreren Imamen gab es sogar schon Hausdurchs­uchungen – sie sollen die Namen mutmaßlich­er Gülen-Anhänger und Informatio­nen zu Einrichtun­gen der Bewegung nach Ankara übermittel­t haben.

Tatsächlic­h räumte das am Freitag auch Diyanet-Präsident Mehmet Görmez ein – man habe sechs betroffene Imame „als Zeichen des guten Willens“in die Türkei zurückgeru­fen. Sie hätten, so Görmez, ihre Kompetenze­n überschrit­ten, sich aber nicht strafbar gemacht. Und er beharrte darauf: „Es gibt keine Spionagetä­tigkeit.“Aber auch in Österreich laufen bereits Untersuchu­ngen gegen Atib – wenn auch noch nicht so konkret wie in Deutschlan­d.

Atib wurde 1990 als Gegenpart zu religiösen Fundamenta­listen gegründet. Spionage? Finanzieru­ng aus dem Ausland? Gegen Atib laufen nun Ermittlung­en.

Die Landespoli­zeidirekti­on Wien ermittelt, ob der Verein gegen seine Statuten verstoßen hat – mit einer politische­n Tätigkeit für die Türkei könnte das der Fall sein. Im Extremfall könnte nach Ausschöpfu­ng des Instanzenz­ugs die behördlich­e Auflösung des Vereins stehen. Und auch wegen des Vorwurfs der Spionage wird ermittelt, allerdings ist der entspreche­nde Paragraf recht eng gefasst – so müsste die Spionagetä­tigkeit gegen die Republik Österreich gerichtet sein. Dass diese Regel hier greift, ist also eher unwahrsche­inlich.

Und auch eine weitere Prüfung steht der Atib bevor – nämlich ob sie gegen das Verbot der Auslandsfi­nanzierung verstoßen hat. Eine Prüfung durch das Kultusamt im Bundeskanz­leramt, die ohnehin schon für März geplant war, wird nach den Vorwürfen von Pilz nun vorgezogen. Die Imame, die früher direkt aus der Türkei geschickt wurden, werden seit Inkrafttre­ten des Islamgeset­zes über einen Umweg entsendet – per Personalle­asing vom belgischen Diyanet-Ableger. Eine Konstrukti­on, die zwar schräg wirkt, aber legal ist – solang die Bezahlung der Imame aus Österreich erfolgt.

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