Im Dienste des Tempelbaumes
Frangipani. Wäre Mischa Holzbein mein Freund, so müsste ich nicht zu außergewöhnlichen Maßnahmen greifen, um des Alfreds geliebte Pflanzen vor den Spinnmilben zu retten.
Ich wäre gerne wie der starke Wanja aus Ottfried Preußlers gleichnamigen Buch. Ich wäre dabei bescheiden. Seine sieben Länder und Königreiche, die er durchwandern muss, bis er die Zarenkrone findet, brauche ich nicht. Auch die Zarentochter muss nicht sein. Mir reicht mein Garten.
Nun, da der Schnee großteils geschmolzen ist und alles wieder nackt daliegt, was wochenlang gnädig verhüllt war, wandert das Auge unruhig über die Hänge, Beete, Töpfe. Es gibt so gut wie keinen Quadratmeter, der nicht gepflegt werden will.
Alles steht bevor: Das Schneiden der Obstbäume, das Ausputzen der Rabatten, die Bändigung der zu groß gewordenen Sträucher, das Bepflanzen von Töpfen und Trögen mit den Einjährigen. Wo auch immer der Blick landet, trifft er auf Arbeit. Ich schaue derzeit gerne in den Himmel. Das beruhigt. Es ist der einzige Ort, der mich nicht dazu auffordert, etwas zu tun.
Dabei bin ich ein großer Freund der Faulheit, und wieder ist der starke Wanja schon seit Volksschulzeiten mein liebstes Vorbild. Sieben Jahre liegt er auf dem Backofen, spricht kein Wort, kaut seine Sonnenblumenkerne, lässt sich von seinen Brüdern verspotten und sammelt heimlich gewaltige Kräfte für die bevorstehende Reise. Danach ist er so stark, wie ich gerne wäre. Er hätte die Komposthaufen in Windeseile umgesetzt und alle Erdarbeiten, mit denen wir armen irdischen Würmer uns so sehr plagen, wären ein Kinderspiel für ihn. Überall nur Arbeit. Außerdem hat er die silberne Kopeke seiner Mutter, und die weist ihm stets den Weg, wenn sich der gabelt: Zahl links, Adler rechts. Ganz einfach, und wenn Wanja die Münze zu Beginn des Winters im Schnee verliert, bleibt er, wie wir Gärtner, behaglich in einer warmen Hütte, hackt Holz, wartet geduldig bis der Schnee schmilzt und die Kopeke wieder freigibt. Dieser Moment ist jetzt.
Der starke Wanja hat aber noch etwas, um das ich ihn beneide: Mischa Holzbein, ein einbeiniger abgedankter Soldat, ist sein Freund. Ich wollte, der wäre jetzt hier, denn seine Zauberkunststücke bräuchte ich fast noch dringender als die Kräfte des Bauernsohnes. Ich denke dieser Tage oft an ihn, insbesondere, wenn ich die Frangipani des Alfred D. mit wachsender Sorge betrachte.
Im vergangenen Frühjahr waren die als winzige wurzelnackte Pflänzchen, liebevoll eingewickelt in des Al- freds Unterhosen und Hemden, im Koffer aus Asien nach Niederösterreich gereist. Hier waren sie in Töpfe gebettet und umsorgt worden und unter freiem Himmel zu anmutiger Gestalt herangewachsen. Da aber ihr Herrchen schon im Herbst wieder auf ausgedehnte Reisen ging und Frangipani nicht monatelang allein gelassen werden können, übernahm ich die schwerwiegende Verantwortung für die vier Grazien. Sie übersiedelten also zu mir.
Sobald sie an einem der sonnigsten Plätze des Hauses aufgestellt worden waren, demonstrierten sie ihr Missvergnügen durch das Abwerfen aller Blätter. Keine Übertreibung. Das Abwerfen von Blättern muss jedoch nicht immer gleich das Schlimmste bedeuten. Einen weiteren Monat später standen sie wieder in vollem Laub, trieben kräftig durch, glänzten sattgrün und gesund.
Seit Kurzem jedoch nagt an ihnen einer der im Winter an Tropenpflanzen fast unvermeidlichen Widerlinge namens Spinnmilbe. So viel Luftbefeuchten kann man gar nicht, dass der nicht irgendwann einmal auftaucht.
Wäre jetzt der gute alte Mischa Holzbein da, so würde ich ihn bitten, seine Flöte hervorzuholen. Dann bliese er eine kleine aufsteigende Melodie, und alles Ungeziefer wäre auf der Stelle zur Bewegungslosigkeit erstarrt.
Im wirklichen Leben habe ich auf etwas zurückgegriffen, was nur im ärgsten Notfall und unter großer Vorsicht angewandt wird: Ein schwaches Händchen Tabak wie Tee aufbrühen, erkalten lassen, abseihen, über die befallenen Pflanzen gießen. Was für ein Gift! Achtung, dieses bewährte Tropenpflanzen-Rettungsmittel ist giftig. Alle Kinder und Haustiere werden während der Prozedur verbannt, etwaige Tropfen werden keinesfalls eingeatmet und sorgfältig aufgewischt, die Untersetzer geleert, falls sich Tabakwasser darin sammelt, doch so viel brauchen Sie gar nicht davon.
Im Gegensatz zu chemisch hergestellten Giften, die sowieso abzulehnen sind, wird der giftige Wirkstoff Nikotin binnen kürzester Zeit wieder abgebaut. Die Spinnmilben sind danach garantiert hinüber. Im Freiland ist diese Methode übrigens untauglich, weil man damit auch Bienen und andere Insekten schädigen kann.