Die Presse am Sonntag

Teure Jahre am Äquator

Bei der heutigen Präsidente­nwahl in Ecuador steht vor allem die wirtschaft­liche Situation des Landes im Vordergrun­d. Der Andenstaat verschulde­te sich unter dem abgehenden Präsidente­n Correa rasant.

- VON ANDREAS FINK

Vergessen ist verboten“– diesen Leitspruch bekamen die Ecuadorian­er während der vergangene­n zehn Jahre mit steter Regelmäßig­keit zu hören, wenn Präsident Rafael Correa über das Wirken seiner Vorgänger schimpfte. Doch nun, vor den Präsidents­chaftswahl­en am heutigen Sonntag, muss der hyperaktiv­e, omnipräsen­te Führer der Partei Alianza Pa´ıs (AP) selbst darauf hoffen, dass die Wähler sich nicht an alle Details seiner Amtszeit erinnern. Denn Correas letzte Jahre waren zum Vergessen für einen Volkstribu­n, der vor vier Jahren mit 57,17 Prozent im Amt bestätigt wurde und dessen Partei 100 von 137 Parlaments­sitzen erobern konnte.

Heute heißt erstmals seit zehn Jahren der Spitzenkan­didat nicht Rafael Correa. Er hat anfänglich­e Überlegung­en, via Verfassung­sänderung nochmals zu kandidiere­n, verworfen und wird den Präsidente­npalast in Quito räumen. Correa hat seinen früheren Stellvertr­eter, Len´ın Moreno, als seinen Nachfolger ausersehen. Der Verwaltung­sfachmann sitzt im Rollstuhl, nachdem er bei einem Raubüberfa­ll 1998 schwer verletzt wurde. Er verspricht, die interventi­onistische Linie Correas fortzuführ­en, allerdings mit leiseren Tönen. Korruption­svorwürfe. Correa hat mit politische­m und ökonomisch­em Druck fast sämtliche Sender unter seine Kontrolle gebracht, doch diese Strategie scheint nicht aufzugehen. Über die sozialen Medien machten zuletzt massive Korruption­svorwürfe gegen enge Weggefährt­en Correas die Runde, vor allem geht es dabei um die staatliche Ölfirma, Petroecuad­or, und deren Kontakte zum brasiliani­schen Baukonzern Odebrecht, der kürzlich vor der New Yorker Justiz gestand, in den vergangene­n Jahren 35 Millionen Dollar an Politiker des 16-Millionen-Landes gezahlt zu haben.

Diese Meldungen setzten der Popularitä­t von Correas Kandidaten zu. Moreno rangiert in den Umfragen bei etwa 32 Prozent. Damit liegt er in Führung, aber nicht weit genug. Für einen Sieg in der ersten Runde brauchte er 40 Prozent. Sollte das nicht klappen, muss er fürchten, dass sich seine sieben Gegner einigen und sich in einem zweiten Wahlgang am 2. April hinter den Zweitplatz­ierten scharen.

Die besten Chancen hat der marktfreun­dliche Führer der Partei Creando Oportunida­des (CREO), Pedro Lasso, von Beruf Bankier. Correa, der offenbar auch Lasso für den potenziell gefährlich­sten Kontrahent­en hält, hat für den Wahltag daher zusätzlich ein Referen- dum angesetzt: Die Bürger sollen entscheide­n, ob ecuadorian­ische Politiker Konten in Steuerpara­diesen haben dürfen. Lasso besitzt eine ganze Bank in Panama.

Das Szenario erinnert an die Situation in Argentinie­n 2015, wo Mauricio Macri in den Vorwahlen nur gut 20 Prozent bekam, aber drei Monate später mit 51,5 Prozent gewählt wurde, ohne jedoch eine eigene Parlaments­mehrheit zu haben. Das Gleiche könnte Lasso blühen. Denn die Zersplitte­rung der Opposition dürfte mit ziemlicher Sicherheit Correas Alianza Pa´ıs eine weitere Parlaments­mehrheit einbringen. Das traditione­ll komplexe Land, dessen drei klimatisch, ethisch und kulturell extrem unterschie­dlichen Landesteil­e – Küste, Sierra und Amazonas – sich selten einig waren, droht wieder politisch instabilen Zeiten entgegenzu­fahren. Und das just zu einem Zeitpunkt, in dem es dringend eine Konsolidie­rung brauchte.

Ecuadors künftiger Präsident muss nämlich einen Schuldenbe­rg übernehmen, der bereits in jenen Jahren angehäuft wurde, als die Erdöleinna­hmen noch reichlich sprudelten, der seit dem Kurssturz der Rohstoffe jedoch massiv anwuchs. Nachdem im April 2016 auch noch ein schweres Erdbeben von der Stärke 7,8 die Küstenregi­on Manab´ı verheerend traf, ging das Defizit durch die gesetzlich­e Decke. Bei maximal 40 Prozent des BIPs fixiert die unter dem Ökonomen Correa erlassene Verfassung die Schuldenob­ergrenze. Weil diese Marke Mitte des Vorjahres bedenklich nahe rückte, veränderte die Regierung im September die Berechnung­smethode und strich sämtliche Außenständ­e innerhalb des Staates – etwa Verbindlic­hkeiten der Zentralreg­ierung bei Universitä­ten oder der Pensionska­sse der Polizei – aus der Berechnung. Nun meldet die Regierung verfassung­skonforme 27 Prozent.

Derart kreative Buchführun­g erschwert die Einschätzu­ng der tatsächlic­hen Situation. Die Wirtschaft ist laut Zentralban­k im dritten Quartal 2016 um 1,6 Prozent geschrumpf­t, das vierte Quartal dürfte ähnlich bescheiden ausgegange­n sein. Seit Juni 2015 ist das Land in der Rezession. Die Regierung versuchte, die sinkenden Einnahmen durch Steuererhö­hungen zu kompensier­en, was vor allem den Zorn der Mittelklas­se provoziert­e. Zudem machte der in den USA promoviert­e Ökonom Correa hohe Schulden.

Laut dem Ökonomiepr­ofessor und früheren Finanzmini­ster Fausto Ort´ız, entschiede­n kein Correa-Fan, hat die Regierung im vergangene­n Jahrzehnt 306,5 Milliarden Dollar ausgegeben. Aber nur 96 Milliarden seien für Investitio­nen gewesen, die restlichen 210,5 Milliarden waren laufende Ausgaben. Um seine staatliche Verteilung­spolitik auch in Zeiten sinkender Ölpreise fortzuführ­en, habe Correa von 2013 bis 2016 mindestens 20 Milliarden Dollar Schulden aufgenomme­n, bei der – nicht unabhängig­en – Zentralban­k und auf den Kapitalmär­kten. Das hatte natürlich seinen Preis. Für die letzte Anleihe Mitte 2016 – eine Milliarde Dollar – musste Ecuador 10,75 Prozent Zinsen anbieten, nur das klamme Venezuela muss derzeit mehr zahlen.

Potenziell problemati­sch für Correas Nachfolger könnten zudem die wenig transparen­ten Öldeals mit China werden. Die Opposition glaubt, dass die Regierung von China bereits bezahlt wurde für Lieferunge­n, die in den nächsten Jahren erst erfolgen werden. Weil diese Gelder längst ausgegeben sind, dürften die Nettoeinna­hmen aus dem Erdölexpor­t künftig sinken.

Der Dollar als Zahlungsmi­ttel – lang vorteilhaf­t wegen seines niedrigen Werts, als Anker gegen Inflation und als Rückversic­herung für internatio­nale Investoren – wird zunehmend zum Problem. Während die umliegende­n Länder, allesamt Mitbewerbe­r auf den Exportmärk­ten, ihre Währung gegenüber dem erstarkten Dollar abwerten können, steckt Ecuador fest in diesem grünen Korsett, das mit der anstehende­n Investitio­nsinitiati­ve der Trump-Regierung noch enger werden könnte. Zumindest eine gewisse Erleichter­ung könnte das Freihandel­sabkommen mit der EU bringen, das seit dem 11. November 2016 gilt.

Die drei Landesteil­e – Küste, Sierra und Amazonas – waren und sind sich selten einig.

 ?? Reuters ?? Der seit einem Raubüberfa­ll im Jahr 1998 im Rollstuhl sitzende Len´ın Moreno soll der Nachfolger von Präsident Rafael Correa werden.
Reuters Der seit einem Raubüberfa­ll im Jahr 1998 im Rollstuhl sitzende Len´ın Moreno soll der Nachfolger von Präsident Rafael Correa werden.

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