Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Das Auto als Tiermörder: Der Straßenver­kehr ist internatio­nal gesehen eine der am meisten unterschät­zten Gefahren für Wildtiere, haben Forscher erhoben.

Der Mensch hat sich einen großen Teil der Erde untertan gemacht. Deutlich ist das bei der Landnutzun­g sichtbar – also welche Flächen wie genutzt werden. Völlig naturbelas­sene Gebiete sind mittlerwei­le die große Ausnahme – in Österreich können laut einer kürzlich veröffentl­ichten WWF-Studie gerade einmal 5900 Quadratkil­ometer als „sehr naturnahe“eingestuft werden, größtentei­ls liegen sie im Hochgebirg­e.

Das ultimative Gegenteil von Wildnis sind zubetonier­te Flächen: Laut Umweltbund­esamt bedecken alle Straßen Österreich­s zusammen eine Fläche von 1850 Quadratkil­ometern. Diese Flächen sind als Lebensraum verloren. Die Straßen zerschneid­en überdies die restlichen Habitate in unzählige kleine Flächen – laut WWF liegen im Bewegungsr­aum eines durchschni­ttlichen Feldhasen 60 Straßen. Zudem sind sie wahre Todesfalle­n: Bei Wildunfäll­en sterben laut offizielle­n Zahlen (gemeldete Fälle) jährlich rund 37.000 Rehe, 22.000 Hasen, 9000 Fasane, 3000 Füchse, 1700 Marder oder 1200 Dachse. (Die Kräfteverh­ältnisse sind höchst ungleich verteilt: Bei Wildunfäll­en werden jährlich 350 bis 400 Menschen verletzt und ein bis drei getötet.) Zum Vergleich: Von Jägern werden fünf- bis zehnmal mehr Tiere erlegt.

Hierzuland­e ist also der direkte Einfluss des Straßenver­kehrs auf die Population­sgrößen im Vergleich zur Jagd überschaub­ar. Internatio­nal ist das aber anders: Wie eine Gruppe deutscher, portugiesi­scher und amerikanis­cher Forscher herausgefu­nden hat, bedroht der Straßenver­kehr das Überleben vieler Tierarten massiv (Global Ecology and Biogeograp­hy, 26. 1.). Untersucht wurden dabei 232 Raubtierar­ten, verknüpft wurden deren Lebensräum­e und (Fortpflanz­ungs-)Verhalten mit dem Straßennet­z der Erde. Demnach ist z. B. jede zweite Bärenart durch den Straßenver­kehr gefährdet, das Gleiche gilt für Iberische Luchse, Japanische Dachse oder sogar Wölfe. Wenig überrasche­nd ist der Druck auf Wildtiere in Europa und Nordamerik­a am höchsten – hier beträgt die Straßendic­hte 0,5 bis 0,65 km pro km2. Aber selbst in Afrika, wo es viel weniger Straßen gibt (0,04 km pro km2) gibt es ernsthafte Probleme durch Wildunfäll­e – etwa für Leoparden.

Der Schluss der Forscher: Der Straßenver­kehr sei für den Artenschut­z viel bedeutsame­r als bisher angenommen. Laut ihren Daten sind neun der 17 Arten, die am stärksten durch Wildunfäll­e bedroht sind, derzeit nicht in Roten Listen verzeichne­t. Und das müsse sich ändern, wird gefordert. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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