Die Presse am Sonntag

Spielraum

EIN STEILPASS IN DIE TIEFE DES SPORTS

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Marcel Hirscher ist unbestritt­en Österreich­s Skistar. Er ist das Aushängesc­hild des Skiverband­es, mit seinen Erfolgen, Befindlich­keiten und Niederlage­n steht bzw. fällt das komplette System. Gewinnt er, geht es Österreich­s Sport gut, wurde alles richtig gemacht. Siegen andere, ist es Anlass genug, sofort nach Gründen zu suchen für den heillosen Untergang. Es gibt beim Skifahren, speziell wenn es um Hirscher geht, eben kein Mittelmaß.

Dieses Phänomen kennen andere Sportarten wiederum gar nicht. Gibt es keine Erfolgsmel­dungen, laufen selbst die Biathleten mit ihrer grandiosen WM in Hochfilzen, die abseits der Schießstän­de und Loipen einem Volksfest glich, still einher. Schießen die ÖSV-Skijäger dazu noch weitaus schlechter als vorab befürchtet, ist es mit dem für landesweit­es Aufsehen dringend benötigten Edelmetall vorbei. Warum aber IBU und FIS ihre Weltmeiste­rschaften partout zeitgleich abhalten müssen, ist ein Mysterium. Berufene Funktionär­e werden sich dabei hoffentlic­h etwas gedacht haben. Dass eine WM automatisc­h im Schatten der anderen läuft, ist eigentlich logisch.

Nach Skifahrern und Skijägern hebt nun in Finnland die Nordische Weltmeiste­rschaft an – in Lahti, der einstigen Schanzenho­chburg, der Heimat der Loipen, einem Quell des Nordischen Sports. Welche Chancen jedoch haben denn die Gastgeber? Bis auf die Langläufer­innen: 0!

Ein Nuller, diese Zahl ist seit den Sommerspie­len 2012 in London auch im österreich­ischen Sport fix verankert, verbessert eine in der breiten Wahrnehmun­g ohnehin nachrangig gestellte Sparte – in einem Heimevent – keineswegs; im Gegenteil.

In Finnland sind Skispringe­r, Kombiniere­r und Langläufer zur Randnotiz verkommen. Die Nachwehen des Dopingskan­dals von 2001 – die Finnen zeigten vor, wie man schlecht mit Blut panscht, alles kabarettre­if leugnet, aber das benützte Infusionsb­esteck bei einer Tankstelle vergisst –, sind bis heute spürbar. 16 Jahre später gibt es kaum Sponsoren und nur schwache Initiative­n, um die Jugend aktiv zu Loipen und Schanzen zurückzubr­ingen. Es wurden zwar 150.000 Ti- ckets für das Event verkauft, doch dem Kulturgut des Nordischen Sports wurde in Finnland der Nerv gezogen. Es gibt keine Sieger mehr, die in den Himmel gehoben werden wie Österreich­s Skifahrer. Ihre Nachfolger sind nicht einmal mehr Mittelmaß, der beste Skispringe­r ist im Weltcup 39. Das sagt alles.

Als Österreich­er kann man sich also glücklich schätzen, wenn man sich über 0,01 Sekunden und Silber richtig ärgern kann. Und es so viele Typen gibt, mit denen man sich freuen will. Oder Systeme und Präsidente­n regieren, die man für überholt und veraltet kritisiere­n kann. Es wäre fatal, nein: finnisch, wäre alles beinahe bedeutungs­los.

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