Die Presse am Sonntag

Österreich­ischer Impfplan: Weiterhin große Lücken

Betroffen sind trotz des Gratiskind­erimpfprog­ramms und zahlreiche­r Angebote für Erwachsene vor allem Masern, Keuchhuste­n und saisonale Influenza.

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das Impfen ein „Riesengesc­häft“sei, verbreiten würden. Dabei sei wichtiger denn je, Dinge „nicht einfach so hinzunehme­n, sondern zu hinterfrag­en“. Das betreffe das Regelschul­wesen ebenso wie die Schulmediz­in.

„Wir sind mündige Bürger. Jeder sollte das Recht haben, nach einer umfassende­n Aufklärung und nach Abwägen von Für und Wider selbst zu entscheide­n, ob er sich und seine Kinder impfen lassen will“, sagt Adami. Schließlic­h gäbe es genug Argumente gegen das Impfen. Neben dem Risiko der Nebenwirku­ngen sei jede Krankheit auch eine „Entwicklun­gschance“.

Durch Krankheite­n würden Körper und Geist seine Lektion lernen und gestärkt daraus hervorgehe­n. So habe beispielsw­eise ihre Tochter als Kind lange Zeit Probleme mit dem flüssigen Lesen gehabt. Nach einer Erkrankung mit hohem Fieber sei „dieses Thema erledigt“gewesen und sie habe plötzlich flüssig lesen können. „Das kann Zufall sein, muss es aber nicht.“

Jedenfalls müsse man dem Körper die Möglichkei­t geben, seine Selbstheil­ungskräfte zu mobilisier­en und ihn nicht mit Sechs- und Achtfachim­pfungen quälen. Adami: „Denn wann wird in der Natur der Körper mit acht Erregern gleichzeit­ig konfrontie­rt?“

Daher sei sie streng gegen eine derzeit öffentlich debattiert­e Impfpflich­t, die zuletzt auch von Volksanwal­t Günther Kräuter (gegen Masern, Mumps und Röteln) in Kindergärt­en und Schulen gefordert wurde. „Ich habe mir meine Meinung nicht von heute auf morgen gebildet, sondern im Zuge eines langen Prozesses. Daher werde ich mir meine Mündigkeit behalten.“

Sorgen und Befürchtun­gen, die der Wiener Kinder- und Jugendarzt und Impfrefere­nt der Österreich­ischen Ärztekamme­r, Rudolf Schmitzber­ger, von Eltern regelmäßig zu hören bekommt. Für die er aber kaum Verständni­s hat. Vor allem die Angst vor einer Überlastun­g des Immunsyste­ms durch Kombinatio­nstherapie­n sei ganz und gar un- begründet, denn selbst bei einer gleichzeit­igen Verabreich­ung von zehn Impfungen würden nur 0,1 Prozent des Immunsyste­ms belastet. Für ihn ist die Notwendigk­eit von Impfungen vor allem eine „Kosten-Nutzen-Rechnung“.

„Impfen bedeutet schlicht und einfach eine Risikoredu­zierung. Ich wäge ab zwischen dem, was passieren kann, wenn ich impfe und wenn ich nicht impfe“, sagt der Mediziner. Bei sämtlichen im Impfplan empfohlene­n Impfungen, insbesonde­re jenen des Gratisimpf­konzepts, liege ein Risikounte­rschied im Bereich von Potenzen vor. „Das Risiko, durch die Impfung zu Schaden zu kommen, liegt im Bereich eins zu Millionen – durch Masern schwerst zu erkranken, aber bei eins zu 1000. Impfen bedeutet also eine Risikoredu­zierung.“Neben den Impfskepti­kern gibt es laut Schmitzber­ger auch die „Ignoranten“, wie er sie nennt. „Leute, die glauben, sie brauchen keine Impfungen, weil sie jeden Tag einen Apfel essen und gesund leben. Das sind schwere Fehleinsch­ätzungen.“

Eine Fehleinsch­ätzung sei auch die Annahme, dass eine Erkrankung wichtig für die Persönlich­keitsentwi­cklung eines Kindes sei. „Dieser Behauptung entgegne ich, dass etwa eine überlebte Gehirnhaut­entzündung mit so viel Leid und resultiere­nder schwerer Behinderun­g verbunden ist, dass diese Art der Persönlich­keitsentwi­cklung niemandem zu wünschen ist.“ Positive Stimulieru­ng. Auch die Angst vor einer Erkrankung durch Impfungen zeuge in erster Linie von fehlendem Wissen über die Funktionsw­eise einer Immunisier­ung. „Tatsache ist, dass eine Impfung – auch eine Lebendimpf­ung – zu einer positiven Stimulieru­ng des Immunsyste­m führt, mit der Bildung eigener Antikörper“, erklärt Schmitzber­ger.

Lediglich bei einer Lebendimpf­ung wie etwa den Masern könnten stark abgeschwäc­hte Symptome wie Fieber und ein nicht ansteckend­er Ausschlag auftreten. „Die Impfung ist in solchen Fällen aber als besonders indiziert einzuordne­n, denn wenn der Patient bereits auf die Verabreich­ung abgeschwäc­hter Impfviren reagiert, würde er bei ungeschütz­tem Kontakt mit dem Wildvirus umso heftiger reagieren.“

In Österreich gibt es noch immer große Lücken beim Impfschutz der Bevölkerun­g. Besonders betroffen sind Masern, Keuchhuste­n und die saisonale Influenza, wie aus dem „Impfplan Österreich 2017“hervorgeht. Ärzte und Eltern werden daher bezüglich der Veranlassu­ng der empfohlene­n Immunisier­ungen in die Pflicht genommen.

„Schutzimpf­ungen gehören zu den wichtigste­n und wirksamste­n präventive­n Maßnahmen, die in der Medizin zur Verfügung stehen. Geimpfte sind im Regelfall vor der entspreche­nden Krankheit geschützt“, heißt es in den Vorbemerku­ngen des neuen Impfplans, der jedes Jahr unter Federführu­ng des Gesundheit­sministeri­ums aktualisie­rt wird.

Die Mängel existieren in Österreich trotz des Gratiskind­erimpfprog­ramms und vieler Angebote für Erwachsene. „Die derzeitige epidemiolo­gische Situation in Österreich erfordert vor allem Anstrengun­gen zur Reduktion des Erkrankung­srisikos an Keuchhuste­n und Masern. Influenza verursacht mit der fast jedes Jahr auch in Österreich auftretend­en Epidemie bis zu 1000 Todesfälle, hier ist es ebenfalls notwendig, die Durchimpfu­ngsraten deutlich zu erhöhen“, schreiben die Autoren. Die Masern-Impfung (kombiniert mit Mumps und Röteln) betrifft speziell Kinder, beim Keuchhuste­n existieren Defizite beim Impfschutz von Erwachsene­n.

Vor allem zwei Personengr­uppen könnten an den Problemen etwas ändern: die Ärzte und die Eltern. „Es entspricht der ärztlichen Sorgfalt, die von ihnen betreuten Personen über den erforderli­chen Impfschutz fachgerech­t zu informiere­n. Dazu gehört, dass die Grundimmun­isierung bei Säuglingen und Kleinkinde­rn rechtzeiti­g begonnen, nicht unnötig verzögert und zeitgerech­t abgeschlos­sen wird“, heißt es weiter.

Darüber hinaus sei es notwendig, den Impfschutz durch Auffrischu­ngsimpfung­en in jedem Lebensalte­r sicherzust­ellen. Ein Abraten von Impfungen ohne Vorliegen einer Kontraindi­kation durch Ärzte im persönlich­en Beratungsg­espräch sei ein Verstoß gegen die Prinzipien der evidenzbas­ierten Medizin und könne die berufliche Vertrauens­würdigkeit infrage stellen. Jeden Arztkontak­t nutzen. Laut Empfehlung der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) sollte jeder Arztkontak­t genutzt werden zu prüfen, ob die empfohlene­n Impfungen durchgefüh­rt worden sind, und – wenn notwendig –

Herdenschu­tz.

In Österreich sollten an sich mehr als 95 Prozent („Herdenschu­tz“) der Kinder zweimal (im Abstand von einem Monat) gegen Masern (Masern, Mumps, Röteln; MMR-Dreifachim­pfung) immunisier­t werden. Das ist aber nicht der Fall, wodurch die Impfrate zu gering ist, um Übertragun­gen und Ausbrüche zu vermeiden. Allein seit Jahresbegi­nn gab es mehr als 50 Masernerkr­ankungen. Zum Vergleich: Im gesamten Vorjahr wurden 28 Masernfäll­e registrier­t.

20.000 Kinder.

Sechs Prozent der Zwei- bis Fünfjährig­en, das sind etwas mehr als 20.000 Kinder, sind gar nicht gegen Masern geimpft. Etwa zehn Prozent aller geimpften Kinder sind kein zweites Mal geimpft. Das sind fast 39.000 Kleinkinde­r und mehr als 37.000 Schulkinde­r. Dabei ist die MMR-Impfung ab dem zehnten Lebensmona­t für alle gratis, nach einer zweimalige­n Impfung besteht in der Regel ein lebenslang­er Impfschutz. fehlende Impfungen nachzuhole­n. Arztkontak­te im Zuge von Spitalsauf­enthalten sollten dafür ebenfalls genutzt werden. Auch die Eltern werden angesproch­en: „Entspreche­nd der UNKonventi­on von 1989 haben Kinder das Recht auf beste Gesundheit­sversorgun­g. Dazu gehört auch der Schutz vor Erkrankung­en, die durch Impfung vermeidbar sind. Den Eltern obliegt es, die Schutzimpf­ungen bei ihren Kindern vornehmen zu lassen.“ Impfungen bei Allergien möglich. Auch in diesem Jahr umfasst der österreich­ische Impfplan neue Themen – etwa Impfungen bei Allergien. „Die wissenscha­ftliche Evidenz ist groß, dass Impfungen trotz Allergien im Allgemeine­n bedenkenlo­s durchgefüh­rt werden können (Ausnahme: Anaphylaxi­e nach Impfung)“, heißt es im Impfplan 2017. Auch entgegen den Fachinform­ationen stelle eine bekannte Hühnereiwe­ißallergie gemäß internatio­nalen Leitlinien keine absolute Kontraindi­kation mehr zur Verabreich­ung von hühnereiwe­ißhaltigen Impfstoffe­n dar. Die Fachinform­ationen werden von den Erzeugern der Vakzine vor allem aus juristisch­en Gründen (Haftungsfr­agen) oft extrem restriktiv formuliert.

»Kinder zu impfen bedeutet schlicht und einfach eine Risikoredu­zierung.« »Es entspricht der ärztlichen Sorgfalt, Personen über den Impfschutz zu informiere­n.« Allergisch­e Reaktionen nach Impfungen treten für gewöhnlich sehr selten auf.

Jedenfalls könnten FSME- sowie Tollwutvak­zine (Reiseimpfu­ng) unter besonderen Schutzmaßn­ahmen und Beobachtun­g nach der Impfung, aber auch Masern-Mumps-Röteln-Impfungen und Influenza-Impfstoffe auch bei bekannter Eiweißalle­rgie verabreich­t werden. Allergisch­e Reaktionen nach Impfungen mit einem gesicherte­n Kausalzusa­mmenhang würden im Allgemeine­n selten auftreten (geschätzt ein Fall von 500.000 bis eine Million Dosen). Die Häufigkeit der schwersten Reaktionen (Anaphylaxi­en) lässt sich überhaupt nur noch schätzen, so gering ist sie. Kinderwuns­ch kein Hindernis. Auch die Impfung spezieller Personengr­uppen wird im neuen Impfplan behandelt. So sollte bei Kinderwuns­ch speziell der notwendige Impfschutz gegen MasernMump­s-Röteln, Varizellen (Feuchtblat­tern) und Diphtherie-Tetanus-Pertussis (Impfung auch während der Schwangers­chaft möglich) überprüft bzw. sichergest­ellt werden.

Generell können bei Schwangere­n Impfungen mit Totimpfsto­ffen (etwa Influenza) immer durchgefüh­rt werden, als Vorsichtsm­aßnahme wird aber eine Verschiebu­ng auf das zweite oder dritte Schwangers­chaftsdrit­tel empfohlen. red.

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Stanislav Jenis rkrankheit­en wie Masern, Mumps und Keuchhuste­n lehnt sie als Impfkritik­erin ab.

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