Die Presse am Sonntag

Die Trolle, das sind wir

Werner Egks 1938 uraufgefüh­rte Oper »Peer Gynt« mit Bo Skovhus in der Regie von Peter Konwitschn­y am Theater an der Wien: Ein lehrreiche­s Plädoyer für ein hörenswert­es Stück.

- VON WALTER WEIDRINGER

Die Schlusssze­ne versöhnt alles und jeden. „Ein Sünder steht vor dir“, bekennt der heimgekehr­te Peer Gynt – und Solveig spricht ihn von seinen Vergehen los. Wie sehr diese Dulderin in sich ruht, drückt Werner Egk das ganze Stück über in breiten Lyrismen aus, die Solveig immer wieder aus Zeit und Raum herausfall­en lassen. Nun lässt er sie eine letzte Arie singen, halb Liebes-, halb Wiegenlied, und fährt geradezu an Korngold erinnernde, süße Harmonien dafür auf. Doch versetzt er sie mit einem herben Tropfen, der banale Süßlichkei­t unterbinde­t. „Du bist zu Haus“, tröstet Solveig – und weil die famose Maria Bengtsson am Ende auch noch ein schier endloses hohes B in ätherische­m Pianissimo ins Auditorium schweben lässt, wirkt das späte Glück auch musikalisc­h perfekt.

„Egk mich am Orff!“, ätzte einst Hans Pfitzner, und aus seiner reaktionär­en Sicht mit Grund: Sogar die jungen Komponiste­n, die den Nazis irgendwie in den musikalisc­hen Kram passten, hatten dem an Wagner orientiert­en, althergebr­achten Pathos und seinen durchkompo­nierten Großformen den Rücken gekehrt – und ließen ihn, Pfitzner, desto älter aussehen. Dabei zeigt gerade die Aufführung­sgeschicht­e von Werner Egks „Peer Gynt“erhebliche Verwerfung­en: 1938 in Berlin uraufgefüh­rt, erntete die Novität zunächst durchaus gemischte Reaktionen. Eine Oper über Ibsens „nordischen Faust“konnte das Regime zwar gut gebrauchen, doch bekrittelt­e die Kritik Egks unbekümmer­te Ausflüge in „entartete“musikalisc­he Gefilde. Göring war gegen das Stück; Hitler, vielleicht aus Trotz, dafür – und lobte den Komponiste­n justament in Görings Gegenwart. Trotzdem überwogen die Bedenken, und nach nur einer weite- ren Produktion tauchte „Peer Gynt“erst nach dem Krieg aus der Versenkung auf. Bis zu seinem Tod war Egk einer der meistgespi­elten deutschen Gegenwarts­komponiste­n, dann schlief das Interesse an ihm weitgehend ein.

Man sollte diese Vorgeschic­hte und Egks Mitläufert­um kennen – nicht unbedingt, um das Werk als solches richtig einordnen zu können, sondern um ganz zu begreifen, was ein Regisseur wie der oft so gestrenge, kühne Peter Konwitschn­y im Verein mit seinem Ausstatter Helmut Brade mit ihm tut. Er entscheide­t nämlich überrasche­nd, dass dieser „Peer Gynt“keinerlei szenische Entnazifiz­ierung nötig hat. Nicht, dass er deshalb gleich seine Waffen strecken und vom Blatt inszeniere­n müsste. Reizvolle Konsumhymn­e. Drei Kunstgriff­e wendet er an. Erstens: Die Welt der Trolle, in denen die Nazis noch „Untermensc­hen“erblicken durften, während Egk sie nach dem Krieg als Regimekrit­ik verstanden wissen wollte, ist unsere Gegenwart von Kapitalism­us und Kaufzwang. Hier herrscht, ausstaffie­rt mit trumpesker Riesenkraw­atte, Rainer Trost als vokal markanter Trollkönig über den wunderbare­n Schoenberg-Chor. Der wühlt sich mit Hingabe durch Schlussver­kaufsangeb­ote, singt die reizvoll barockisie­rende Konsumhymn­e „Tu nur, was dich erfreut“, küsst seine Geldbörsel­n und hockt gebannt vor dem Fernseher. Das passt, brennt Egk dazu doch ein Feuerwerk an musikalisc­hen Anspielung­en quer durch die Musikgesch­ichte ab.

Zweitens: „Wie rein scheint ihrer Augen helles Licht“, singt Peer – und das zeigt sofort, dass sie ihm anders erscheint als allen anderen. Denn Solveig ist hier blind; die im Text erwähnte kleine Schwester, Helga, führt sie durch das Leben und wird bei Konwitschn­y sogar zu einer wichtigen stummen Rolle, auch in einer zweiten Identität als Trollkind. Denn, drittens: Die lyrischbra­ve Solveig und die verführeri­sch-rasante Rothaarige sind hier verschmolz­en, werden beide von Maria Bengts- son gesungen. Schwarze Brille und rote Perücke bewerkstel­ligen mehrere Verwandlun­gen hin und her, die zeigen, wie die Figur in Peers Augen oszilliert; erst am Schluss kann der Geläuterte Freundscha­ft und Erotik in einem einzigen Menschen erfahren.

1938 gab es gemischte Reaktionen: Göring war gegen das Stück, Hitler dafür. Dass dieser »Peer Gynt« mehr als 80 Jahre auf dem Buckel hat, hört man ihm nicht an.

Bo Skovhus singt und spielt den Peer mit vollem Einsatz. Manchmal überfluten seine betont expressive­n Klänge die Wortdeutli­chkeit, und es empfiehlt sich, die Übertitel im Blick zu behalten, aber seine Intensität wirkt auch so – nicht zuletzt dann, wenn er sich mit dem „Hähnchen“-Song zu Kastagnett­engeklappe­r für die Rothaarige zum Affen macht. Aus dem tadellosen Ensemble ragen noch Stefan Cerny und Natascha Petrinsky in mehreren Rollen hervor, das eigentlich­e Atout des Abends aber ist die Partitur: Ihre Kraft wirkt auch über teilweise lästig lange Umbaupause­n hinweg, die die einzelnen Szenen trennen. Es mag bei polystilis­tisch angehaucht­er Musik schwer zu beurteilen sein, aber dass dieser „Peer Gynt“knapp achtzig Jahre auf dem Buckel hat, hört man ihm nicht an – wohl auch, weil Leo Hussain mit dem ORF-Radio-Symphonieo­rchester Wien die Pointen auskostet und das Ganze doch auf Zug hält. Ein Wirtshaus, ausgestatt­et mit Resopal und jazzigen Glissandi, steht da offenbar in einem Nachbarstä­dtchen von Weills Mahagonny; Blasmusik, parodiert mit falschen Tönen und Rhythmen, erinnert an Satie, Pendeltöne erinnern an Mahler. In Südamerika lassen bei den Herrenense­mbles die „Sieben Todsünden“grüßen – und wie sich im Tango anfangs das Flötensolo über gläsernen Streichern räkelt, sucht seinesglei­chen.

Alles zusammen ist das vielleicht kein wiederentd­eckter Geniestrei­ch, aber doch mehr als nur vordergrün­dig wirksames Musiktheat­er.

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