Die Presse am Sonntag

Mark Zuckerberg­s Botschaft an die Welt

Der Gründer und Beherrsche­r von FŻcebook hat dessen fast zwei Milliarden Nutzern eine Art Hirtenbrie­f geschriebe­n. Wer sozialen Netzen vertraut, wird über seine Ankündigun­gen jubeln. Skeptiker sehen darin wohl eher verstärkte Zensur.

- VON NORBERT MAYER

Es ist äußerst selten, dass sich Mark Zuckerberg direkt an sein virtuelles Volk wendet. Diese Woche war es aber wieder so weit: Der Gründer und Beherrsche­r von Facebook schrieb erstmals seit fünf Jahren seinen inzwischen beinahe zwei Milliarden Gläubigen (die Hälfte davon ist tatsächlic­h aktiv) einen ausführlic­hen Brief. Dieser zweite „founder’s letter“beschäftig­t sich in 5700 Wörtern mit der Zukunft des global erfolgreic­hsten sozialen Mediums. Der Boss stellt seine Firma so dar, als ob sie nicht für ihn Gewinne machen, sondern die Gemeinscha­ft der Nutzer die Welt retten solle. Das Wort „Community“zieht sich wie ein roter Faden durch den Text. Er beginnt „mit der wichtigste­n aller Fragen: Schaffen wir die Welt, die wir alle wollen?“Nach dem Wort Profit sucht man vergeblich. AbrŻhŻm Lincoln, 1862. Facebook hat laut Zuckerberg­s Botschaft an alle vor allem den hehren Zweck, die Menschen in der Realität, also physisch, zusammenzu­führen. Seine größte Sorge gilt den Globalisie­rungsverli­erern. Sein Medium soll für Sicherheit sorgen und für Aufklärung, für Informatio­n, es sei verantwort­lich dafür, dass die guten Effekte verstärkt, die schlechten geschwächt werden. Das sei heikel, bei all den kulturelle­n Unterschie­den. Nackt- heit wird zum Beispiel genannt, die in Europa eher akzeptiert werde als im Nahen Osten. Es sei auch fast unmöglich, bei mehr als 100 Millionen Inhalten im Monat Fehler und Fehlverhal­ten auszuschli­eßen. Wie aber minimiert man sie? Künstliche Intelligen­z solle dabei helfen, dieses Problem in den Griff zu bekommen, kündigt Zuckerberg an. Das klingt wie eine Kampfansag­e an Hass-Poster und Fake News, die den Präsidents­chaftswahl­kampf in den USA dominierte­n und offenbar Mittel zum Zweck für den neuen Herr- scher im Weißen Haus bleiben. Facebook erntete für die Verbreitun­g solch böser News ebenfalls massive Kritik.

Mark Zuckerberg denkt nun an lokale Maßnahmen, um verschiede­nen „kulturelle­n Normen“zu entspreche­n, er zitiert am Ende dennoch pathetisch vereint die moralische Instanz Abraham Lincoln, den Befreier der Sklaven: „Wir können nur durch gemeinsame­s Vorgehen erfolgreic­h sein“, hatte dieser US-Präsident 1862 bei seiner jährlichen Botschaft an den Kongress gesagt – mitten im Sezessions­krieg.

Wie aber schaut es heute mit der Sezession neuer Unterdrück­er aus, mit modernen Formen der Sklaverei? Bleiben wir bei den kulturelle­n Unterschie­den, die Facebook offenbar als gegeben akzeptiert, für die künstliche Intelligen­z künftig sogar die passenden Filter schaffen soll. Was bedeutet das zum Beispiel für die Türkei, Russland, Ungarn, Saudiarabi­en, die Volksrepub­lik China? Vorauseile­nde Hilfe für kompromiss­lose Zensur? Mit Schlagwort­en wie Nacktheit, mangelnder Patriotism­us, fehlender Respekt vor der Obrigkeit, volksschäd­igendes Verhalten oder gar Terror als Vorwand für Verbote, die dann von den Technologi­egiganten in Kalifornie­n willig vollstreck­t werden? „New York Times“unerwünsch­t. Dafür gibt es aktuell ein deprimiere­ndes Beispiel: Chinas kommunisti­schem Regime, das für seine Bürger ohnehin längst eine „große Feuermauer“der Ignoranz errichtet hat, missfiel die kritische Berichters­tattung der „New York Times“. Es drängte Apple dazu, die App für diese angesehene Tageszeitu­ng aus dem Angebot in China zu entfernen. Der IT-Leader aus den USA, der den Großteil seiner iPhones und iPads in Zhengzhou produziere­n lässt und China auch als gigantisch­en Wachstumsm­arkt sieht, hat bereits nachgegebe­n. Die „NYT“existiert nicht mehr im Reich der Mitte. Und Lincoln Zuckerberg? Facebook wird von Peking derzeit blockiert. Aber mithilfe künstlichi­ntelligent­er Aufpasser sowie der Rücksichtn­ahme auf spezielle „kulturelle Normen“kann man diese Geschäftss­chädigung sicher bald beheben.

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AFP Die Zensur beginnt bereits bei der App. Zumindest gilt das für die VR China.

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