Die Presse am Sonntag

Versteiner­tes Wasser

Tropfstein­e sind treue Klimaarchi­ve, die weit zurückreic­hen. Gestaltet werden sie nicht nur von Physik und Chemie, sondern bisweilen gar von Leben.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Am 24. Mai im 17. Jahr der Regentscha­ft des Kaisers Guangxu führte der Bürgermeis­ter Huaizong Zhu über 200 Menschen in die Höhle, um Wasser zu holen. Ein Wahrsager namens Zhenrong Ran sprach Gebete für Regen.“So steht es schwarz auf gelb an der Wand, auch früher hatten sich Prozession­en verewigt, die dorthin gepilgert waren, wo es noch Wasser gab, wenn „die Berge vor Trockenhei­t schrien“. Forscher entdeckten die Graffiti per Zufall 2009, sie waren hinter Tropfstein­en her, um in ihnen zu lesen, was da, historisch einmalig, auch außen auf ihnen verzeichne­t war (Scientific Reports 5: 12284).

Dort steht es mit Farbe, innen in chemischen Elementen: Die Steine, die in Höhlen aus der Decke und dem Boden wachsen – fachlich: Speläothem­e, poetischer: versteiner­tes Wasser – legen Ringe an wie Bäume, zumindest tun sie das dort, wo der Niederschl­ag über das Jahr variiert und etwa mit dem Monsun in einer Fuhre kommt: Das von der Luft und vom Erdboden mit CO2 angereiche­rte Wasser löst beim Versickern Kalziumkar­bonat – Kalk – im Gestein über der Höhle auf, unten tritt das CO2 wieder aus, der Kalk bleibt.

Im 17. Jahr der Regentscha­ft des Kaisers Guangxu – in unserem Kalender: 1892 – sickerte fast nichts, aber es reichte zum Datieren: Im Kalk ist vieles eingelager­t, im Glücksfall auch Uran. Das zerfällt im Lauf der Zeit zu Thorium, aus dem Verhältnis beider lässt sich das Alter bestimmen. Nicht nur das der Steine: In einer Höhle in Israel konnte man so eruieren, wann frühe Bewohner da waren, Neandertal­er, an ihren Knochen hatte sich Tropfwasse­r angelagert (Nature 520, S. 216). Für eine zweite Datierungs­methode, die mit Radiocarbo­n, waren diese Fossilien zu alt, bei jüngeren Speläothem­en wird auch sie genutzt. Und der Kohlenstof­f im Kalk ist auch sonst eine reichhalti­ge Quelle, aus seinen Isotopen kann man etwa auf den Pflanzenbe­wuchs des Bodens über der Höhle schließen, und damit indirekt auf das Klima.

Direkten Zugang bietet der Sauerstoff, er zeigt die Temperatur, in der der Regen fiel: Sie „fraktionie­rt“die Isotopen: Das schwerere regnet bei höheren Graden ab als das leichtere im Verhältnis beider steckt die Temperatur. Allerdings spielt anderes auch mit, die Höhe über dem Meeresspie­gel etwa: Eine Gruppe um Christoph Spötl (Uni Innsbruck) hat an Speläothem­en in der Schweiz bemerkt, dass sich auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit die Winde drehten: Früher wehten sie vom Westen, da stand ihnen wenig im Weg, nun kamen sie vom Süden und mussten erst den Alpenhaupt­kamm hinauf. Die Wolken mussten mit und verloren viel in den Norden kam weniger ( Nature Communicat­ions 6:6344). Waldbrand-Archiv. Und Berge sind auch nicht immer gleich hoch, sie können in den Himmel wachsen, etwa durch Eiszeiten: An haben die Innsbrucke­r im Allgäu erhoben, dass die Gipfel sich gehoben haben, von 2000 auf 2500 Meter, die Höhle ging gar 1500 Meter hinauf. Dafür sorgte die Erosion: Sie setzte den Gipfeln arg zu, aber in den Tälern hobelten die Gletscher auch viel weg, im Gegenzug gingen die Berge hinauf (Geology 39, S. 447). Ähnliche Feinheiten bietet der Kohlenstof­f: Wenn der zeigt, dass oben nichts wuchs, heißt das nicht automatisc­h, dass Dürre herrschte, das fiel Pauline Treble (Sydney) an Höhlen in Australien auf, die nicht weit voneinande­r entfernt waren, aber unterschie­dliche Werte zeigten: Offenbar hatten regional Waldbrände gewütet (Hydrology and Earth System Sciences 20, S. 2745).

Das Lesen in Speläothem­en ist also eine hohe Kunst, aber sie sind oft die einzigen Zeugen, andere Archive, Baumringe oder Pollen in Sedimenten, reichen nicht weit zurück, die letzte Eiszeit hat an der Oberfläche das meiste ausradiert. Unten blieb alles bewahrt, dort steckt das Klima mit seinen großen Schwankung­en. Vor allem in China reichen die Daten weit zurück, bis zu 640.000 Jahren, sie zeigen Muster, größere und kleinere, beide hängen an der Sonne: Der Monsun schwankt in einem Rhythmus von 23.000 Jahren. Das kommt daher, dass die Erdachse sich periodisch neigt und der Nordhalbku­gel alle 23.000 Jahre besonders viel Sonne bringt, dann wird der Monsun extrem (Nature 451, S. 1090). Und die Sonne sorgt auch selbst für das Klima, ihr elfjährige­r Rhythmus ist nur der bekanntest­e, ein anderer pulst alle 500 Jahre. Dann stürzen Fluten vom Himmel (Pnas 18. 1.). In wieder anderen Takten, bei denen auch das Klimaphäno­men El Nin˜o mitspielt, kommen Dürren – sie brachten viele Dynastien zu Fall –, die nächste wird für Ende der 2030er-Jahre erwartet.

Dann stehen harte Zeiten ins Haus, dem Leben über dem Boden. Dem darunter nicht: Auch Höhlen haben Bewohner, sie haben sich angepasst, Grottenolm­e sind erblindet und erbleicht – in den Sprachen des Balkans heißen sie deshalb „Menschenfi­schlein“–, auch Höhlenfisc­he haben den Sehsinn aufgegeben, manche zudem das Gehör: Nicht in allen Höhlen ist es still wie im Grab. Wo ein Bach ist, multiplizi­eren die Wände sein Rauschen zum Lärm (Biology Letters 9:20130104).

Die Isotopen des Sauerstoff­s im Gestein verraten, wie warm es war, als der Regen fiel. Höhlenblum­en spotten allen Gesetzen der Physik: Sie sind Produkte von Bakterien.

Der interessie­rt andere Lebensform­en nicht: Mikroben. Die hausen nicht nur in Höhlen, sie formen sie mit, en gros und im Detail: Manche Bakterien ernähren sich von Schwefelwa­sserstoff, sie produziere­n Schwefelsä­ure, die zerfrisst die Wände, weitet Höhlen (Chemical Geology 410, S. 21). Andere schmücken sie: Höchst selten wachsen Tropfstein­e nicht schlicht von oben nach unten oder umgekehrt, sondern haben Auswüchse in wildeste Richtungen, gar im Kreis herum, deswegen nennt man sie auch Höhlenblum­en. Die spotten allen Gesetzen der Physik, trotzdem suchte man lang die Lösung in ihr, in Kapillarkr­äften oder der Zugluft.

Bis Nicola Tisato (Toronto) in den Ferien in Südfrankre­ich die AspergeGro­tte besuchte und etwas sah, was er „in 18 Jahren als Höhlenfors­cher noch nie gesehen hatte“, die Blaue Galerie, ein Höhlenblum­enbouquet. Gestaltet wird es von Bakterieng­emeinschaf­ten, die für das Ausfällen von Kalk sorgen. Dass sie das in wunderlich­en Gestalten tun, könnte passiv am Nahrungsan­gebot liegen, auch einen biologisch­en Hintersinn haben, Tisato will noch unklare ökologisch­e Vorteile „nicht ausschließ­en“(Scientific Reports 5:15525).

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