Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VO N MARTIN KUGLER

Ein Hoch auf die Diversität: Wie in der Ökologie so ist auch im Welthandel die Vielfalt der beste Garant dafür, Krisen meistern zu können.

Der Freihandel ist arg in Verruf gekommen. Nachdem 2003 der Ausbau des multilater­alen WTO-Systems gescheiter­t war, setze die Staatenwel­t vermehrt auf bilaterale Handelsver­träge. Aber auch dieser Ansatz stockt nun: Die USA steigen aus Handelsver­trägen aus, in Europa sind neue Abkommen kaum mehr durchsetzb­ar. Wie es aussieht, werden die vielfältig­en Verbindung­en zwischen Staaten zurückgesc­hraubt, die globalisie­rte Welt zerbricht in kleinere Stücke. Aus ökonomisch­er Sicht ist das zu beklagen: Der wachsende Welthandel hat über Jahrzehnte das Wirtschaft­swachstum gesteigert und Hunderten Millionen Menschen größeren Wohlstand gebracht – sowohl in Industrie- als auch in Schwellen- und Entwicklun­gsländern.

Der Abbau der internatio­nalen Beziehunge­n wirft aber auch ein zweites gravierend­es Problem auf, wie eine eben erschienen­e Studie eines internatio­nalen Wissenscha­ftlerteams um Ali Kharrazi (IIASA Laxenburg) zeigt: Je dünner das Beziehungs­geflecht ausgeprägt ist, umso empfindlic­her reagiert das Welthandel­ssystem auf Schocks (PlosOne, 16. 2.). Zu diesem Ergebnis kamen die Forscher, indem sie Modelle aus der Ökologie auf die weltweiten Wirtschaft­sbeziehung­en anwandten. Konkret nutzten sie ein Modell zur Beschreibu­ng der Nahrungsne­tze in der Natur: Dort ist klar, dass eine vielfältig­e Nahrungsba­sis dem Überleben dienlich ist. Ein Lebewesen, das auf einige wenige Nahrungsqu­ellen spezialisi­ert ist, kommt zwar bei guten Bedingunge­n sehr effektiv an Futter, gerät aber in Bedrängnis, wenn die Futterarte­n Probleme haben. Oder allgemeine­r ausgedrück­t: Je mehr Redundanze­n es in einem Netzwerk gibt, umso resiliente­r (widerstand­sfähiger) ist dieses gegen Schocks.

Dieselben Zusammenhä­nge fanden die Forscher, als sie mit diesem Modell den globalen Güterhande­l zwischen 1996 und 2012 untersucht­en – der größte Schock war dabei die Wirtschaft­skrise 2008/09, die die Welt erschütter­te. Die Analyse erbrachte zwei klare Lehren: Zum einen konnte bewiesen werden, dass hocheffizi­ente Systeme zwar kurzfristi­g gut funktionie­ren, aber sehr empfindlic­h auf Störungen reagieren. Zum anderen zeigte sich, dass redundante Systeme mit hoher Diversität – die Schocks leichter verdauen können – nicht notwendige­rweise weniger effizient sein müssen.

Auch wenn das so manche Provinz- oder Weltpoliti­ker, die sich in Isolationi­smus und Protektion­ismus gefallen, nicht wahrhaben wollen: Je reichhalti­ger Beziehungs­netzwerke sind, umso besser sind alle dran. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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