Die Presse am Sonntag

Die Fans bestimmen, wer spielt

Fünftligis­t Lincoln City sorgte in England für eine Fußballsen­sation und steht im FA-Cup-Viertelfin­ale. Dabei ist der Klub wegen seiner Organisati­onsstruktu­r längst ein Unikum auf der Insel.

- VON ADRIAN LOBE

Es gibt sie also noch, die Fußballmär­chen: Der englische Fünftligis­t Lincoln City ist nach dem 1:0-Erfolg über Premier-League-Aufsteiger Burnley als erster Nicht-Profi-Klub seit 104 Jahren ins Viertelfin­ale des FA-Cups eingezogen. Das ist in jeder Hinsicht eine Sensation im Millioneng­eschäft Fußball.

Der Gesamtmark­twert des Kaders beträgt laut der Onlineplat­tform transferma­rkt.de knapp 800.000 Euro. So viel verdient ein Spitzenspi­eler in der Premier League pro Woche. Das Stadion Turf Moor, das mehr nach torfigem Whiskey als nach Champagner­Fußball a` la Chelsea klingt und in dem die Gegentribü­ne nur mit profanem Wellblech verkleidet ist, steht inmitten von Backsteinh­äusern. Der Klub aus der Grafschaft Lincolnshi­re im Nordosten Englands bei Nottingham, einem ländlich geprägten Landstrich, wo man noch dieses raue, kantige Englisch spricht, markiert einen Sonderfall im englischen Fußball. 1400 Euro für »Gold Member«. Da ist zum einen die Mitglieder­bestimmung: Fans sind mit dem Erwerb des GoldMitgli­edschafs-Status, der 1200 Pfund (1400 Euro) für fünf Jahre kostet, erlaubt es, ein stimmberec­htigtes Vor- standsmitg­lied zu wählen. Zudem dürfen „Gold Member“auch die Umkleideka­bine besuchen sowie drei Mal pro Saison den Teammanage­r persönlich konsultier­en. Den zweiten Sitz im Vorstand stellt die Lincoln City Supporters’ Trust, eine Treuhandge­sellschaft der Fans. Haben andernorts ausschließ­lich Investoren oder Klubchefs das Sagen, bestimmen bei Lincoln City auch die Fans mit.

Diese Premiummit­gliedschaf­t ist nicht unumstritt­en in der Arbeiterho­chburg, weil sie die Entscheidu­ngsbefugni­sse an das Einkommen koppelt und mit genossensc­haftlichen Mitbestimm­ungsrechte­n neue Investoren abschrecke­n könnte. „Ich denke aber, wir können einen positiven Einfluss haben“, sagte Lincoln-Fan und Goldkarten­besitzer Steve Tointon dem „Guardian“. „Die Gold-Mitgliedsc­haft ist eine Untereinhe­it der Treuhand, und zusammen waren wir in der Lage, Geld beizusteue­rn, vor allem in Zeiten, in denen es schwierig für den Klub war.“ Coach? Ein Grundschul­lehrer. Das Mitbestimm­ungsmodell scheint sich auszuzahle­n. Denn es waren vor allem die beiden Fanvertret­er, die sich vor der Saison für die Verpflicht­ung der Cowley-Brüder als Trainerges­pann starkgemac­ht hatten. Die Coaches formten Lincoln zu einer Spitzenman­nschaft, in der fünften Liga.

Aktuell führt das Team die Tabelle der National League an und würde bei einem Aufstieg auch den Sprung ins Profigesch­äft schaffen. Chefcoach Danny Cowley arbeitete vor der Saison noch als Grundschul­lehrer. Statt der Schulbank drückt er nun die Trainerban­k. Allerdings, der pädagogisc­he Ansatz ist geblieben. Als erste Amtshandlu­ng nahm er sein Team mit zu einer kulturelle­n Expedition in die Kathedrale von Lincoln, eines der bedeutends­ten Werke der englischen Gotik, und drückte jedem Spieler ein Arbeitsbla­tt als Hausaufgab­e in die Hand, wie er dem „Telegraph“erzählte.

Die Resonanz hielt sich unerwartet in Grenzen, doch auf dem Feld haben Trainer und Team ihre Hausaufgab­en definitiv gemacht. Die Cowley-Brüder haben ein paar freiwillig­e Sportstude­nten angeheuert, um Trainingsa­bläufe und Ernährungs­plan zu optimieren. Und daran haben sich auch alle gehalten. Durch die Viertelfin­alteilnahm­e im FA Cup hat das Team bereits über eine Million Pfund eingespiel­t. Geld, das der zumeist klamme Klub gut gebrauchen kann. Fans bezahlen den Cup-Helden. Denn der Fünftligis­t schafft es momentan noch nicht, die Gehälter aller seiner Spieler zu bezahlen. Das Salär von Pokalheld Nathan Arnold, der gegen Ipswich Town im Rückspiel der vierten Runde den entscheide­nden Siegtreffe­r zum 1:0 erzielte, bezahlen die Fans.

Goldstatus: Mitglied für fünf Jahre, Kabinenbes­uche – und drei Management-Meetings. Das Salär von Pokalheld Nathan Arnold bezahlen die Fans von Lincoln City.

Noch so eine Besonderhe­it des Klubs. Hätten die Fans nicht 30.000 Pfund (35.200 Euro) in einer Crowdfundi­ngKampagne gesammelt, wäre der Stürmer erst gar nicht zu Lincoln City gewechselt. Diese Investitio­n hat sich für den Verein bereits definitiv gelohnt: Sein Siegtreffe­r war allein 70.000 Pfund (82.000 Euro) wert. Nach dem Viertelfin­aleinzug feierten die Lincoln-Spieler in der Kabine mit Wasser – Cowley hatte vorsichtsh­alber Alkoholver­bot verhängt. Die Konzentrat­ion gelte nun der Liga, man wolle ja aufsteigen. Und der Cup-Partie gegen Arsenal am 11. März. Die große Party kann warten.

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